Der Autor Niklaus Kuster ist Mitglied der Schweizer Kapuzinerprovinz, promovierter Theologe und Franziskusforscher. Er lehrt Spiritualität und Kirchengeschichte an der Universität Luzern sowie an den Ordenshochschulen in Münster und Madrid. Ein Buch aus dem 14. Jahrhundert zeigt ein Treffen zwischen dem in der Mitte knienden Heiligen Franziskus und Papst Innozenz III. Keine »anderen Regeln« Im Ringen um die definitive Regel reagierte Franz an einem Kapitel vehement gegen das Ansinnen, Normen aus bewährten Ordensregeln einzubeziehen: »Weder die des heiligen Augustinus, noch die des heiligen Bernhard oder des heiligen Benedikt« sollen Anleihen liefern (FQ 1105-1106). Franz lehnt die klassischen Regeln für Mönche und für Chorherren sowie die Konstitutionen der Zisterzienser ab, weil sie das Leben von einzelnen und von Gemeinschaften derart detailliert ordnen, dass das Evangelium als wahre Lebensordnung überhört werden kann. Als seine Stellvertreter 1219 während seiner Orientmission an einem »Seniorenkapitel« in Assisi monastische Fasten- und Abstinenzregeln einführten, ließ Franz diese nach seiner Rückkehr rückgängig machen: Maßgeblich sind keine noch so bewährten monastischen Normen, sondern das Evangelium und Jesu Rat an seine Jünger: »Esst, was die Menschen euch anbieten« (Lk 10: FQ 91 und FQ 976-977). »Je nach Ort und Zeit« Martin Luther wird Franz dafür preisen, dass er »durch den Geist aufs höchste glühend voller Weisheit sagte, seine eigentliche Regel sei das Evangelium Jesu Christi« (WA 8, 579). Dieses wird in den Regelfassungen von 1221 und 1223 in ihre Zeit und in das brüderliche Wanderleben gedeutet. Dass dies »je nach Ort und Zeit und Klima« (FQ 97) anders erfolgen muss, zeugt vom Bewusstsein, dass die Konkretisierungen der definitiven Regel zeitbezogen sind. Wein reift in Fässern, lagert in Flaschen und wird aus passenden Gläsern getrunken, doch so unverzichtbar feste Gefäße sind, wesentlich und kostbar ist ihr flüssiger Inhalt. Inspiriert von Gedanken von Bert Hellinger lässt sich bildhaft schließen: Der Geist füllt, was die Form umfasst. Die Liebe ist der Wein und die Form der Krug. Das Leben fließt und die Form sammelt. 9
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