Franziskaner Mission 3 | 2023

Es gibt Sätze, die sind einfach nur schön. Aber zugleich auch ein bisschen gefährlich. Dazu gehört auch das oft zitierte Augustinus-Zitat: »Liebe, und dann tue, was du willst!« Diese Maxime scheint gleich auf den ersten Blick völlig einsichtig: Was aus echter Liebe heraus geschieht, kann doch nur gut sein. Und hat nicht Jesus selbst die Liebe zum ersten und wichtigsten Gebot erklärt? Welche beglückende Freiheit weht mir aus diesem Satz entgegen! So einfach ist das also! Beim zweiten Hinsehen allerdings kommen Fragen: Was ist denn »Liebe«? Leidenschaftliche Liebe hat auch eine zerstörerische Kraft und schon viel Unheil angerichtet. Längst nicht alles, was gut gemeint ist, kommt auch gut an. Darf ich alles tun, was ich liebe, was mir gefällt? Dann wäre die lockende grenzenlose Freiheit nur die trügerische Fassade eines unbegrenzten und zügellosen Egoismus. »Kurzformel« fürs Leben? Von dem zitierten Augustinus-Wort und ähnlichen Formulierungen geht aber noch eine andere Faszination aus: Die schwierigen Überlegungen, was ich denn anfangen soll mit meinem bisschen Leben, was wirklich wichtig ist, was ich tun muss und was ich nicht tun darf – sie werden eingedampft zu einer kurzen Antwort. Sie ist eingängig und öffnet wie ein Generalschlüssel alle Türen meines Alltags. Heureka, ich habe sie gefunden, meine persönliche Weltformel, den Stein der Weisen, durch dessen Berührung alles, was ich anpacke, plötzlich Sinn erhält. Jetzt weiß ich, wo es langgeht. Der Wunsch nach einem ebenso einfachen wie eindeutigen Orientierungsmaßstab für mein Leben ist in unserer hochkomplexen und immer noch komplizierter werdenden Welt mehr als verständlich. Aber es gab ihn auch schon früher. »Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste?«, fragt ein Gesetzeslehrer Jesus (Mt 22,36). Der jüdische Talmud hatte aus der Tora 613 einzelne Regeln herausgelesen, 365 Verbote (eines für jeden Tag!) und 248 Gebote. Da konnte es schon passieren, dass man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sah. Jesus hat sich nie gegen das Gesetz gestellt. Aber er war so souverän, dessen Grundintention auf den einfachen Merksatz vom Ineinander von Gottes- und Nächstenliebe zu reduzieren: »An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.« Mut zur Einfachheit Ich bin der Meinung, dass wir heutzutage eher Angst vor allzu simplen Vereinfachungen haben. Zu Recht! Populisten und Verschwörungstheoretiker gehen auf gefährlichen Stimmenfang mit einfachen Antworten, die scheinbar alles erklären, aber tatsächlich auf Dauer nichts lösen! Sachentscheidungen erfordern Sachverstand, professionelles Know-how, einen differenzierenden Blick und den Mut zum klugen Abwägen. Im Hau-Ruck-Verfahren wird vieles schnell zerstört. Konstruktiver Auf- bau braucht Überlegungskraft und Zeit. TEXT: Cornelius Bohl ofm | FOTO: Small Home Simplify your life? Die Suche nach dem »wichtigsten Gebot« Dennoch: Das Entscheidende im Leben und auch im Glauben muss auch einfach sein. Das Plädoyer für die Einfachheit rollt keinen roten Teppich aus für die gefährlichen Vereinfacher. Wirklich Großes ist oft überraschend einfach. Die Einfachheit, die simplicitas, ist eine der entscheidenden Tugenden in der franziskanischen Spiritualität. Sie hat zu tun mit Echtheit und Ehrlichkeit, aber auch mit Demut und Realismus. Franz von Assisi bezeichnet sich selbst als simplex, als einfachen Menschen. Schade, dass für uns aus dem simplex gleich ein Simpel wird und aus Der Franziskaner Miroslav Babić lebt das Evangelium, indem er sich um Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen in Subukia (Kenia) kümmert. 12

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