Liebe Leserin, lieber Leser! Schon wieder ein Jubiläum: Vor genau 800 Jahren organisiert Franz von Assisi in der Heiligen Nacht in Greccio im Rieti-Tal, gut 80 Kilometer nordöstlich von Rom, eine Weihnachtsfeier, die so originell ist, dass sie bis heute eine weltweite Krippenfrömmigkeit inspiriert. Einzelheiten kann ich mir hier sparen, das vorliegende Heft wird Sie zur Genüge darüber informieren. Jubiläen muss man feiern. Aber wie? Sicherlich werden dieses Jahr an Weihnachten besonders viele Krippen aufgestellt, Krippenspiele aufgeführt und Krippenwege angelegt. Und das ist gut so. Ich selbst bin ein großer Krippenfreund. In den Weihnachtstagen verweile ich gerne vor einer Krippendarstellung. Und in einer Zeit, in der immer mehr Menschen nicht mehr wissen, was wir Christen an Weihnachten eigentlich feiern, ist jede Krippe auch eine Verkündigung. Zumindest kann sie neugierig machen. So sehr ich also Krippen auch mag, die 800-Jahr-Feier von Greccio verdient mehr als eine Krippenbastelei, die leicht in eine verspielte Idylle kippt. Genau darum ging es Franziskus gerade nicht. In der Heiligen Nacht von 1223 inszeniert er für sich und die anderen einen Schock: Er wollte, so schreibt es sein erster Biograf, »die bittere Not, die das Kind von Bethlehem zu leiden hatte, wie es in eine Krippe gelegt, an der Ochs und Esel standen, und wie es auf Heu gebettet wurde, so greifbar als möglich mit leiblichen Augen zu schauen«. Bittere Not greifbar anschauen! Auf diese Not gestoßen werden ohne die Möglichkeit zum Wegschauen. Not miterleben, sich von der Not ergreifen lassen. Das ist so ziemlich das genaue Gegenteil von gutbürgerlichen Weihnachtserwartungen. Das kann einem die schönste Heilige Nacht verderben! Aber darum ging es Franziskus. Wie wäre es also mit einem »alternativen Krippenweg«? Ich mache mich auf den Weg zu Menschen, die heute ausgeschlossen werden und draußen sind. Geflüchtete und Migranten. Aber vielleicht auch Bekannte im Seniorenheim. Oder Menschen, die einfach anders sind und darum scheinbar stören. Ich entdecke Orte der Menschwerdung in meiner nächsten Umgebung: eine Beratungsstelle für Suchtkranke, eine Obdachlosenunterkunft, die Kita um die Ecke, eine inklusive WG oder das Mehr-GenerationenWohnprojekt. Ich lasse mich ein ins Gespräch mit den »Hirten« von heute, Menschen am Rand, die sich nach Erlösung sehnen. Aber ich suche ebenso die Begegnung mit den Sterndeutern, den Weisen und Magiern von heute, den Suchenden, die von ganz woanders kommen und fragend unterwegs sind nach einem Ort, an dem sie so etwas wie Sinn und Erfüllung erfahren. Das wäre einmal eine neue Form des Krippenspiels. Viele Proben braucht man da nicht. Dieses Krippenspiel ist immer live und immer überraschend anders. Es ist gut, dass wir Krippen bauen, 800 Jahre nach Greccio. Aber es ist genauso wichtig, dass wir Orte der Menschenwerdung schaffen. Das versuchen wir Franziskaner in unserer weltkirchlichen Arbeit. Und auch darüber berichtet das vorliegende Krippen-Heft. Ich wünsche Ihnen gesegnete Weihnachtstage. P. Cornelius Bohl ofm Sekretär für Mission und Evangelisierung TITEL Das Original unseres Titelbildes befindet sich in der Taufkapelle der Kathedrale von Santa Cruz del Quiché, Guatemala. Die einheimische Malerin Rosamaría Pascual de Gámez hat dieses übergroße Wandgemälde im Jahr 2009 geschaffen. Das Kunstwerk zeigt die Heilige Familie als Angehörige der Maya-Quiché – eines indigenen Volkes mit einer bis heute andauernden Geschichte von Diskriminierung. Die Menschwerdung Gottes in den konkreten Alltag hinein will auch das Schicksal dieses leidenden Volkes vermenschlichen. 3
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