zwischen der Eucharistie, in der Gott sich so demütigt, dass er sich unter den Händen des Priesters in Brot verwandelt, und Bethlehem, wo Gott sich so demütigt, dass er als Kind unter Tieren geboren wird. In der »Ersten Ermahnung« an seine Brüder erklärt er ihnen: »Seht doch, täglich erniedrigt er sich (der Sohn Gottes), wie er einst vom königlichen Thron herab in den Schoß der Jungfrau kam. Täglich kommt er selber zu uns und zeigt sich in Demut. Täglich steigt er aus dem Schoß des Vaters in den Händen des Priesters herab auf den Altar.« Franziskus jubelt Während der Eucharistiefeier singt Franziskus, in Levitengewänder gekleidet – denn er war Diakon –, mit wohlklingender Stimme das Evangelium. Das war kein Theaterspiel: Es war ein feierlich gesungenes Hochamt, in dem er auch predigte. Thomas von Celano berichtet: »Dann predigt er dem umstehenden Volk von der Geburt des armen Königs und bricht in lieblichen Lobpreis über die kleine Stadt Bethlehem aus.« Der Kontrast besteht zwischen dem König und dem Armen: Jesus ist der König, zu dem die Sterndeuter aus dem Morgenland kommen, um ihn anzubeten, aber er ist auch ein armes Kind, so arm, dass es mitten unter Tieren geboren und in eine Krippe gelegt wird. Wie so oft bei Franziskus, beschränkt er sich nicht allein aufs Predigen: Er verkündet das Evangelium mit Leib und Seele; einmal geschah es vor dem Papst, dass Franziskus sogar anfing zu tanzen! In dieser Feier ist es die Art und Weise, wie Franziskus die Worte betont und die Aufmerksamkeit der Anwesenden weckt: »Oft, wenn er Christus ›Jesus‹ nennen wollte, nannte er ihn, von übergroßer Liebe erglühend, nur ›das Kind von Bethlehem‹, und wenn er ›Bethlehem‹ aussprach, klang es wie von einem blökenden Lämmlein.« Und jedes Mal, »wenn er das ›Kind von Bethlehem‹ oder ›Jesus‹ nannte, dann leckte er gleichsam mit der Zunge seine Lippen«, als wolle er die Süßigkeit dieser Worte schmecken und festhalten. Für Franziskus ist der Name Gottes nicht »unaussprechlich« wie in der Tradition des Alten Testaments und des Frühen Mittelalters. Für ihn ist der Name Gottes im Gegenteil so süß, dass er geschmeckt und genossen werden kann und den Mund mit großer Süßigkeit erfüllt. Gott ist für ihn immer der Höchste, der König der Könige, der Herr der Herren, aber ein König und Herr, der sich entschied, arm zu werden, Mensch zu werden in einem Kind, das auf dem Weg geboren wurde. Jesus – am Weg geboren Die Liturgie des Weihnachtsfestes in Greccio war gewiss nicht improvisiert, denn viele Jahre hatte Franziskus dieses Geheimnis betrachtet. Das bezeugt das von ihm verfasste »Offizium vom Leiden des Herrn.« Darin erinnerte er sich täglich an die letzten Augenblicke im Leben Jesu. Ein Psalm dieses Offiziums ist dem Weihnachtsfest gewidmet mit dem Jubelruf: »Das ist der Tag, den der Herr gemacht hat, an ihm lasst uns jubeln und frohlocken. Denn das heiligste, geliebte Kind ist uns geschenkt und geboren für uns am Weg und in eine Krippe gelegt worden, weil es keinen Platz in der Herberge hatte.« Er benutzt Worte des Weihnachtsevangeliums und betont: Jesus wurde für uns »auf dem Weg« geboren. Im Evangelium steht der Ausdruck »am Weg« nicht. Sein Gedanke, dass Jesus »auf dem Weg« geboren wurde, betont: Das Kind war ein Flüchtling, ein Obdachloser und Pilger. Zur gleichen Zeit, als Franziskus das Gedächtnis von Bethlehem in Greccio feiern wollte, verfasste er die »Erste (vom Apostolischen Stuhl nicht anerkannte) Ordensregel« für seine Brüder. Darin steht der wichtige Satz: »[Die Brüder] müssen sich freuen, wenn sie sich unter unbedeutenden und verachteten Leuten aufhalten, unter Armen und Schwachen, Kranken und Aussätzigen und Bettlern am Wege.« Auch hier findet sich der Ausdruck »am Weg«. Die Brüder sollen glücklich sein, wenn sie unter denen leben, die »am Weg« leben, genauso wie Jesus »am Weg« geboren wurde. Leben »am Weg« ist ein Herzensanliegen Jesu für seine Nachfolge, so die Belehrung des Franziskus. Vision des Giovanni Was geschah in dieser Nacht in Greccio? Zusammenfassend kann man sagen: Franziskus ließ ein festliches Hochamt in einem Stall, aufgebaut in einer Höhle, feiern, mit einem Altar über einer Krippe, mitten unter Tieren. Dort sang er das Weihnachtsevangelium und predigte darüber. In dieser Feier und mit seiner Predigt hatten die Anwesenden den Eindruck, das Kind, über das er predigte, deutlich zu sehen. Noch besser bezeugt es einer der Teilnehmer, vermutlich derselbe Herr Giovanni (den Franziskus gebeten hatte, alles für die Feier vorzubereiten), mit seiner wunderbaren Vision: »Er sah in der Krippe ein lebloses Knäblein liegen; zu diesem sah er den Heiligen Gottes hinzutreten und das Kind wie aus tiefem Schlaf erwecken.« Für Thomas von Celano ist dieses Zeugnis bedeutsam und er schreibt: »Gar nicht unzutreffend ist diese Vision; denn der Jesusknabe war in vielen Herzen vergessen. Da wurde er in ihnen mit Gottes Gnade durch seinen heiligen Diener Franziskus wieder erweckt und zu eifrigem Gedenken eingeprägt.« Oft glaubte man, im Mittelalter sei jeder von Natur aus Christ gewesen. Das Gegenteil war der Fall: Gott schien in dieser Zeit in den Herzen vieler Menschen wie tot oder zumindest schlafend. Die Feier von Greccio schaffte es, in den Herzen der Anwesenden das Bewusstsein von Gottes Gegenwart im Leben der Menschen neu zu wecken. Franziskus scheint die Menschen seiner Zeit daran erinnern zu wollen: Gott existiert, ja, Gott ist uns Menschen so nah gekommen, dass es möglich ist, ihm in einem Kind, das arm am Weg geboren wird, zu begegnen. Der Autor Marco Bartoli ist Professor an der Päpstlichen Franziskaner-Universität Antonianum in Rom, an der Universität Perugia in Italien und Mitglied der Internationalen Gesellschaft für Franziskanische Studien. Übersetzung aus dem Italienischen: Heinrich Gockel ofm Darstellung im Kloster von Greccio: Franziskus, wie er damals dort das Kind in der Krippe betrachtet 7
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