Franziskaner Mission 3 | 2023

Da er erst seit einem halben Jahr im Amt ist, hat er viele Niederlassungen noch nicht als Provinzial besucht. Die vietnamesische Franziskanerprovinz umfasst rund 230 Franziskaner in 29 Niederlassungen. Der Altersdurchschnitt liegt zwischen 40 und 50 Jahren. Derzeit hat die Provinz 100 Franziskaner in Ausbildung. Im Ausbildungshaus Thu Duc in Saigon sitzen uns mindestens 40 junge Franziskaner gegenüber, die uns nach der Lebenswirklichkeit der Kirche und des Ordens in Deutschland und nach dem Leben und Wirken der Mitbrüder befragen. Es ist zu spüren, dass sich die jungen Männer das, was wir da von Deutschland erzählen – von den vielen traditionsreichen Häusern und den betagten Mitbrüdern sowie von den Umbrüchen und Abbrüchen in Kirche und Orden – nur schwer vorstellen können. Die aktuelle Ausbildungssituation in der vietnamesischen Provinz dürfte starke Ähnlichkeit haben mit den Ausbildungsbedingungen in den deutschen Ordensprovinzen der 1960er Jahre, als ganze Internatskurse direkt nach dem Abitur gemeinsam mit der Ordensausbildung begonnen haben. Provinzial John, Chi Thien und ich werben bei unseren Gesprächen mit den jungen Franziskanern dafür, einmal zu überlegen, ob nicht ein längerer DeutschlandAufenthalt spannend für den einen oder anderen von ihnen sein könnte. Freilich: Sollte sich ein Bruder dafür entscheiden, wird das für ihn wohl zu einem Kulturschock führen. Das Milieu der circa acht Prozent Katholiken in der Gesellschaft Vietnams ist weder von Individualisierung noch von Säkularisierung geprägt, wie das bei uns gesellschaftlich der Fall ist. Die Gottesdienstbesucherzahlen sind in Vietnam enorm hoch; die Kirche hier ist jung, wachsend und missionarisch unterwegs. Im Norden des Landes gibt es gerade in den ländlichen Regionen neue Gemeinden, die sich, bis sich etwas Besseres findet, in Privathäusern treffen, um dort Gottesdienst zu feiern. Eine Aufbruchstimmung wie seinerzeit in der Apostelgeschichte! Allerdings kosten die Auseinandersetzungen mit den örtlichen, sozialistisch geprägten Behörden um die Genehmigung von Versammlungen, Gottesdiensten oder womöglich sogar zum Kirchbau immer wieder viel Kraft und Nerven. Besonders berührt haben mich unsere Besuche in den Dörfern der ethnischen Minderheiten der Ba Na, der Gia Rai und der M'ong im zentralen Hochland bei Pleiku und Kon Tum. Die Franziskaner ermutigen die Menschen hier durch ihre Seelsorge und durch Sozial- und Bildungsarbeit, ihre Minderheitenkultur zu pflegen und gleichzeitig durch Bildungsmaßnahmen ihre Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe zu verbessern. Schulbildung und berufliche Ausbildung erweisen sich auch hier als Schlüssel zur Armutsbekämpfung. Einige Mädchen aus dem Internat in Sa Thay, Kontum, übergaben Bruder Markus ihren selbst geernteten Honig. Der Gong ist eng mit der Spiritualität und dem Leben von ethnischen Minderheiten in Vietnam verbunden (Lang Bo, Pleiku). Der missionarisch pastorale Ansatz der Franziskaner legt dabei Wert auf Inkulturation. Die traditionelle Musik und die Tänze werden beispielsweise integriert in die Liturgie. Beeindruckend ist die musikalische Begleitung mit verschiedenen Gongs und Percussion-Instrumenten. Auch die Kirchbauten ähneln den üblichen bambusgedeckten StelzenHäusern der Menschen vor Ort und sind optisch weit entfernt von den kolonialen Kirchen- und Klosteranlagen in manchen Metropolen Lateinamerikas. Zwei Wochen unterwegs in der vietnamesischen Franziskanerprovinz – eine intensive Zeit des interkulturellen Lernens und Brücken- Bauens, eine Zeit, für die ich sehr dankbar bin. Der Autor Markus Fuhrmann ist Provinzialminister der Deutschen Franziskanerprovinz. Zuvor war er Wohnungslosenseelsorger in Köln sowie Sekretär für Mission und Evangelisierung der Ordensprovinz. 32 | 33

RkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=