Mitte Oktober 2019 in Betlehem: Ein jüdischer Führer spricht in einer Felshöhle, die an die »Geburtsgrotte« grenzt. In solchen Wohnhöhlen hätte damals eine Sippe mit ihren Kindern und Tieren gelebt. Eine niedrige Mauer trennte den Raum der Tiere vom Bereich der Menschen, die nachts auf Matten am Boden ruhten. Auf dieser Mauer und in den Höhlenwänden waren Vertiefungen für das Futter der Tiere. Nachts, wenn Menschen, Schafe und Ziegen schliefen, fanden Säuglinge darin einen bergenden Ort. Die Geburt Jesu werde von der christlichen Antike in diesem Milieu verortet: bei einfachen Leuten am Rand der kleinen Stadt. Nicht Wirtschaftsgebaren haben »Herbergen« verschlossen, sondern jüdische Reinheitsgebote. Die junge Jüdin Maria hätte nie im Leben daran gedacht, ihr Kind in einer Herberge zur Welt zu bringen. Karawansereien waren laut und es herrschte oft ein Gedränge – kein geeigneter Ort für eine Gebärende. Doch schwerer wogen religiöse Normen: Nach damaliger Überzeugung machte eine Geburt alle unrein, die irgendwie mit der Gebärenden selbst oder Orten, Gefäßen und Stoffen einer Geburt in Berührung kamen. Und Reinigungszeremonien waren aufwändig! Das Bild der Geburt Jesu in einer Wohnhöhle verortet die biblische Weihnachtserzählung zutreffender, als es die abendländische Tradition mit Stall und hartherzigem Herbergswirt tut. Müssten unsere Krippenspiele also umgeschrieben werden? Die erste Krippe? Herbergswirte kommen in der Krippeninstallation nicht vor, mit der Franziskus 1223 in der Heiligen Nacht von Greccio feierte. Der Poverello wird fälschlicherweise als Erfinder der Weihnachtskrippe bezeichnet. Die Tatsache, dass es schon vor Franziskus Krippendarstellungen gab, wird auch von modernen Historikern wie Dieter Berg übersehen, der den Irrtum in seiner Franziskusbiografie von 2017 wiederholt. Nachdem Franziskus das feierliche Papstschreiben mit dem definitiven Text der Ordensregel in Rom erhalten hatte, kehrte er nach Fontecolombo in den Sabinerbergen zurück und ver- brachte da den Advent zusammen mit Brüdern. Hier traf er Giovanni, den Herrn von Greccio, der ihn einlud, die Heilige Nacht mit ihm und Menschen des Tales in seinem Dorf zu feiern. Franz bat ihn, für die Feier eine Waldhöhle vorzubereiten, mit Panoramablick über das ganze Rietital. Thomas von Celano, der erste Biograf des Heiligen, beschreibt die Feier detailreich: Giovanni stattet die Höhle wunschgemäß mit Heu und Stroh aus. Ein Bauer führt einen Ochsen und einen Esel herbei. Schafe kommen dazu. Was in dieser Szene fehlt, war ein junges Paar mit einem Neugeborenen. Die Weihnachtsbotschaft bewegt die Anwesenden mit nie erlebter Ergriffenheit. Die Mitternachtsfeier spricht alle Sinne der Brüder und Talbewohnenden an: Ihre Nasen können das Stroh riechen, ihre Ohren die Tiere hören. Dass sich Gottes Liebe schutzlos und verletzlich als Kind in menschliche Arme gelegt hat, darüber predigt Franziskus mit Blick auf das Stroh in der Krippe. Diese blieb deshalb leer, weil der Bruder eine Brücke zur Eucharistie schlug, die über dieser Szene auf einem Tragaltar gefeiert wurde. Sahen Hirten damals Gottes Gegenwart in einem Friede allen Menschen Franziskus feiert Weihnachten in Greccio TEXT: Niklaus Kuster OFMcap | FOTO: Franziskaner Mission Die Rolle des Herbergswirts war unbeliebt in den Krippenspielen, die wir in der Volksschule zur Adventszeit aufführten. Wer schickt denn schon gern ein junges Paar, das die Geburt seines Kindes erwartet, hilflos in die Nacht? Ablehnung statt Mitgefühl? Geschäfte statt Menschlichkeit? So eindringlich die Spielszene ins Heute spricht, so verzerrend und falsch ist sie historisch! Baby, so zeigt sich diese heute im schlichten Brot des Altares. Die Weihnachtsfeier in einer Höhle von Greccio hat nicht nur innovative Kraft, die eine reiche Krippenspieltradition begründet und sich heute weltweit in allen Kulturen entfaltet. Sie hat im damaligen Kontext auch provokative Züge! Assisis Domportal stellt das Jesuskind in jenen Jahren keineswegs als »armen König« dar: Die Gottesmutter sitzt im romanischen Tympanon edel gekleidet auf einem Thron und trägt eine große Krone auf dem Kopf, während sie ihr Kind stillt. Macht und Hoheit kennzeichnen auch in einer Stadt, die den staufischen Grafen kurz zuvor verjagt und eine republikanische Ordnung eingeführt hat, die königliche Würde des Gottessohnes und seiner thronenden Mutter. Franziskus hatte jedoch als junger Kaufmann in Krise die Nähe des »lichtvollen Gottes, der über allem steht«, nicht in Assisis Kloster- und Stadtkirchen gefunden, sondern draußen vor den Toren: im desolaten Landkirchlein San Damiano! Eine Ikone zeigt den Gottessohn da ganz menschlich, halb nackt und schutzlos, mit offenen Augen, offenen Ohren, weit offenen Armen – am Kreuz und zugleich auferstanden. Indem Franziskus darauf mit seiner Stadt brach und nach San Damiano zog, um das zerfallende Kirchlein wiederaufzubauen, provozierte er Assisis Bürgerschaft: Nicht im Prachtdom San Rufino, der neuen Kathedrale für den Weltenherrscher, erfuhr er Gottes Zuwendung, sondern draußen vor den Toren, in einer ärmlichen Kapelle, einem Zufluchtsort der Randständigen und der Kirche des »armen Christus«. Es war der Anfang von Franziskus’ brüderlichem Leben. In Greccio bekräftigte er gegen Ende seines Lebens dieses Credo: Bereits 8
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