Franziskaner Mission 1 | 2024

Für Franziskus ist das Leiden Christi der höchste Ausdruck der demütigen Liebe, weil es die höchste Selbsthingabe ist. Franziskus öffnete sich mit Leib und Seele für das Geheimnis des Kreuzes. Er hat die Passion in seine menschliche Natur integriert. Er war von der selbstlosen Liebe beseelt, einer Liebe, die sich selbst vergisst und in allem dem gekreuzigten Christus gleich sein will. Für ihn ist der am Kreuz hängende Christus ein Ausdruck äußerster Armut. Das gibt ihm eine neue Perspektive auf das Leben. Indem er das Kreuz in seinem Herzen trägt, verändert sich sein Leben. Dinge, Menschen, Ereignisse: Alles erscheint ihm in einem neuen Licht. Das Kreuz wurde zum Maßstab für sein inneres Leben: der Tod für die Dinge der Welt, die Geburt einer neuen Wertschätzung der Welt. Die weltliche Bequemlichkeit, der Traum der Jugend, ist für ihn nun zum Kreuz geworden. Er ist ganz mit der Passion des Meisters verbunden. Er überwindet die Selbstbezogenheit seines Lebens, und das Kreuz wird zum starken Argument für das Mindersein. Der heilige Bonaventura sagt: »Das große, wunderbare Geheimnis des Kreuzes wurde diesem armen Jünger Christi auf so vollkommene Weise offenbart, dass er sein ganzes Leben lang nur den Spuren des Gekreuzigten folgte, nur des Kreuzes Wonnen kostete und nur die Herrlichkeit des Kreuzes predigte!« (Franziskus-Quellen 812). Vom Kreuz geprägt Für die franziskanische Spiritualität ist das Kreuz ein offensichtliches Zeichen von Mission: sich selbst und die Welt zu verändern. Es ist der Weg, dem unsere Füße folgen. Das Christentum setzt uns ein Kreuz auf die Brust. Es kann nicht nur ein glänzendes Amulett aus Silber oder Gold sein, sondern ist eine anspruchsvolle Realität der Nachfolge. Franziskus versteht diese glorreiche Macht des Kreuzes gut aus der Perspektive des Kreuzbildes von San Damiano: In die Mystik des Kreuzes einzutreten bedeutet, darin die Verherrlichung zu sehen! Franz von Assisi wurde stigmatisiert, und die Stigmata sind wie die Zeichen des Gekreuzigten. Ein erneuerter Mensch wird auf einem Weg mit großen Herausforderungen und – warum nicht – mit Leiden geformt. Die Liebe hinterlässt ihre Spuren, und die Liebe hat ihre Herrlichkeit und ihr Kreuz, ihre Blüten und ihren Schmerz. Franziskus’ Lebensweise war es, das Evangelium in der Weise des Gekreuzigten zu leben. Er prägte diese Wahrheit seiner Seele ein, und sie wurde seinem Körper aufgeprägt. Die Stigmatisierung von Franziskus fand zwanzig Jahre nach seiner Bekehrung statt, aber es waren zwanzig Jahre der Nachfolge und der leidenschaftlichen Nachahmung. Die Stigmatisierung ist eine Erneuerung, die von einem zurückgelegten Weg herrührt; sie ist nicht etwas Imaginäres, sondern etwas Reales, als wenn man eine außergewöhnliche Verwandlung erlebt. Erneuerung ist die Kraft des Menschen, der sich an nichts mehr gebunden fühlt, der frei ist gegenüber der Natur und dem Gesetz, der aber etwas zur menschlichen Identität beiträgt. Franziskus hat sich der Welt mit den Zeichen der Geschwisterlichkeit präsentiert, die aus einer christologischen Erfahrung stammen, Tag für Tag. Im Lobgesang der Kreaturen hat er die Erde und die Sterne, das Männliche und das Weibliche, das Wilde und das Zivilisierte vereint. Sein Leib ist der Leib der geDas Wunder von La Verna 800 Jahre Stigmata des Franziskus von Assisi TEXT: Vitorio Mazzuco ofm | FOTOS: Benedito Geraldo Gomes Gonçalves ofm, privat Im Jahr 2024 haben wir die Gelegenheit, ein weiteres franziskanisches Jubiläum zu feiern: acht Jahrhunderte seit der Einprägung der Stigmata in den Körper des Heiligen Franz von Assisi. Die folgenden Überlegungen sind eine Annäherung, dieses Ereignis zu verstehen, ohne den ganzen Reichtum auszuschöpfen, den dieses Thema während des gesamten Jubiläums hervorbringen wird. 8

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