Franziskaner Mission 1 | 2023

Leprösen, deren Freund er wurde, zum heiligen, sakralen Ereignis, weil er da die Gegenwart Christi (Gottes) erfuhr. Franziskus erlebte, dass ihm in diesen Ausgegrenzten Gott selbst begegnete und sich offenbarte. Die Welt der Armen wurde zum Ort der Gegenwart Gottes. Unter den Armen offenbarte sich der auferstandene Gekreuzigte des Damianokreuzes als das Leben, als Kraft und Hoffnung der Marginalisierten. Ab jetzt ging es um mehr als nur darum, Ruinen aufzubauen. Es ging darum, Trümmer neu zu beleben – durch ein Leben als Armer mit und unter den Armen. Und noch einmal manifestierte sich im Raum einer von ihm restaurierten Kapelle, der Portiunkula, was dem Armen von Assisi heilig, im Sinne von lebenswichtig, werden sollte: Er entdeckte das Evangelium der Minoritas und Sendung als Lebensform für sich und die Brüder und Schwestern, die noch kommen sollten. Das ist es! »Das ist es, was ich will …«. Die Qualität des erfahrenen Heiligen hat den Effekt, dass es ein besonderes menschliches Verhalten erfordert und dem weiteren Lebensweg Orientierung gibt. Die kann dann auch andere, zunächst nicht Beteiligte, anlocken und anstecken. Die Brüder und Schwestern, die seine Berufung teilten, kamen erst noch. Sie mögen nicht dieselbe Erfahrung des Heiligen gemacht haben, aber es zog sie an. Der, wenn auch zerfallene und dennoch durch den Glauben dem Heiligen vorbehaltene Raum, wurde zu einem Ort der Offenbarung. Das Mysterium der Offenbarung erschloss sich aber erst in der Verbindung zur Realität des Lebens: in der Begegnung mit den Aussätzigen und in der Evangelium gemäßen Sendung in die Welt. Das Wechselspiel der Erfahrung des Heiligen im verwahrlosten sakralen Raum verfallender Kapellen und zugleich unter den ausgestoßenen Aussätzigen sowie in einer profanen Welt – dies eröffnete dem Aussteiger aus der Welt des neureichen Bürgertums und einer sich klerikalisierenden Priesterkirche den neuen Horizont. Einen Horizont mit einer den Fußspuren Jesu folgenden universalen, geschwisterlichen Kirche und einer Welt wird zur Verbindung von wirtschaftlichem Erfolg mit dem Heiligen, unter Vernachlässigung der wirtschaftlich unbedeutenden Kapellen und deren Besucher. Der Wiederaufbau der Feldkapelle findet statt, weil Gott auch unter den Armen, den am Rande des gesellschaftlichen Erfolges Lebenden und sogar unter den Ausgegrenzten zu finden ist. Trümmer neu beleben Es erscheint nicht zufällig, dass in den Zeitraum der religiösen Erfahrung in San Damiano auch jene entscheidende Wende für Franziskus‘ Leben – die Begegnung mit den Aussätzigen – fiel, welche er in seinem Testament vermerkte und als den Beginn einer neuen Lebensweise in der Buße erinnerte. Die Erfahrung des Heiligen im Raum von San Damiano wurde von einer ›Metanoia‹ begleitet, einer Bekehrung, die nicht nur einfach eine Meinungsänderung war, sondern eine radikale Umkehrung seiner Gefühlswelt und seines Empfindens bewirkte. »So hat der Herr mir, dem Bruder Franziskus, gegeben, das Leben der Buße zu beginnen: denn als ich in Sünden war, kam es mir sehr bitter vor, Aussätzige zu sehen. Und der Herr selbst hat mich unter sie geführt, und ich habe ihnen Barmherzigkeit erwiesen. Und da ich fortging von ihnen, wurde mir das, was mir bitter vorkam, in Süßigkeit der Seele und des Leibes verwandelt. Und danach hielt ich eine Weile inne und verließ die Welt.« Franziskus entdeckte den gekreuzigten und auferstandenen Christus. In einer biblischen Perspektive ist die privilegierte Manifestation des Heiligen das Gesicht der anderen, vor allem der Armen, die als Geschwister willkommen geheißen werden müssen. Im sakralen Raum der zerfallenen Kapelle und im verfaulenden Körper der Aussätzigen entdeckte Franziskus das Antlitz Jesu. Da wurde gleichsam auch das Zusammentreffen mit den Der Autor Johannes Baptist Freyer gehört seit 1977 dem Franziskanerorden an. Momentan ist er Gastprofessor an der franziskanischtheologischen Fakultät der Universität von San Diego, Kalifornien / USA, sowie theologischer Referent von »Franziskaner Helfen« in Bonn. und Schöpfung als möglicher Ort der Gottesgegenwart. So konnte Franziskus in seinem Testament ausführen: »[D] er Herr gab mir in den Kirchen einen solchen Glauben, dass ich in Einfalt so betete und sprach: Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, hier und in allen deinen Kirchen auf der ganzen Welt, und wir preisen dich, weil du durch dein heiliges Kreuz die Welt erlöst hast.« So bezeugte Franziskus die Verbindung von Hier und Jetzt in dieser Welt und Schöpfung – unter den Aussätzigen und Armen mit dem Kirchenraum als universalem Ort der Gotteserfahrung. Er beschränkte die Erfahrung des Heiligen nicht auf den abgesonderten sakralen Raum. Vielmehr wird der sakrale Ort der Kirchen zum Sendungsraum, um die Welt und die Schöpfung als universale Wohnstätte des Gottes, der in Jesus Christus Fleisch angenommen hat, wahrzunehmen. Erst durch den glaubenden Lebensvollzug in der Welt, vor allem unter den Armen, wurde für ihn der im sakralen Raum erahnte Lebenssinn offensichtlich. Dank ihrer Bezogenheit aufeinander boten der sakrale Ort, die Kirchen, und die Welt, das Hier und Jetzt, Franziskus einen Sinn, von dem er sich ergreifen ließ und dem er durch sein Leben Gestalt gab. Franziskanerkloster San Damiano, Assisi Kreuz von San Damiano, Assisi 7

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