gescheitert, hatte jedoch im Islam eine Gottesfreundschaft und eine Menschenliebe gefunden, die ihn nachhaltig prägte. Hoffnung ohne Grenzen und Geschwisterlichkeit in der einen Menschheitsfamilie leuchtete auch in Passagen der Brüderregel auf, die das päpstliche Rom aus der eben approbierten Fassung wegstrich. Franziskus‘ Weihnachtsfeier erinnert nun daran, dass Gottes Liebe allen Menschen gilt und keine Gewalt sich auf das Evangelium berufen darf. Der Evangelist Matthäus, der die Flucht nach Ägypten erzählt, zieht gegen Ende seines Evangeliums ebenso ernste wie zeitlose Konsequenzen aus der Solidarität, die Gottes Sohn schon in seiner Geburt zu allen Menschen zeigt. Wo immer Menschen hungrig und durstig sind, findet sich Gottes Sohn an ihrer Seite. Wo Menschen nackt und fremd sind, lässt Christus sich mit ihnen kleiden und aufnehmen – oder übersehen und abweisen (Mt 25). Wenn Papst Franziskus heute Flüchtlinge an den Grenzen Europas »unsere Geschwister auf der Suche nach einer sicheren Zukunft nennt«, würde sein Vorbild aus Assisi hinzufügen: und sie sind die Lieblingsgeschwister des Gottessohnes, der selber »für uns am Weg geboren« ist. in seiner Geburt wagt sich Gottes Sohn ganz menschlich und verletzlich in die Welt. Sein irdischer Weg beginnt nicht in Rom, sondern in einem Winkel des römischen Imperiums. Die Geburt geschieht nicht im nahen Palast des Herodes, sondern unter einfachen Leuten. Sie macht keinerlei Schlagzeilen, sondern bewegt zunächst nur Hirten, Menschen am Rand. Pastorale Herausforderung Im Rietital schweift der Blick von den Felshöhlen der Brüder hinüber zum Dorf Greccio und seiner markanten Kirche. Wie seit vielen Jahren schon feiert der Pfarrer dort in jenem Jahr 1223 Weihnachten im lateinischen Messritus. Weit hinten in der Talebene leuchten zudem die Lichter der Stadt Rieti, wo der adelige Bischof das Geburtsfest Gottes in der Kathedrale pontifikal und im Palast rauschend zelebriert. Die Brüder sprechen 1223 in der Eremitage Greccio vom selben Gott wie der Bischof von Rieti – und doch konträr verschieden: ein Gott, der sich aussetzt und auf Stroh betten lässt, ein Gottessohn, der zwischen Schafen, Ochs und Esel zu finden ist, in kalter Nacht und von nackten Felsen umgeben, in menschliche Arme gelegt und an der Brust einer jungen Frau ruhend. Das brüderliche Krippenspiel in der Feier der Heiligen Nacht nimmt zunächst eine pastorale Herausforderung an: Sie macht Gottes Zuwendung fern der kirchlichen Binnenräume und traditioneller Liturgie in der Lebenswelt der Menschen spürbar. Soziale Provokation Im hohen Mittelalter hat die Feier zudem sozial provokative Kraft. Wem wendet Gott sich primär zu? Während sich Städte wie Assisi bürgerliche Freiheit erkämpften, blieb die Landbevölkerung weitgehend leibeigen und abhängig. Freie und gebildete Bürger schauten verächtlich auf Bauernfamilien außerhalb der Stadtmauern, die als kulturlos galten. Gottesgeburt draußen vor den Toren, zwischen Herdentieren, auf Heu und in einer Felshöhle! Franziskus hatte auch die soziale Provokation neu erfasst, die in der biblischen Weihnachtserzählung mitschwingt. Gottes Sohn beginnt seinen Weg von Hirten bewundert, am Rand der Gesellschaft. Und die Fortsetzung der biblischen Geburtsgeschichte spitzt diese Botschaft zu: Ein Despot fürchtet um seine Macht und trachtet dem Kind nach dem Leben. Die Eltern fliehen aus ihrem Land. Jesus hat daher schon als Kleinkind »Migrationshintergrund«. Eine weitere Provokation liegt in der friedenspolitischen Botschaft: Der Ochse stand seit der Zeit der Kirchen- väter für Israel und der Esel für die nichtjüdischen Völker. Indem Franziskus in der engen Höhle von Greccio nur Tiere und keine Menschen zur Krippe stellt, verdeutlicht er, wem »Friede auf Erden« verheißen ist: allen Völkern jeden Glaubens. Die Papstkirche hetzte damals gegen die islamische Welt und suchte den Fünften Kreuzzug zum Erfolg zu führen. Franziskus war vier Jahre zuvor mit seiner Friedensmission in Ägypten Der Autor Niklaus Kuster ist Schweizer Kapuziner. Er lehrt Spiritualität an der Universität Luzern, Spiritualitätsgeschichte an der PTH Münster und Franziskanische Spiritualität an der Ordenshochschule ESEF in Madrid. Vom Rapperswiler Kloster zum Mitleben aus ist er zudem in der Fortbildung, als Autor und Reisebegleiter tätig. Greccio – Hier organisierte Franziskus von Assisi zum Weihnachtsfest 1223 eine lebendige Krippe. 9
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