TEXT UND FOTO: Rodrigo de Castro Amédée Péret ofm Heute gibt es in Brasilien sechs Millionen Familien, die obdachlos sind oder in prekären Wohnverhältnissen leben. Hunderttausende kampieren in Zelten aus Plastikplanen, auf der Suche nach einer Unterkunft. Sie wollen ein Stück Land, auf dem sie leben können. Es sind arme, einkommensschwache Familien, die kaum Miete zahlen können. Sie sind auf der Suche nach einem Haus, einem Zuhause. Wie diese Familien sind Millionen von Menschen in unserer Welt unterwegs und suchen eine Bleibe: Einwanderer und Flüchtlinge. Im Evangelium lesen wir: »Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel des Himmels ihre Nester, der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.« (Matthäus 8,20) Wenn unsere Augen in eine Krippe blicken und das Jesuskind neben seinen Eltern, Maria und Josef, und umgeben von Tieren sehen, ist es leicht zu verstehen, dass das Paar keine andere Wahl hatte. Sie mussten in einem Stall übernachten, um ihren Sohn zur Welt zu bringen. Sie mussten in den Stall eines anderen einziehen. Heute würden einige Leute sagen, dass sie sich unbefugt auf fremdes Eigentum oder Land begeben haben. Und heute noch Millionen von Menschen darum, eine Unterkunft zu finden – sei es auf der Straße, in Heimen oder bei der Sozialhilfe. Diese Realität besteht tagtäglich in vielerlei Hinsicht und macht deutlich, wie dringend notwendig Solidarität und Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft sind. Unser Erlöser wurde in eine Besetzungssituation hineingeboren, eine Stallbesetzung durch ein in Not geratenes Paar, mit einer schwangeren Frau, die kurz vor der Entbindung stand. Es mag uns wie eine unbedeutende Besetzung erscheinen, aber dieses Paar repräsentiert die gesamte Menschheit. Sie sind nicht dort geblieben, sondern wurden gezwungen, das Land schnell zu verlassen, weil das Leben des Kindes bedroht war. Sie sind nach Ägypten geflohen. In Wirklichkeit hat dieses Kind unsere Herzen, unser Leben und unsere Geschichte eingenommen. Und diese Familie wurde für uns Christen zum Vorbild für alle Familien der Menschheit. Die Natur empfing sie mit Freude, ein Stern kündigte die Geburt Jesu an, die Tiere in jenem Stall waren Zeugen dieser Geburt. Die armen Hirten kamen, von den Engeln informiert, zu Besuch. Und sogar die Könige kamen, um das Kind anzubeten und dem Gotteskind in seiner Lage beizustehen. Die Geschichte dieses Fotos verrät viel über die Botschaft der Krippe von heute. Es zeigt, was sich vor einigen Jahren hier in der Stadt, in der ich lebe, ereignete. Und was in Brasilien immer wieder vorkommt. Es geht um einen kleinen Jungen, der in Tücher gewickelt auf Schaumstoff auf einem schmutzigen Boden lag. Er schlief friedlich am Vorabend der geplanten Räumung von Obdachlosenfamilien. Seine Familie und andere Menschen hatten in der Stadt Uberlândia im Südosten Brasiliens ein ungenutztes städtisches Gelände besetzt und dort ein Lager errichtet. Im Morgengrauen wurden sie von der Polizei geräumt, und die Familien hatten wieder einmal kein Dach über dem Kopf. Kein Platz in der Herberge? Unser Schutz ist das gemeinsame Haus sie würden sicherlich schreien, man solle sie vertreiben, hinauswerfen! Die Parallele zum Leben von Obdachlosen, Einwanderern und Flüchtlingen ist nicht zu übersehen. Denn Maria und Josef hatten keine eigene Wohnung. Das Lukasevangelium schreibt: »Als sie dort waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.« (Lukas 2,6-7) Notwendige Solidarität Wir können uns verschiedene Fragen stellen, warum Josef keinen geeigneteren Ort für die Geburt Jesu finden konnte. Es ist jedoch wichtig, dass das Wunder der Weihnachtsbotschaft und die Schönheit der heutigen Krippen uns nicht vergessen lassen sollten, was diese Situation offenbart. Die Krippe, der Futtertrog für die Tiere, in dem das Gotteskind ruhte, erinnert uns an die Schwierigkeiten, mit denen Obdachlose, Migranten und Flüchtlinge konfrontiert sind. Sie haben keinen angemessenen Ort, den sie ihr Zuhause nennen können. Sie haben kein Obdach. So wie es in der Herberge keinen Platz für Maria und Josef gab, so kämpfen auch WIRT 28
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