Franziskaner Mission 4 | 2023

Der Autor Chi Thien Vu ofm mit Bewohnern der franziskanischen Sozialeinrichtung in Can Tho’ die Menschheit ist. Wirklichkeit und hoffnungsvolle Zukunft scheinen starke Gegensätze zu sein. Um eine ersehnte menschenwürdige Zukunft für die Notbedürftigen zu realisieren, zeigen Menschen Nächstenliebe und ergreifen vielfältige Initiativen. Die Straße als Zuhause Ein weiteres Problem in Vietnam ist das Schicksal der Straßenkinder. Zehntausende Kinder leben ohne Eltern und Angehörige auf den Straßen Vietnams. Die Zahl ist vermutlich sogar noch höher. Kinder, die aus Armut in die Großstadt ziehen, irren Tag und Nacht umher, um zu betteln. Ungeschützt werden sie im schlimmsten Fall von Menschenhändlern verschleppt und in die Nachbarländer verkauft. Do Duy Vi, der einst ein obdachloses Kind war und auf den Straßen von Hanoi lebte, ist jetzt für viele eine Rettung. Er kümmert sich um diese Kinder und gibt ihnen ein Dach über den Kopf. Die Organisation »Blue Dragon Children’s Foundation«, die ihm einst selbst geholfen hat, nimmt den Kindern die Angst und sorgt für ein neues Urvertrauen gegenüber Fremden. Ein anderes Problem in den Städten: Da das Gesundheitswesen in Vietnam schlecht ist, müssen Menschen in schweren Krankheitsfällen in die Großstädte gehen, um dort behandelt zu werden. In den ländlichen Gegenden gibt es keine guten Krankenhäuser für spezielle Behandlungen. Wer Bekannte oder Angehörige in den Großstädten hat, braucht sich nicht um eine Unterbringung zu kümmern. Viele haben aber diese Möglichkeit nicht und müssen so – auch in kalten Nächten – im Freien übernachten. »Da trat ein Engel des Herrn zu ihnen und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie und sie fürchteten sich sehr. Der Engel sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.« Wie kann man angesichts dieses Elends die Frohe Botschaft, die von den Engeln ausgegangen ist, weitergeben und erlebbar machen? Die Botschaft beinhaltet »fürchtet euch nicht«, »große Freude« und »das Kind in der Krippe«. Gott macht sich klein und erniedrigt sich selbst und wird Mensch. Vor dem kleinen Gott in der Krippe darf man keine Angst haben, weil er auf Augenhöhe mit uns Menschen ist. Würde für Kranke Die franziskanischen Schwestern und Brüder in Vietnam versuchen, diese Frohe Botschaft von der Menschwerdung Gottes in die Tat umzusetzen. Im Bereich der psychischen Erkrankungen nimmt die Zahl der Betroffenen immer mehr zu. Sie werden meist unzureichend behandelt, weil in der Regel Fachkräfte fehlen. Durch kulturelle Stigmatisierung und fehlende Sensibilisierung für diese Krankheiten bekommen die Betroffenen oft zusätzlich keine Möglichkeit zur Behandlung. Es ist ein Tabu, über psychische Krankheiten zu sprechen, weil man sich zum Beispiel schämt, einen Betroffenen in der Familie zu haben. Die psychisch erkrankten Menschen werden medizinisch und therapeutisch nicht ausreichend behandelt. In den meisten Fällen werden nur Medikamente eingesetzt, um die Patienten ruhigzustellen, jedoch nicht zu heilen. Therapeutische Maßnahmen kommen sehr selten vor. Die Stigmatisierung zerstört die Würde der Kranken. Sie werden als »abnormal« und für »verrückt« erklärt. Dementsprechend werden sie verstoßen und an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Viele Betroffene zeigen sich in den Großstädten verwirrt und ernten oft nur Verachtung. Oftmals wird eine Erkrankung als Strafe Gottes gesehen. Man glaubt, wenn jemand aus der Familie psychisch erkrankt ist, würde es an den Vorfahren liegen, weil sie sich gegenüber dem Himmel versündigt hätten. Solche Vorstellungen sind Ursache für Obdachlosigkeit und Stigmatisierung von psychisch Kranken in Vietnam. In einer Gesellschaft mit solchem Denken wird die Menschenwürde mit Füßen getreten und der Mensch als Geschöpf Gottes verachtet. Vor rund acht Jahren begannen die Franziskaner in der größten Stadt in Südvietnam, in Can Tho’, Fürsorge für geistig Behinderte in dem Heim »An Phuc« zu tragen. Das Haus wurde auch von der Franziskaner Mission mitfinanziert. Darin finden rund 60 geistig behinderte Menschen ein Zuhause. Die Bewohner des Heimes sind durch schlimme Schicksalsschläge krank geworden. Andere sind von Geburt an geistig erkrankt. Weitere wiederum lebten jahrelang obdachlos auf den Straßen. Es existieren bereits zwei Heime für geistig behinderte Menschen, die vom Staat geleitet sind. Diese Heime können jedoch nicht alle Kranken aufnehmen. Somit sehen die franziskanischen Schwestern und Brüder ihre Aufgabe darin, in diesem Bereich mitzuwirken. Sie versuchen, den Betroffenen ihre Würde wiederzugeben. Durch einen mitmenschlichen Umgang und eine geregelte Tagesstruktur erhalten die Kranken ein neues Zuhause und können ihr verlorengegangenes Selbstwertgefühl wiedererlangen. Und so wurden Stall und Krippe ein Ort für die Geburt Jesu, von wo aus das Heil der Welt seinen Anfang nimmt. Der Autor Chi Thien Vu gehört zur Deutschen Franziskanerprovinz und lebt als Seelsorger im Franziskanerkonvent Dortmund. Als er zehn Jahre alt war, sind er und seine Familie als sogenannte Boatpeople aus Vietnam geflüchtet und mit Hilfe der »Cap Anamur« nach Deutschland gekommen. 27

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