Franziskaner Mission 4 | 2023

Sich den anderen zeigen Der Name »Estrellas en la Calle« bedeutet übersetzt »Sterne auf der Straße«. Ich fragte mich, woher der Name eigentlich kommt. Wenn ich an Sterne denke, dann sind es die hell leuchtenden Himmelskörper, die nachts am Himmel zu sehen sind, oder die »Stars« aus den Medien. Doch nachdem ich mich mehr mit meinem Projekt und der Leitidee in der Vorbereitung auf mein FSJ beschäftigt habe, habe ich auch verstanden: Es geht um die Menschen auf der Straße, aus ärmeren Verhältnissen, die oft ignoriert werden. Diesen Menschen möchte »Estrellas en la Calle« eine Richtung geben, ihnen helfen, sich zeigen zu können, scheinen zu können und gesehen zu werden. In Bolivien leben sehr viele Menschen in armen Verhältnissen und können sich einen so hohen Lebensstandard, wie ich ihn von zuhause in Deutschland kenne, nicht leisten. In Cochabamba habe ich oft auf den Märkten oder in Geschäften Jugendliche und Die Autorin Jadwiga Schurr aus Rachlau bei Wittichenau, 19 Jahre alt, war von September 2022 bis August 2023 in Bolivien. Dort hat sie in Cochabamba ein freiwilliges soziales Jahr in dem Projekt »Estrellas en la Calle« absolviert und so den Alltag und die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen kennengelernt. Jadwiga (erste Reihe vorn, rechts) mit Kolleginnen und Kindern aus dem Projekt »Estrellas en la Calle« Kinder gesehen, die gearbeitet haben. Manche waren gerade einmal vier oder fünf Jahre alt. Das hat mich aufmerksam gemacht und ich habe überlegt, ist Kinderarbeit hier nicht verboten? Sollten die Kinder nicht in der Schule oder im Kindergarten sein? Damals, am Anfang meines FSJs, war ich aber noch nicht mit den möglichen Umständen der Kinder und ihrer Familien vertraut. Ich hatte nur den einseitigen Blick auf ein traurig aussehendes Kind auf der Straße, das Süßigkeiten oder Obst verkauft und jedes Geld dankend annimmt. Bei der Arbeit im Projekt lernte ich viele dieser Kinder kennen, die nach der Schule arbeiten müssen, um ihre Familie finanziell zu unterstützen. Es gibt kaum Kinder, die in ihrer Freizeit nicht arbeiten. Dankbar für Privilegien Als ich in Deutschland meinen ersten Job hatte, war ich 16 und führte diesen auch nur gelegentlich in den Ferien aus, da ich während der Schulzeit zu beschäftigt war. Außerdem war meine Motivation, dass ich mir mein Taschengeld etwas aufstocken konnte. Ich musste nicht einen Teil meines Geldes an meine Eltern abgeben, damit diese etwa die Miete bezahlen oder ein Auto kaufen konnten. Aber ich glaube, wäre ich in der Situation wie einige der Kinder, welche ich kennengelernt habe, wäre es für mich wahrscheinlich auch ganz selbstverständlich. Mir fällt auf, wie dankbar ich dafür sein kann, mit all den Privilegien in meinem Leben aufgewachsen zu sein. Dankbar bin ich auch dafür, dass ich in diesem großartigen Projekt mitarbeiten durfte. Ich war von Anfang an begeistert und es berührte mich auch, dass sich alle Kinder und Betreuer so gut verstehen und alles nicht nur wie eine Familie wirkt, sondern diese auch tatsächlich ist. Die Großen achten auf die Kleinen und bei Fragen hilft jeder gerne weiter. Das schönste Gefühl war, als ich mich nach ein paar Monaten auch in dieser Familie aufgenommen fühlen durfte. Dieses Gefühl, angekommen zu sein und Teil eines Größeren sein zu dürfen, hat mich mehr als glücklich gemacht. Anderen den Weg weisen, so wie der Stern den Weg zur Krippe weist – das steckt hinter »Estrellas en la Calle«. Hier wird jeder respektiert und alle helfen sich gegenseitig. Da die Kinder und Jugendlichen im Elternhaus oft nicht die nötige Aufmerksamkeit bekommen, haben sie im Projekt die Möglichkeit zu leuchten. Wie schön war es, in meinem einen Jahr in diesem Projekt den Kindern zuzusehen, wie sie sich entwickeln und wie sie zeigen dürfen, wer sie sind. 31

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