Franziskaner Mission 1 | 2024

Heute zählt man 54 Ethnien in Vietnam. Die Viet (auch Kinh genannt), Cham Hoa und Khmer leben im Flachland und an den Küsten, während andere in Kleingruppen in den Bergen, Wäldern und abgelegenen Teilen Vietnams beheimatet sind. Die Franziskaner setzen sich besonders für diese Minderheiten ein. TEXT UND FOTOS: Chi Thien Vu ofm Im Geist und in der Verfassung Vietnams haben alle Völker gleiche Rechte und Pflichten, unabhängig von der Ethniengröße und ihrem Ursprung. Doch in der heutigen Realität sieht es anders aus. Wegen ihrer Größe hebt sich die Gruppe der Kinh von den anderen ab. Somit hat sie die Autorität, sowohl in der Politik als auch in kulturellen und gesellschaftlichen Angelegenheiten. Sie bestimmt das Leben der Menschen in Vietnam. Die Kinh sehen die anderen Minderheiten als Menschen zweiter Klasse an. Wegen der mangelnden Bildung können die Minderheiten in der Wissenschaft und Wirtschaft mit der KinhGruppe nicht mithalten. In Vietnam gibt es Schulgebühren, die für die Minderheiten nicht zu leisten sind. Von Seiten des Staates ist Hilfe nicht zu erwarten. Es gibt keine Anwälte, die das Recht der Minderheiten vertreten. Jede Stimme gegen das Regime wird sofort mundtot gemacht. So werden die Minderheiten immer weiter zurückgedrängt – sowohl örtlich in die Wälder und Berge, als auch gesellschaftlich, nämlich an den Rand. Kulturelles Erbe Ethnische Minderheiten in Vietnam Anfang der 1990er Jahre kamen Menschen der Kinh-Gruppe aus dem Norden in die beiden Provinzen Kontum und Gai Lai und erwarben sich mit illegalen Mitteln, wie mit falschen Verträgen, Grundstücke der Völker dort. Viele der Minderheiten beherrschen die vietnamesische Sprache nicht. Auf diese Weise verloren viele Familien ihre Grundstücke. Sie gerieten in Armut und in hohe Schulden, aus denen sie nie mehr herauskommen werden. Sie werden immer von der Kinh-Gruppe abhängig sein. In vielen Fällen müssen die Minderheiten jetzt als Tagelöhner für die Neubesitzer arbeiten. Wenn sie noch selbst Landwirtschaft betreiben können, werden die Preise tief heruntergedrückt, sodass ihnen nichts anderes bleibt, als auch die Ernte unter Wert zu verkaufen. Statt am Reichtum und an der Chancengleichheit teilhaben zu können, werden die ethnischen Minderheiten an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Nach außen hin gibt sich die Regierung selbst als Fürsorgender für die Minderheiten. Im Kern aber werden die Minderheiten weiterhin vernachlässigt. In den Provinzen Kontum und Gia Lai im Hochland werden sie zudem streng kontrolliert. Religionsgemeinschaften dürfen nur mit Erlaubnis und Kontrolle Mission betreiben. Jede Religionsgemeinschaft, die sich nicht an die Vorgaben der Behörden hält, hat mit schwerwiegenden Folgen zu rechnen. Denn die Regierung befürchtet, dass die Minderheiten sich den Religionsgemeinschaften, die von außen oder von Kirchen gesteuert sind, anschließen und dann Aufstände gegen die Regierung organisieren. Diese Angst halte ich für unberechtigt: Wegen der geringen Anzahl der Menschen der ethnischen Minderheiten und der schwachen Wirtschaftslage dieser Volksgruppen wäre ein Aufstand gar nicht möglich. Die Frage, ob in der Stigmatisierung überhaupt Heilung zu finden ist, wird schwer zu beantworten sein angesichts der Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Marginalisierung der Minderheiten in Vietnam. Im wirklichen Leben der Menschen hat ein romantisches Leiden wie das Versprechen »im Leiden findet Heilung statt« keinen Platz. Das Kämpfen um das tägliche Brot ist die harte Realität der Menschen. Sie sorgen sich um das Wenige, das sie noch haben, um den nächsten Morgen zu erleben. Inmitten dieser aussichtlosen Lage der Minderheiten kommt die Frohe Botschaft der Menschwerdung Gottes zu den Menschen. Nicht als Theorie, sondern als konkrete Hilfe. Das Wort Gottes manifestiert sich in der Anwesenheit der Menschen des guten Willens, die sich der Lage der Minder-

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