Jesus wird gefragt, was die wichtigste Regel ist. Er antwortet, dass es Liebe sei. Liebe zu Gott, zu deinem Nächsten und zu dir selbst. Leben am Rand der Gesellschaft Gefangenenseelsorge in Montero, Bolivien TEXT UND FOTO: Ronald Ramiro Armijo Zelada ofm conv Zweifellos ist die Liebe zu Gott und zum Nächsten das wichtigste Gebot. In der Realität des Lebens vergessen wir dies jedoch oft. Das ist bei Menschen, denen die Freiheit entzogen ist, immer wieder der Fall. Sie verstoßen häufig gegen diese Regel. Vielleicht liegt es daran, dass viele von ihnen aus Familien stammen, in denen es keine Familienregeln gibt. Die meisten Gefangenen hier bei uns in Montero, in der Nähe von Santa Cruz de la Sierra, kommen aus dysfunktionalen Familien. Familien, in denen Untreue, Alkoholismus, Drogenabhängigkeit, Kriminalität, Prostitution und anderes den Alltag prägen. Die Insassen in Montero leben unter erbärmlichen, unmenschlichen Bedingungen in der hoffnungslos überfüllten Haftanstalt. Menschen, die mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind, sitzen oft jahrelang ohne rechtskräftiges Urteil im Gefängnis. Dies ist eine ständige Verletzung der Menschenrechte. Viele Gefangene werden zudem schlecht ernährt, sie frieren und Krankheiten werden oft nicht rechtzeitig medizinisch versorgt. Hinzu kommt die Unsicherheit durch Gewalt, Erpressung und Drogenhandel auf dem Gefängnisgelände. Die meisten der Gefangenen sind junge Menschen aus einfachen Familien. Einige von ihnen sind katholische Christen. Sie bedauern ihre Fehler und wollen eine neue Chance im Leben. Sie vermissen ihre Familien und sind bereit, sich zu ändern. Wir Franziskaner unterstützen die Insassen im Montero-Gefängnis bereits seit vielen Jahren. 2022 haben wir zudem ein Team von Freiwilligen gebildet. Wir versuchen, die Gefangenen mit den nötigsten alltäglichen Dingen zu versorgen, ihnen eine medizinische Grundversorgung anzubieten und ihnen auch menschlich und spirituell beizustehen. Resozialisierung durch Bildung Jeden Montagnachmittag finden Besuche mit der Freiwilligengruppe statt. Die Inhaftierten sehen unseren Besuchen mit großer Freude entgegen. Wir konnten außerdem erreichen, dass die Zeit im Gefängnis keine verschwendete Zeit ist, da sich die Gefangenen hier mittlerweile auch aus- und weiterbilden können. Berufsausbildungskurse in der Schneiderei, Tischlerei, im Bereich Informatik, Metallurgie und Landwirtschaft werden angeboten. Kürzlich wurde eine Ausbildung in der Bäckerei ergänzt. All das ermöglicht den Insassen, nach Beendigung ihrer Haftstrafe wieder in die Gesellschaft einzutreten und neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu finden. Es ist sehr wichtig, dass alle Gefangenen das Gefühl haben, geliebte Kinder Gottes zu sein, dass Gott sie trotz ihrer Fehler zu einem neuen Leben ruft und ihnen eine neue Chance gibt. In diesem Sinne leisten wir auch spirituelle Unterstützung und wir kümmern uns um das sakramentale Leben der Inhaftierten. Wir betreuen sie seelsorgerisch mit Feiern der Heiligen Messe, Beichten, Vorbereitung auf Taufen, Erstkommunion und Firmung. Die Gefangenen selbst haben darum gebeten, dass ein Priester mindestens zweimal im Monat kommt, um mit ihnen zu sprechen und ihnen die Beichte abzunehmen. Es tut den Insassen gut, mit jemandem reden zu können. Sie durchleben schwere Zeiten, das Leben hat sie hart getroffen. Viele haben den Wunsch, sich mit Gott und ihren Familien zu versöhnen. Als Franziskaner haben wir den Auftrag, zu den Menschen am Rand der Gesellschaft zu gehen. Ich spüre, die Gefängnisseelsorge ist ein Ort, wo wir am meisten gebraucht werden. Der Autor Ronald Ramiro Armijo Zelada ist Provinzialminister der Kustodie des heiligen Franz von Assisi in Bolivien. In Montero begleitet er zusätzlich zu seinen Aufgaben als Provinzkustos die Sozial- und Gefängnispastoral in der Pfarrei Nuestra Virgen de Las Mercedes. Übersetzung aus dem Spanischen: Pia Wohlgemuth 22 | 23
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