Franziskaner Mission 1 | 2023

Bei der spanischen Kolonisation in Lateinamerika wurde ein vereinheitlichter architektonischer Grundriss für die Gründung von neuen Städten eingeführt. Dazu gehörten unter anderem ein Hauptplatz (oder Marktplatz), ein Rathaus sowie Kirchen, Wallfahrtsorte und Klöster. Der kolonialen Expansion lagen nicht nur wirtschaftliche und politische, sondern auch zivilisatorische und religiöse Kriterien zugrunde. Die Missionare waren der Überzeugung, dass ihre Aufgabe darin bestand, nicht nur den christlichen Glauben, sondern auch die Zivilisation bringen zu müssen. Die in dieser Zeit entstandenen kolonialen Bauwerke gehören zum historischen kulturellen Erbe in Lateinamerika – auch nach der Erlangung der politischen Unabhängigkeit von Spanien. Bis heute werden sie als historische religiöse Schätze betrachtet. Die Kirchen und Kathedralen übermitteln den Menschen die religiöse Erfahrung, sich an einem sakralen Ort zu befinden. Sie haben von ihrer Faszination bis heute nichts verloren. Dazu gehören auch die Wallfahrtkirchen, Marienweihestätten, Klosteranlagen, die zum Beten, zum Pilgern oder zu besonderen Anlässen sehr beliebt sind. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, den Dokumenten der Kirche in Lateinamerika (Medellín, Puebla, Santo Domingo, Aparecida) und unter dem Anstoß der sogenannten Neuevangelisierung wurden neue Kriterien und Prioritäten zum Bau von weiteren Kirchen nach verschiedenen modernen architektonischen Modellen angewendet. Die Gemeinde vor Ort, das heißt die Gläubigen, erkennen sich als die Kirche, die sich in einem Raum, einem Saal versammelt. Das bringt einen Perspektivwechsel mit sich: Der Raum steht in Funktion und Dienst der Gemeinde, nicht umgekehrt. Das bezieht sich vor allem auf die Teilnahme an den sonntäglichen Gottesdiensten. Bei der Wahl, der Gestaltung oder Umgestaltung dieser Räume in den Randgebieten der großen TEXT UND FOTOS: Joaquín Garay ofm Raum dient Gemeinde Flexible Gottesdienstorte in Zentralamerika In der Franziskanergemeinde »San Antonio de Padua« in San Salvador, El Salvador, feiern die Gläubigen ihren Gottesdienst wochentags in der Pfarrkirche (oben) und sonntags in der Sporthalle. Städte in El Salvador, Honduras oder Guatemala werden konkrete Kriterien umgesetzt: genügend Aufnahmekapazität, Geräumigkeit und je nach den Klimabedingungen zum Beispiel Offenheit, gute Belüftung, Helligkeit und Weiteres. Im Fall der Pfarrgemeinde »San Antonio de Padua« in San Salvador, El Salvador, wurde eine Sporthalle zum Feiern von Gottesdiensten umgestaltet. Diese Halle hat sich in der Pandemiezeit als passend und geeignet erwiesen und wurde von der Gemeinde gern angenommen. Die Gemeinde fühlt sich dort so wohl, dass der Pfarrgemeinderat die Entscheidung getroffen hat, die Gottesdienste an Sonntagen im sogenannten »Templete« weiter zu feiern; die Werktagsgottesdienste werden dagegen in der Pfarrkirche gefeiert. In Randgebieten der großen Städte findet man sehr häufig Pfarrgemeinden mit solchen multifunktionalen, offenen Räumlichkeiten. Die Pfarrkirche in der Gemeinde »San Francisco«, Soyapango, San Salvador, ist ein Beispiel dafür. Natürlich spielen geringe finanzielle Möglichkeiten und das rapide Wachstum der Städte eine Rolle. In diesem Sinne dürfen die Pfarrgemeinden nur planen und umsetzen, was sie sich leisten können. Trotzdem hat sich im Bewusstsein und in dem religiösen Gefühl der Gläubigen durchgesetzt, dass sie als Kirche Eucharistie feiern und sich daher in diesen multifunktionalen Kirchen wohlfühlen. Der Autor Joaquín Garay gehört zur Deutschen Franziskanerprovinz und ist seit September 2022 auf Mission in Mittelamerika. 10 | 11

RkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=