Franziskaner Mission 1 | 2023

Regen und Ernte, Geburt und Tod, in Träumen und bei Versöhnungsfeiern. Es gibt viele alttestamentliche Bezüge, leider auch die gewalttätigen Seiten. Den Himmel im Blick Die Menschen der Dreifaltigkeits-Pfarrei leben isoliert im Sumpfgebiet des Nil, dem sogenannten »Sudd«. Es gibt nur wenig Handel mit der Außenwelt, sodass die Nuer relativ autark sind, was Ernährung und Hausbau betrifft. Es gibt kaum eine Infrastruktur – weder Straßen noch Stromleitungen oder Handynetz. Eine weitere Besonderheit ist, dass der Boden der Region ausschließlich aus angeschwemmten Sedimenten des Nil besteht. Das heißt, das Land ist ganz flach und enthält keine Felsen, keine Steine. Daher gibt es nur Gebäude aus Holz und lehmhaltiger Erde. Die Dächer sind aus Gras. Ganz egal, ob Nuer eine Hütte für Menschen, eine Kapelle oder einen Stall für Tiere bauen: Es handelt sich immer um den gleichen Baustil. Nur der Durchmesser des Gebäudes ändert sich. Weil der Bau mühsam mit bloßen Händen geschieht, ist es selbstverständlich, dass größere Räume für verschiedene Treffen und Gruppen, aber auch als Schule oder sonntags zum Gottesdienst genutzt werden. Aus diesem Grund wurde bisher kein Gebäude geweiht, weil es danach eine profane Nutzung ausschließen würde. Des Weiteren ist eine Weihe von Gebäuden, die nach einigen Jahren durch das Wetter und Termiten zerstört sind, nicht sinnvoll. Die Leute benutzen Gebäude für sechs bis acht Jahre und bauen danach an einer freien Stelle ein neues Haus, während das alte Haus verfällt. Die katholische Kirche hat bei den Nuer in den letzten 20 Jahren starken Zuspruch gefunden. In den Dörfern kommen am Sonntag so viele Menschen zum Gebet, dass die Gebäude zu klein sind. Daher wird oft im Schatten der Bäume unter freiem Himmel gebetet. Einige wenige Dörfer haben in den letzten Jahren von uns Comboni-Missionaren für ihre offiziellen Gebäude eine Eisenkonstruktion mit Wellblechdach erhalten, in denen bis zu 200 Menschen Platz finden. Jedoch ist der Transport von Baumaterialien und einem Generator zum Schweißen aufwendig und teuer. Ein Sack mit 50 Kilogramm Zement (Einkauf in der Hauptstadt Juba und Transport in unsere Region) kostet zum Beispiel 40 Euro. Die Pfarrei wird von zwei unserer Comboni-Priester betreut. Auf einer Fläche, die achtmal so groß wie Berlin ist, gibt es etwa 80 Kapellen, das heißt, Dörfer, in denen sonntags gebetet wird. Gewöhnlich hält ein Katechet den Wortgottesdienst, weil die Priester ja nur an zwei Orten sein können. Über das Jahr verteilt erhalten die Kapellen meist nur einen Besuch eines Priesters, der entweder zu Fuß oder mit dem Kanu unterwegs ist. Die Zahl der Gottesdienstbesucher ist in diesem Fall natürlich besonders groß, und es wird dann fast immer unter freiem Himmel gefeiert. Tempel des hl. Geistes Das war für mich eine neue Gebetserfahrung. In Kirchen gibt es in der Regel keinen Windzug. Im Freien jedoch verweht der Wind die Seiten der Bibel, und die geweihten Gaben brauchen besonderen Schutz. Für mich sind diese beiden Formen zu beten ein Sinnbild. Die geschlossene Kirche, in der die Feier unter Kontrolle ist, ist unsere Versuchung, Gott nur kontrolliert in unser Leben zu lassen. Die ganze Regie ist festgelegt und vorhersehbar. Aber Gott ist ungebän- digt. Er ist Geistkraft und unvorhersehbar. Der Wind wurde für mich zu einem Zeichen, dass Gott unser Leben durchkreuzt. Er möchte, dass wir ihm ganz vertrauen und nicht auf unsere Pläne setzen. Bei einer Messe fiel mir einmal eine Schlange vom Baum auf den Altar. Sie war ungefährlich und kroch brav wieder am Stamm den Baum empor. Das Gebet bei den Nuer hat mich auch tiefer die Aussage Jesu verstehen lassen, dass die wahren Beter nicht an einem bestimmten Ort, sondern im Geist anbeten (Joh 4,23). Die GläubiDer Autor Gregor Schmidt gehört der Kongregation der Comboni Missionare vom Herzen Jesu der deutschsprachigen Provinz an. Seit 2009 ist er Priester in der Pfarrei in Old Fangak, Südsudan. gen versammeln sich für einige Stunden und können beim nächsten Gebet einen anderen Ort auswählen. Entscheidend ist, dass sie Gottes Frieden und Freude im Herzen tragen. Es ist so, wie Paulus schrieb, dass der an Jesus glaubende Mensch ein Tempel des Heiligen Geistes ist. Es braucht kein sakrales Gebäude. Jesus ist dort gegenwärtig, wo Menschen in seinem Namen versammelt sind. Eine Messe dauert gewöhnlich drei Stunden, bei Festen auch bis zu fünf Stunden, weil alle liturgischen Teile besonders ausgestaltet sind und mit vielen Liedern begleitet werden. Der Gesang und der Tanz haben eine ganz besondere Ausstrahlung, die den Gottesdienst lebendig macht. Die Fürbitten sind spontan und frei gesprochen. Nach der Kommunion ist Raum für verschiedene Ansprachen, Segnungen und Ansagen. Nach der Messe geht jeder Teilnehmer gestärkt seinen Weg und nimmt die Frohe Botschaft Jesu mit in den Alltag. Der Ort des Gebetes spielt keine Rolle mehr. Es ist die Geisterfahrung, die zählt. Die Nuer haben keine Architektur, die etwas Bleibendes an die nächste Generation vererbt. Sie leben für den Moment und konzentrieren sich darauf, im Hier und Jetzt zu überleben. Sie haben aber verinnerlicht, was Petrus uns lehrt: »Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen, zu einer heiligen Priesterschaft, um durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen.« (1 Petrus 2,5) Für Jesus Christus nehmen sich die Nuer Zeit. Die Messe und andere Gebetszusammenkünfte schaffen durch das Erlösungswerk Jesu eine geistige Verbundenheit, welche uns als Leib Christi zusammenwachsen lässt (Epheser 4,15-16). Wir werden so zu »lebendigen Steinen« im Haus Gottes. Das ist der wahre, unzerstörbare Sakralbau, an dem Gott uns teilhaben lässt. Bei den Nuer ähnelt die Bauweise von Kapellen den traditionellen Wohnhäusern. 9

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