Franziskaner Mission 1 | 2024

den Straßen der Welt. Er ließ Christus wieder auf den gewöhnlichen Wegen des Lebens wandeln, und dieser Christus, der einst auf den Straßen Palästinas unterwegs war, liebte so sehr, dass er gekreuzigt wurde. Leiden und vollkommene Freude! Verwandlung und blutsverwandte Verbundenheit mit dem Geliebten! Der Körper von Franziskus war von der zentralen Bedeutung seines Strebens geprägt: wie Christus zu sein. Vollkommene Liebe Der Leib des Franz von Assisi ist nicht mehr der seine, sondern der der Liebe! Es ist ein durch den Willen der Liebe verklärter Körper! Jetzt ist es nicht mehr ein Körper in Form menschlichen Fleisches, sondern die Gesamtheit eines Lebens: Es ist der Leib Christi! Er ist ein ritualisierter und heiliger Körper. Er kann nun die Dramatisierung einer Inkarnation zeigen: Von Greccio bis bis zum Berg zeigt dieser Leib, was die Liebe in ihm geformt hat. In Greccio hat Franziskus die Geburtsszene inszeniert, in La Verna hat Franziskus seine Identifikation mit dem fleischgewordenen Wort verbunden. Willst du lieben? Dann berühre das Wort in seiner natürlichsten und liebevollsten Erscheinungsform. Es geht nicht mehr nur darum, das Wort zu hören, sondern das Wort in deinem Blut zu haben. Das Wort ist Fleisch geworden, weil das Fleisch zur Liebe wurde. Es ist das ausdrucksvolle Wort in einem ausdrucksvollen Körper. Jetzt hat der Körper ewige Bedeutung, weil er die Zeichen der Liebe trägt. Der stigmatisierte Franziskus ist ein Körper, der von einem tiefen Verlangen durchdrungen ist. Es ist der Leib, der zum Träger des Willens des Herrn geworden ist, so wie Maria ausruft: »Mir geschehe, was du willst!« (Lk 10,38). Maria hat uns das Kind, den Immanuel, den Gott mit uns, geschenkt. Franziskus schenkte uns den armen, demütigen und gekreuzigten Christus. Greccio und La Verna treffen sich in der gleichen Wahrheit. Dieser Leib brennt und spricht! Dieser Leib hat Begegnungen und Brüche erlebt. Er hat all seine Besitztümer aufgegeben, um die Armut zu umarmen. Er hat seine ganze Zuneigung gegeben, um den Aussätzigen zu umarmen. Er gab seine ganze Reinheit des Herzens, um die Geschwisterlichkeit zu umarmen. Er hat sein ganzes Gehör dem Gekreuzigten von San Damiano geschenkt, der um den Wiederaufbau des Hauses bat. Er hat dem Evangelium einen neuen Anfang gegeben, indem er es in eine Lebensweise verwandelt hat. Der Leib als Lebenszeugnis Der stigmatisierte Leib von Franziskus trägt die Spuren seines gesamten Lebens, das von Armut, Gehorsam und Reinheit des Herzens geprägt war. Am Leib des Franziskus erscheint die verzehrende Liebe zu Gott und für Gott, eine Liebe, die fähig ist, die Geschwisterlichkeit aller Ausgegrenzten anzunehmen. Er hat die sozialen Stigmata seiner Zeit auf sich genommen. Er war kein Sündenbock, sondern ein geschwisterlicher Reformer einer unbeschwerten Art, das Evangelium zu leben. Der stigmatisierte Leib des Franziskus trug die Verantwortung, eine Bruderschaft zu leiten, die an ihn glaubte und keinen Ort hatte, an den sie ihr Haupt legen konnte. Die ersten Brüder waren Pilger und Wanderer und lebten die Schönheit des Daseins in der Welt als vorübergehende Klausur. In dieser Welt fanden sie die Schöpfung, die sie dem Schöpfer zurückgaben, weil sie in ihr die Quelle der Schönheit, des Lobes und der Gnade sahen. Deshalb können sie von der Schöpfung als einer familiären Blutsverwandtschaft sprechen, einem universellen Band, das sie berechtigt, von allen Geschöpfen als Schwestern und Brüder zu sprechen. Der stigmatisierte äußere Leib des Franziskus war mit seinem inneren Leib, seinem inneren Leben, das von der Liebe zum Gekreuzigten geprägt war, verquickt. Das ist ein klarer Beweis: Er, der das ganze Werk Gottes mit Liebe berührte, wurde von Gott selbst mit großer Liebe berührt. Nicht körperliche Schmerzen, sondern Lebensgefühle, die durch die Läuterung der radikalsten Hingabe an die Liebe gehen. Franziskus hat den Schmerz nicht erlitten, sondern die Liebe seinen Körper prägen lassen. Er und die Liebe sind eins geworden! Tiefe Gotteserfahrung Mein großes Erlebnis war die Begegnung mit buddhistischen Mönchen im Mai 1989 bei einer meditativen Einkehr auf dem Berg, auf dem Franziskus die Wundmale empfing. Auf einem höher gelegenen Teil des Berges La Verna hatte ich einen unvergesslichen Dialog mit einem dieser Mönche, der aus den Bergen Tibets kam. Mein Gespräch mit ihm begann mit der Frage: »Warum kommt ein buddhistischer Mönch auf den La Verna?« Und er antwortete: »Wir sind aus zwei Gründen hier: Erstens, weil dieser Ort heilig ist, und zweitens, weil Franz von Assisi der erleuchtetste christliche Mensch im Westen ist.« Und der Dialog wurde mit einer weiteren Frage fortgesetzt: »Was bedeuten die Stigmata für einen Buddhisten?« Der Mönch sagte, er habe in den franziskanischen Quellen gelesen, dass ein Seraphim mit dem Antlitz Jesu Christi Franziskus von außen nach innen gezeichnet habe. Und dass für sie, die auch stigmatisierte Mönche haben, die Zeichen von innen nach außen kommen. Sie sind leuchtende Ausbrüche von Heiligkeit, die durch das Herz und die Adern laufen und an den Extremitäten 10

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