Franziskaner Mission 4 | 2023

HIRTEN Als ich die Bitte erhielt, einen Artikel aus der Perspektive eines Hirten, der an Krippe steht, zu schreiben, war ich im ersten Moment überrascht. Hier handelt es sich um einen sehr deutlichen Perspektivwechsel. Die Perspektive war nun nicht mehr von demjenigen, der an einer Weihnachtskrippe steht, das ganze Geschehen auf sich wirken lässt, sondern man ist mittendrin im Geschehen. Auf einmal merkte ich, dass dieser Perspektivwechsel etwas in mir ausgelöst hat, woran ich so noch nicht gedacht habe. Sorgende Hirten Hospitalschiff am Amazonas TEXT UND FOTOS: Dom Johannes Bernardo Bahlmann ofm Natürlich kamen mir sofort auch die Bilder des heiligen Franz von Assisi in den Sinn, der ja die Krippe aus Menschen und Tieren in der Weihnachtsnacht auf dem Berg in Greccio lebendig werden ließ. Das war einfach fantastisch, auf einen solchen Gedanken zu kommen, um dieses große Geheimnis der Menschwerdung Gottes in konkreter und lebendiger Weise selbst zu betrachten und den Menschen zu zeigen. Aber gleichzeitig kamen auch Bilder in mir hoch, die mich nach Bethlehem in die Geburtsgrotte führen und zu der Frage, wie es wohl konkret gewesen sein mag, vor allem aus der Perspektive der Hirten, die damals bei diesem wunderbaren Geschehen dabei waren. Die Perspektive ändert sich komplett: der Blick auf Jesus in der Krippe sowie auf Maria und Josef und alle Beteiligten; teilnehmen zu können an der Menschwerdung Gottes und Hirte zu sein, sich um die zu kümmern, die bei der Offenbarung Gottes dabei sind und das in ihrem Leben erfahren. Zuerst einmal ist man in der Rolle so richtig dicht an der Geburt Jesu Christi, dem Sohn Gottes, und man kann helfen, dass es ihm gut geht. Es ist ja auch irgend- wie ein Kümmern, ein Staunen und ein Anbeten. Ein ganz integrales Sein, was alles miteinander verbindet: Gott, und die Schöpfung. Das ist für einen Hirten im Amazonasgebiet auch immer wieder die Frage: Wie kann ich dafür sorgen und mich darum kümmern, dass Gott, die Menschen und letztendlich die ganz Schöpfung miteinander verbunden sind? Als Außenstehender oder als Zuschauer wird das eventuell anders wahrgenommen. Jedoch als sorgender Hirte ist die Perspektive ganz anders, da man unmittelbar vor der Herausforderung des »Sich-Kümmerns« steht und Position beziehen muss. Der Bischof wird zum sogenannten Kümmerer. Als Hirte am Amazonas gehören herausfordernde Situationen zum alltäglichen Leben. Dabei ist das Leben aus dem Wort Gottes sehr wichtig, weil es uns den Weg und die Lösungen zeigen kann. Die Erfahrung, aus dem Glauben und aus der Heiligen Schrift seinen Tag zu gestalten, gibt uns Halt und Sicherheit, auch in turbulenten Zeiten. Brüder für Hospital Vor über zehn Jahren wurde mir das Hospital in Óbidos ans Herz gelegt. Ich selbst sah es mit eigenen Augen, dass dieses Krankenhaus, das sich in einer allgemeinnützigen Trägerschaft befand, in einem miserablen Zustand war. Die Leitung und Einwohner der Stadt wiesen darauf hin, dass das einzige Hospital im Landkreis mit 50.000 Einwohnern vor dem Ende stand und seine Türen schließen müsste. Nur der Gedanke daran bereitete mir große Sorgen. Das nächste Krankenhaus war im 120 Kilometer entfernten Santarém und nur mit dem Schiff zu erreichen, acht Stunden den Amazonas flussabwärts. Türen kann man schließen, aber die eigenen Augen nicht. Durch Fügung traf ich Frei Francisco Belotti, Ordensgründer einer neuen franziskanischen Gemeinschaft, die hauptsächlich im Krankenpflegebereich tätig ist. Ich wusste nichts von seinem Gespräch mit Papst Franziskus in Rio de Janeiro, im Jahr 2013 im Rahmen des damaligen Weltjugendtages. Der Papst hatte ihn gefragt: »Bruder Franziskus, bist Du schon in Amazonien?« Daraufhin antwortete dieser: »Nein.« Und die darauffolgenden Worte des Heiligen Vaters waren wegweisend: »Dann musst Du dahin gehen!« Aus diesen paar Worten und dem Ruf des Hirten nach Óbidos wird eine neue Geschichte der Krankenpflege in Amazonien geschrieben. Es dauerte nicht lange und Frei Francisco kam mit seinen Brüdern, den »Franziskanern von der Vorsehung Gottes«, nach Óbidos und sie übernahmen das Hospital. Trotz der politischen und finanziellen Schwierigkeiten ist die Zukunft unseres Krankenhauses vorerst gesichert. Das Wunder der Menschwerdung Gottes zeigt sich auch an den vielen Frauen und 20

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