Menschen für Menschen 2024 Dienende Kirche
FRANZISKANER MISSION erscheint viermal im Jahr und kann als kostenfreies Abo bestellt werden unter Telefon 02 31-17 63 37 65 oder info@franziskanermission.de. »Franziskaner Mission« erscheint im Auftrag der Deutschen Franziskanerprovinz von der heiligen Elisabeth – Germania. HERAUSGEBER Franziskaner Mission REDAKTIONSLEITUNG Augustinus Diekmann ofm REDAKTION Dr. Cornelius Bohl ofm, Stefan Federbusch ofm, Natanael Ganter ofm, Heinrich Gockel ofm, Frank Hartmann ofm, Márcia Santos Sant'Ana, Eurico Alves da Silva ofm, René Walke ofm, Pia Wohlgemuth GESTALTUNG sec GmbH, Osnabrück DRUCK Bonifatius GmbH, Paderborn Herstellungskosten dieser Zeitschrift: Die »Franziskaner Mission« wird nicht von Spendengeldern, sondern aus den Erlösen eines speziell hierfür eingerichteten Missionsfonds finanziert. Impressum FRANZISKANER MISSION Franziskanerstraße 1, 44143 Dortmund Telefon: 02 31-17 63 37 5 info@franziskanermission.de www.franziskanermission.de Spenden erbitten wir, unter Angabe des Verwendungszwecks, auf folgende Konten: SPARKASSE HELLWEG-LIPPE IBAN DE13 4145 0075 0026 0000 34 BIC WELADED1SOS VOLKSBANK HELLWEG EG IBAN DE44 4146 0116 0000 0051 00 BIC GENODEM1SOE 2
Liebe Leserin, lieber Leser! TITEL Unser Missionar Hermann Borg ofm hat sich vor 41 Jahren, mit dem Beginn des Afrikaprojekts der Franziskaner, in den Dienst der Kirche Ostafrikas gestellt. Das Titelbild ist anlässlich der Abschlussfeier eines landwirtschaftlichen Seminars der Franziskanerpfarrei im kenianischen Subukia entstanden. Wo Bruder Hermann auch wirkt, er ist ein sorgender Mensch für die Menschen. Darüber hinaus setzt er sich als »Vater der Bäume« für die Bewahrung der Schöpfung ein. Zahlreiche Aufforstungen in Kenia gehen auf seine Initiative zurück. Nicht nur Kleider und Zahnbürsten nutzen sich ab. Auch Worte. Zu oft gebraucht, verlieren sie ihre ursprüngliche Form und Farbe, wirken plötzlich schäbig und sind manchmal gar nicht mehr zu gebrauchen. Dazu gehört für mich auch das Wort »dienen«. Natürlich weiß ich, wie zentral dieser Begriff für die christliche Botschaft ist. Jesus ist nicht gekommen, sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen. »Wer bei euch groß sein will, soll euer Diener sein«, sagt er (Mk 10,43). Das demonstriert er nicht nur zeichenhaft bei der Fußwaschung, das lebt er existentiell bis in den Tod. Aber was ist aus dem »Dienen« seitdem geworden!? Man hat das Wort instrumentalisiert, um Menschen klein und unmündig zu halten. Gleichzeitig hat die Kirche ihre Berufung zum Dienst nur zu oft als Mittel zur Sicherung eigener Macht missbraucht. Spätestens seit der massiven Konfrontation mit sexueller Gewalt und spirituell legitimierten Abhängigkeitsverhältnissen bleibt mir das Wort von einer dienenden Kirche oft im Hals stecken. Szenenwechsel. Tiefe Krisen gehören zum Leben. Auch bei Heiligen. Franz von Assisi befindet sich nach einem jahrelangen mühsamen Suchprozess auf der Erfolgsspur, die Bruderschaft wächst und gedeiht, als er unvermittelt in ein Loch fällt. Alles bisher Erreichte scheint plötzlich fraglich. Er weiß nicht mehr, warum er überhaupt da ist und wie es weitergehen soll. Soll er auch künftig predigen, also ständig unterwegs sein, mitten unter Menschen, sich mit offenen Ohren und einem großen Herzen von ihrer Not berühren lassen – oder sich nicht besser zurückziehen in die Einsamkeit, um in Stille und Gebet radikal Gott zu suchen? Er weiß sich keinen Rat, darum holt er sich Rat bei anderen, bei Schwester Klara und Bruder Silvester. Ihre Antworten decken sich: »Gott hat dich nicht für dich allein erwählt, sondern um des Heils der anderen willen.« Der Bericht der Fioretti, einer frühen franziskanischen Quellenschrift, über diese lähmende Identitätskrise endet erfrischend dynamisch: »Da erhob er sich, glühend vor Eifer, und sagte: Dann wollen wir in Gottes Namen gehen!« (Fior 16) Christinnen und Christen sind nicht für sich allein da. Sie glauben nicht für sich selbst oder aus Sorge um das eigene Heil. Christen sind berufen für andere. Das hört sich so einfach an. Und vielleicht ist dieses »Nicht für uns, sondern für andere!« tatsächlich eine recht einfache Testfrage, ob wir noch in der Spur des Evangeliums unterwegs sind. Augenblicklich ist die Kirche viel mit sich selbst beschäftigt, das gilt auch für die Ordensgemeinschaften: Krisenmanagement, institutioneller Rückbau, Organisation neuer Strukturen ... Das alles ist notwendig. Aber es reicht nicht. Nicht nur franziskanisch inspirierten Glaubenden sollte dieses Wort ständig im Herzen pochen: Du bist nicht für dich allein berufen, sondern für andere! Dann wären wir unterwegs zu einer – nun benutze ich das Wort also doch! – wirklich dienenden Kirche. Davon berichtet dieses Heft. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. P. Cornelius Bohl ofm Sekretär für Mission und Evangelisierung 3
Inhalt 8 12 16 6 6 Aufruf zu größerer Gerechtigkeit Plädoyer für eine dienende Kirche Pirmin Spiegel 8 Was darf es sein? Auf Augenhöhe mit den Menschen Peter Otten 10 Geschwisterlich auf dem Weg Leben aus franziskanischer Inspiration René Walke ofm 12 Lebendige Gemeinde Überzeugender Glaube in Ostafrika Ivica Perić ofm 14 Mission in Nordostbrasilien Herausforderungen an die Franziskaner Walter Schreiber ofm 16 Wo der Glaube lebt Begegnungen mit der jungen Kirchen Boliviens Lars Jücker und Klaus Vellguth 22 Basisgemeinden Lebendige und weibliche Kirche Rodrigo de Castro Amédée Péret ofm 24 Im Knast von Montero Ehrenamtlicher Besuchsdienst im Gefängnis Ronald Ramiro Armijo Zelada ofm Conv 26 Salz der Erde und Licht der Welt Lebenszeugnis einer brasilianischen Katechetin Maria da Paz Lopes Vieira 28 Musik beflügelt Ungeahnte Harmonien aus San Julián Robert Hof 30 Abenteuerlust im Ordenskleid 100 Jahre Bolivienmission der Haller Schwestern Notburga Maringele HTTF 32 Kein Weg zu weit Gesundheitsvorsorge in Uganda Marlene Webler fdc 34 Post aus Honduras 35 Projekt
Personalia FRANK HARTMANN OFM Frank Hartmann ofm besuchte Anfang Mai die Franziskaner Mission Dortmund und berichtete über seine Arbeit im zentralamerikanischen Guatemala. In einem Außenbezirk von Guatemala-Stadt betreibt die von Franziskanern begleitete Pfarrgemeinde »Dios con nosotros« (»Gott mit uns«) eine kleine Herberge für Flüchtlinge. Meist sind es Menschen, die – oft erzwungen – ihre Heimat verlassen haben und auf dem Weg Richtung USA dort Halt machen. In der Unterkunft duschen, kochen und schlafen sie für eine Nacht – ohne Angst vor Überfällen, wie es sonst auf der Flucht oft geschieht. Im vergangenen Jahr wurden rund 4.000 Personen beherbergt, ein Großteil von ihnen Familien mit minderjährigen Kindern. EDWARD (TEDDY) LENNON OFM Im März besuchte der irische Franziskaner Edward (Teddy) James Lennon Dortmund. Seit Jahren arbeitet er im südlichen Afrika und beobachtet dort immer noch die starken Nachwirkungen des Apartheid-Systems (1948–1994), in dem Menschenrechtsverletzungen durch eine weiße Minderheitsregierung gegenüber der schwarzen Mehrheitsbevölkerung stattfanden. Auch in Namibia setzt Teddy Lennon sich für einzelne Personen und ganze Gemeinschaften ein, um bei der Verarbeitung des Erlebten zu helfen. Er koordiniert Seminare und Vorträge unter dem Motto »Healing of Memories«, damit die Menschen den vor 100 Jahren begangenen Völkermord an Herero und Nama durch die deutsche Kolonialmacht verarbeiten können. ARMIN RIVERA MIRANDA OFM Armin Rivera Miranda ofm ist Diakon und seit 2015 im Orden. Er ist 34 Jahre alt und stammt aus Tarija im Süden Boliviens. Bruder Armin lebt und arbeitet im Konvent San Antonio in Santa Cruz. Dort betreut er die Krankenstation der Franziskaner. Während des Krankenhausaufenthaltes seines Mitbruders Reinhold Brumberger besuchte er ihn täglich und hielt den Kontakt zu den weiteren Mitbrüdern und sogar nach Deutschland. Bruder Armin ist ein sehr warmherziger und mitfühlender Mensch, das macht ihn auch bei seinen pastoralen Aufgaben in der Pfarrei, wie Hochzeiten, Taufen oder der Erstkommunionvorbereitung, zu einem guten Seelsorger. 30 32 28 26
»… er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich.« (Phil 2,7) Gott selbst ist in Jesus mit den Menschen in ihren Leiden solidarisch geworden. Diese Botschaft bestimmt das Leben und die Verkündigung Jesu. Sie betrifft und unterstreicht die allen Menschen gemeinsame, unverrückbare Würde. Kirche kann gar nicht anders als dienende Kirche zu sein. TEXT: Pirmin Spiegel | FOTOS: Florian Kopp/Misereor »Wenn einer das Evangelium liest, findet er eine ganz klare Ausrichtung: nicht so sehr die reichen Freunde und Nachbarn, sondern vor allem die Armen und die Kranken, diejenigen, die häufig verachtet und vergessen werden, die ›es dir nicht vergelten können‹ (Lk 14,14). […] Heute und immer gilt: ›Die Armen sind die ersten Adressaten des Evangeliums‹. […] Ohne Umschweife ist zu sagen, dass […] ein untrennbares Band zwischen unserem Glauben und den Armen besteht. Lassen wir die Armen nie allein!« (EG 48) Das Kernthema Barmherzigkeit, das im Leben von Papst Franziskus eine wichtige Rolle spielt, ist die umfassende Antwort Gottes an die Menschheit und Synonym für die Treue seiner Liebe. Jesus hat die Armen und Geringsten nicht seliggepriesen, weil sie in besonderer Weise »heilig« oder »unschuldig« waren, sondern weil der Anspruch auf Wahrheit damit verbunden ist, dem Leiden, der Ungleichheit, der Ausbeutung und der Not eine prophetische Stimme zu geben. Die prophetische Stimme, die Ungleichheit wahrnimmt und denunziert, ist immer auch ein Aufruf, die Ordnung der Welt und das eigene Leben in Ordnung zu bringen. Was wir alle gemeinsam lernen können und müssen, ist eine »glückliche Genügsamkeit« (vgl. LS 224). Mit zwei Erinnerungen will ich diese Spur aufnehmen. Sie sind Wurzeln, die noch heute Hoffnung auf eine andere so notwendige Zukunft eröffnen. Lernerfahrungen Bei der ersten Erinnerung geht es um die Gründung des »Indigenenmissionsrats Brasiliens CIMI« (»Conselho Indigenista Missionário«) 1972, im Nachgang des Zweiten Vatikanischen Konzils und Medellíns, wo die II. Generalversammlung des lateinamerikanischen Bischofsrates 1968 stattfand. In diesem historischen Kontext der Entkolonialisierung, des Dialogs und der Befreiung stellten sich eine Reihe von Fragen zur damaligen Missionspraxis gegenüber indigenen Völkern: Wären nicht auch die indigenen Völker dieses Kontinents privilegierte Partner in einem interreligiösen Dialog? Sind sie nicht auch an Religionsfreiheit, an der Befreiung von allen Formen des Kolonialismus, an der Achtung ihrer Kultur und letztlich an ihrer Selbstbestimmung interessiert? Im selben Jahr – 1972 – wurden die ersten 1.250 Kilometer der Transamazonischen Schnellstraße (BR-230) eingeweiht, deren Verlauf 29 indigene Gebiete tödlich verletzte. Im brasilianischen Fernsehen wurde das Ereignis zum ersten Mal in Farbe und mit düsteren, zensierten Bildern übertragen und als einer der Eckpfeiler des »brasilianischen Wunders« gefeiert. Als Papst Johannes XXIII. nach der Bedeutung des Konzils gefragt wurde, öffnete er in einer symbolischen Geste die Fenster seiner Wohnung. Die Entkolonialisierung sollte eine neue Ära einleiten. CIMI öffnete die Fenster und Türen einer postkolonial missionarisch-pastoralen Organisation und sandte dadurch neue Fragen an die (Welt)-Kirche: Wie sollte man mit den kulturell Andersartigen und geografisch Entfernten arbeiten und kommunizieren? Soll die Indigenen-Pastoral indigene Völker auf ihre Integration in die westliche Zivilisation und die nationale Gesellschaft vorbereiten? Würden damit nicht ihre Aktivitäten und Lebensweisen auf den Markt, die Rentabilität und den Gewinn ausgerichtet? Dann würde die Mission die Selbstbestimmung verweigern und ihre kolonialen Praktiken der kulturellen Zerstörung und politischen Beherrschung fortsetzen. Kazike Kawore Parakaná, Volk der Parakanã im indigenen Schutzgebiet TI APYTEREWA, Pará, Brasilien Aufruf zu größerer Gerechtigkeit Plädoyer für eine dienende Kirche
meinden aus allen zwölf Diözesen des Bundesstaats Maranhão initiativ etwas beigetragen: Gärten angelegt, Events für Spendeneinnahmen organisiert, Hühner, Schweine, Ziegen und andere Tiere großgezogen und im Hinblick auf das Treffen verkauft. Der Vorbereitungsprozess war nicht nur von Harmonie geprägt. Dank Dialogs kam es zu Änderungen von Haltungen und zu einer integralen Umstellung auf Synodalität: die Erfahrung einer kreisförmigen, gemeinschaftlichen Kirche, in der alle in gleicher Würde und mit allen Unterschieden respektiert werden. Was ich damals – durch die Teilnahme – verstanden und erlebt habe, ist in den Papieren und Berichten wie folgt zusammengefasst: »Die Methodik ist auch der Inhalt.« Genau in diesem Satz ist ein großer Teil des Auftrags und der pastoralen Dimension unserer Kirche zu lesen. Seelsorge zu leben, an der Seite der Menschen präsent zu sein, in ihre Perspektiven und Lebenswelten einzutauchen, ist Seelsorge selbst. »Die Methodik ist auch der Inhalt« – dabei geht es nicht darum, sich in mögliche methodische Optionen zu vertiefen oder theoretische Diskussionen dazu zu führen, sondern es ging und geht darum, die faktische Lebensnähe des Inhalts so zu vermitteln, dass sie Teil der Logistik, Teil der gemeinsamen Lebensrealität wird. Die Armen zuerst Sich in die Welt der Menschen hineinzuversetzen, die physisch, materiell oder ideell an den Rand gedrängt werden, kann uns auf dem Weg zu einer gerechteren Welt für Alle leiten. »Niemanden zurücklassen«, der Anspruch der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung, meint genau das. Daraus ergeben sich Fragen: Wen übersehen wir? Wie kann es sein, dass sich Regierungen trotz eines globalisierten Wirtschaftsgeflechts und weltumspannender Lieferketten verstärkt nationalstaatlicher Parolen bedienen? Wie kann es sein, dass die spürbaren Folgen der Klimakrise keine angemessene Reaktion und Bereitschaft für eine gesamtgesellschaftliche sozialökologische Transformation bringen? Dienende Kirche, wach und aufmerksam, zuhörend und offen, lernend mit Menschen vor Ort, in ihren Kontexten und ihrer Geschichte – eine wichtige Lernerfahrung für mich. Lebensnähe Von einer zweiten Erfahrung will ich erzählen, die bis heute in mir nachhallt. Das Echo kommt von den 1990er Jahren aus der Durchführung und Vorbereitung des »9. Interekklesialen Treffens der Basisgemeinden«, 1997. Fast 30 Jahre ist es her, dass sich in São Luís in Nordostbrasilien etwa 3.000 Personen versammelten, um sich gemeinsam über Aufgabe und Wirken der Kirche inmitten der Gesellschaft Gedanken zu machen. Kirchliche Basisgemeinden sahen wir (damals) nicht als eine neue Art, Kirche zu sein, sondern als einen neuen Weg für die ganze Kirche. Zu Beginn fehlten uns die Mittel, um ein Treffen dieser Größenordnung zu organisieren. Doch dies wurde mit viel Kreativität und kollektivem Engagement überwunden. Die Vorbereitungen wurden Teil des Prozesses. Während der vierjährigen Vorlaufzeit haben Ge- »Es ist an der Zeit, die Richtung zu ändern. Wir müssen unseren Fokus von Profit auf Wohlstand, von Wirtschaftswachstum auf Nachhaltigkeit und von Materialität auf Menschenwürde verlagern,« sagte Kardinal Michael Czerny, als ihm im Januar 2024 in Aachen der Klaus-Hemmerle-Preis verliehen wurde. »Integrale Entwicklung« und »Inklusion« heißen die Ansätze, die auf den Fahnen einer zukunftsfähigen Entwicklungszusammenarbeit stehen. Und betont füge ich hinzu: Und die Armen zuerst. Der Autor Pirmin Spiegel war von April 2012 bis Juni 2024 Hauptgeschäftsführer des Bischöflichen Hilfswerkes Misereor in Aachen. Der Text entstand im Austausch mit Prof. Paulo Suess, heute theologischer Berater des brasilianischen Indigenenmissionsrats CIMI, und Lucineth C. Machado, Koordinatorin und Inspiratorin des 9. Interekklesialen Treffens der Kirchlichen Basisgemeinden in São Luís, Nordostbrasilien. Treffen mit Bewohnern des Stadtteils Bairro Pequiá und Aktivisten von Justiça nos Trilhos (im Bild: Antonia Flavia Silva, 29, comunicadora Justiça nos Trilhos), Açailândia, Maranhão, Brasilien Traditioneller Gesang mit Tanz der Mundurukú – Von Soja-Feldern umringt: Die Indigene Gemeinde Açaizal (Volk der Mundurukú), nahe Santarém, Pará, Brasilien 6 | 7
Ich wache in den letzten Nächten immer wieder mal auf. Dann denke ich an Jabbar, Khalid und Mohamad (Namen geändert). Seit Montag letzter Woche haben wir für die drei ein Kirchenasyl bei uns in der Agnespfarrei, der Katholischen Pfarrgemeinde Sankt Agnes in Köln, begonnen. Die drei kommen aus Syrien und haben sich wie viele Menschen unter lebensbedrohlichen Bedingungen auf den Weg nach Europa gemacht. Als sie am Montag vor mir stehen, stehen da drei Jungs. Schmal, mit Turnschuhen an den Füßen, ihre Habseligkeiten in einer kleinen Tasche. Ihre Augen lassen ein wenig erahnen, was sie erlebt haben müssen. Vor allem bei Khalid ist das so. Er scheint manchmal durch mich hindurchzublicken. Seine Traurigkeit ist ohne Maß. Dieses Mal war es schwierig, eine Wohnung zu finden. Erst in sechs Wochen werden wir vorübergehend eine richtige Bleibe für sie einrichten können. Bis dahin haben wir in einem Kellerraum, in einer unserer Kirchen, einen ehemaligen Jugendraum mit Stockbetten, einem Regal, Geschirr und einem kleinen Herd notdürftig eingerichtet. Ich habe ein paar Menschen aus dem Umfeld der Gemeinde gefragt, was sie beisteuern können. Christen, Atheisten, Agnostiker und vollkommen Unbekannte darunter. Nach und nach haben sie ihre Sachen in der Kirche abgestellt. Tobias hat das Stockbett seiner Kinder gebracht. Es ist von einem schwedischen Möbelhaus und trägt den Namen Vitval, was auf Deutsch so viel wie Weißwal bedeutet. Als Jabbar es aufgebaut hat, fällt mir die Geschichte von Jona und dem Walfisch ein. Der Walfisch ist in der Geschichte ja zwiespältig. Einerseits hat er Jona verschlungen. Andererseits hat er ihn nicht verdaut, sondern, als es Zeit war, ausgespuckt. Dieses ambivalente Bild passt auf die Situation des Kirchenasyls. Die drei können erstmal durchatmen. Einerseits. Und doch frage ich mich andererseits, wenn ich nachts aufwache: Haben wir genug getan? Haben wir wirklich nicht mehr auftreiben können als diesen armseligen Raum, der bis vor ein paar Tagen noch ein Stuhllager war? Ich denke an Jabbar, wie er gewissenhaft eine letzte Schraube in das Bettgestell mit dem Namen Vitval dreht. Uns verbindet wohl beide die Hoffnung, dass dieser Wal in diesem Keller sie irgendwann wieder ausspucken wird. In ein sichereres Leben als das, was sie hierher gespült hat. Brücken bauen Vor ein paar Wochen noch haben ungefähr 20 Studierende ein Stockwerk über dem Raum, in dem die drei schlafen, essen und lernen, eine Ausstellung über das Thema Migration organisiert. Im Kirchraum von St. Gertrud, einer Kirche, die auch zur Agnespfarrei gehört, nämlich. Sie studieren Ausstellungsarchitektur in Düsseldorf. Es ist schon die dritte Kooperation mit der Hochschule Düsseldorf, Fachbereich Architektur und Design, und ihrem Dozenten. Vor ein paar Jahren hat er mich gefragt, ob seine Studierenden sich in St. Gertrud mal mit dem, was sie gelernt haben, ausprobieren können. Ich finde das wichtig. Und weil wir uns in St. Gertrud sowieso mit Kunst und Kultur beschäftigen, haben wir auch in diesem Jahr eine Lücke im Kalender gefunden. Und die Studierendengruppe hat erneut eine beeindruckende Schau zusammengestellt. Links von den Beichtstühlen haben sie eine Flugzeugkabine nachgebaut. Mit echten Flugzeugsitzen, TEXT UND FOTOS: Peter Otten Was darf es sein? Auf Augenhöhe mit den Menschen 8
den typischen ovalen Fenstern und einem Mittelgang für den Servicewagen der Flugbegleitung. Wer sich in einen der Sitze hineinfläzt, der kann sofort in die Rolle eines Touristen schlüpfen, der behaglich in Flipflops Richtung Sonne und Club mit Getränke-Flatrate düst. Zu hören bekommt er allerdings die Geschichte eines Geflüchteten. Der sitzt schräg gegenüber und wird gerade in das Land abgeschoben, in dem der Tourist seinem Manhattan-Cocktail entgegendämmert. Mein Auftrag lautet: Schreibe einen Text über eine dienende Kirche. Das sind zwei erste Beispiele dafür. Dienende Kirche klingt manchmal in meinen Ohren verbraucht, unredlich, wie ein rhetorischer Begriff ohne Leben. Vielleicht, weil diese beiden Worte von manchen Eliten in der Kirche allzu oft und allzu leichtfertig benutzt werden. Manch ein Bischof behauptet ja leichthin, in der Kirche gebe es keine Macht, nur Dienst, was natürlich Blödsinn ist. Ich habe als Student viel arbeiten müssen, da meine Eltern nicht das Geld hatten, die Studien meiner Brüder und mir zu finanzieren. Einige Jahre habe ich in einem Supermarkt Leergut angenommen und vor allem für einen Bäcker in einem Brotwagen Brot, Gebäck und Der Autor Peter Otten hat in Bonn katholische Theologie studiert. Seit 1999 ist er Pastoralreferent im Erzbistum Köln. Unter anderem arbeitete er in Remscheid, KölnHöhenberg/Vingst und als Diözesanleiter der KjG (Katholische junge Gemeinde). Seit 2015 ist Pastoralreferent in der katholischen Pfarrgemeinde St. Agnes in Köln. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, zuletzt »Wir erzählen die Bibel« mit Christian Linker u.a. bei Herder. Seit einigen Jahren bloggt er mit Norbert Bauer unter www.theosalon.de. Mit Wibke Ladwig macht er den Podcast »Agnes trifft«. Teilchen verkauft. Ich glaube, da habe ich viel von dem gelernt, was mir heute für meine Arbeit bedeutsam ist. »Was darf es sein?« – die Frage, die ich tausende Male gestellt habe, habe ich später im Evangelium wiedergefunden. In der Frage, die Jesus dem Bettler stellt oder dem, der seine Stimme verloren hat. »Was darf es sein?« ist ja eine der erlösenden Fragen des Evangeliums. Denn diese Frage verändert ja das Kommunikationsgeschehen grundlegend. Vom elenden »Ich weiß, was dir guttut!« hin zum »Sag doch mal: Was ist los?« Das Evangelium ist keine Lehre der Besserwisserei. Es hat Geschichten, die in ihrer Struktur konsequent vom Gegenüber her erzählt sind. Vom Besessenen, der endlich den Raum bekommt, in seinem Kopf aufräumen zu können. Vom Zöllner, der endlich eine Bühne bekommt, die das Augenmerk endlich von seiner elenden Berufsmarkierung wegführt. Das Evangelium ist die Betrachtung der Welt durch die Augen des Gegenübers, mit aller Konsequenz. Da ist die Frage »Was kann ich für euch tun?« an drei arme Teufel, die sich über die Balkanroute nach Europa gekämpft haben, einigermaßen plausibel. Aber auch gegenüber Studierenden ist diese Frage interessant, wenn sie sich mal in einer Kirchenarchitektur, die ihnen vermutlich völlig fremd ist mit dem, was sie politisch, gesellschaftlich oder künstlerisch bewegt ausprobieren können. Natürlich ist unser Raum auch ihr Raum. Was denn sonst? Und wie aufregend ist das, wenn ich ihn für einige Tage durch ihre Augen betrachten darf! Kirche ist Kommunion »Was kann ich für dich tun?« Ich finde, diese Frage ist die Grundierung dessen, was wir Kirche nennen. Sie drückt sich in der Erstkommunionvorbereitung aus, wenn ich beim Infoabend den gestressten Eltern die Angst nehme, sie müssten jetzt bis auf Weiteres ihr gesamtes restliches Leben zugunsten einer aufwendigen und bedeutsamen Vorbereitung mit allerlei wichtigen Terminen komplett abändern. Sie strahlen, wenn sie hören, dass auch die Oma in Quickborn wichtig ist, genauso wie das Hockeyturnier, und dass Gemeinschaftspflege immer ein Sakrament ist, nicht nur in der Kirche. Und sie sind erleichtert, wenn sie ihren Hund am Weißen Sonntag mitbringen dürfen. Denn: Was soll daran Kommunion sein, wenn der Opa während der Messe draußen mit dem Pudel wartet? Eben. Sie drückt sich darin aus, dass ich mich bemühe, einen Gesprächswunsch innerhalb von zwei bis drei Tagen möglich zu machen. Darin, dass ich bei einer Beerdigung selbstverständlich am Grab warte, bis alle Gäste Abschied genommen haben und mich nicht vorher wegstehle, womöglich noch mit einem wartenden Taxi, dessen Uhr auf Kosten der Angehörigen rattert. Darin, dass wir mit einer Truppe toller Menschen die Wiesen um St. Agnes mit 2.000 Blumen bepflanzen, das Gras mähen und die Beete pflegen. »Aber das ist doch städtisches Gelände!«, haben die Leute gesagt. »Eben«, habe ich entgegnet. Die drei Geflüchteten helfen bei der Gartenarbeit. Ihr einfaches Nachtlager ist durch Kirchenasyl geschützt. 9
Auf einem Provinzkapitel der deutschen Franziskaner wuchs – besonders inspiriert durch Hermann Schalück – der Gedanke, eine neue Form franziskanischer Gemeinschaft zu initiieren: eine, die offen ist für alle, die geschwisterlich verbunden auf franziskanische Weise miteinander das Evangelium im Alltag leben wollen. Die daraus entstandene Gemeinschaft hat sich den Namen »Vivere« (deutsch: Leben) gewählt. Wie dieses Leben konkret aussieht, zeigen uns einige Einblicke von Vivere-Geschwistern, die sich an den Fragen orientieren: Was bedeutet für mich »franziskanisch zu leben«, und wo sehe ich meinen Platz in der Kirche? ZUSAMMENSTELLUNG: René Walke ofm | FOTOS: privat | LOGO: Vivere Für mich bedeutet im Alltag franziskanisch zu leben: meine Lebensmittel zum großen Teil selbst anzubauen, regional einzukaufen, vieles selbst herzustellen und vor allen Dingen nichts zu verschwenden. Meine Berufung habe ich vor 20 Jahren in der ehrenamtlichen Hospizarbeit gefunden. Ich glaube, das ist der Platz, an den mich Gott geschickt hat. Franziskus und Klara haben uns das vorgelebt. In den Begleitungen erlebe ich, wie gelebter Glaube bei den Menschen ankommt. Gespräche und Besuche geben ihnen Halt und Würde. Wir versuchen den Menschen das zu geben, was sie auf ihrem Weg brauchen. Manchmal sind es Gebete, Lieder, Zuhören, Stille, Freude oder einfach nur da sein. Für mich ist das franziskanisch: dem Menschen zugewandt. Dorothea Herz (Vivere-Gruppe Hülfensberg) Durch die Vivere-Bewegung sind wir mit den franziskanischen Gedanken und Lebensvisionen des heiligen Franziskus vertraut gemacht und angesprochen worden. Franziskus’ Gedanken und Ideale sind auch heute noch für uns präsent, man kann sie aufgreifen und danach leben. Das heißt für uns konkret: Bewusst (er) leben, Nachhaltigkeit im Blick haben, soziale Kontakte erhalten, Rundumblick sowie den Nächsten im Blick haben. Wichtig für uns sind die Treffen regional, überregional und digital sowie die Begleitung durch die Ordensbrüder. Durch die Kontakte mit der großen franziskanischen Ordensfamilie sowie den Kontakten mit den anderen Regionalgruppen sehen wir einen Zugewinn im Glaubensleben sowie in der Spiritualität ... Stephan und Andrea Thon (Vivere-Gruppe Hülfensberg) Franziskanisch zu leben bedeutet für mich, andere Menschen im Blick zu haben, ihnen zu helfen oder Hilfe anbieten sowie ohne Wertung offen auf Menschen zuzugehen. Franziskanische Lebensweise heißt für mich auch, nicht alles neu zu kaufen und Nachhaltigkeit im Blick zu behalten. Wo ist mein Platz als junger Mensch in der Kirche? Ich denke, dass junge und »alte« Menschen voneinander profitieren. Jeder kann etwas vom anderen lernen, zum Beispiel bei der Digitalisierung, um mehr Menschen zu erreichen und neue Kontakte aufzubauen. Wenn man die Fähigkeiten und Werte des Anderen schätzt, kann etwas Großes daraus werden. Durch Vivere sind auf diese Weise gute Kontakte entstanden. Gemeinsam kann man mehr bewegen. Friederike Thon (Vivere-Gruppe Hülfensberg) Geschwisterlich auf dem Weg Leben aus franziskanischer Inspiration 10
Franziskanisch leben bedeutet für mich ein Zusammenspiel von kontemplativen Zeiten, in denen ich mein Sein und meinen Glauben in Gottes Gegenwart stelle, mit meinem täglichen Leben und Handeln. Da ich evangelisch bin und seit einigen Jahren eher katholisch praktiziere, bewege ich mich irgendwie zwischen den Amtskirchen und definiere Kirche wesentlich weiter: Kirche ist für mich der »Ort«, an dem ich Glaubensgemeinschaft spüre. Ein Ort, wo ich einen urteilsfreien Austausch über gelebten Glauben erfahren kann und wo neue Wege gewollt sind. Gerne stelle ich mich in den Dienst einer dienenden Kirche – jedoch einer herrschenden Kirche entziehe ich mich. Elke Hahn (Vivere-Gruppe Fulda) Was bedeutet es für mich, im Alltag franziskanisch zu leben? Bewusster, offener, gemeinschaftlicher und geschwisterlicher leben, aber kritischer und hinterfragender in die Welt schauen. Manchmal ist es auch eine innere (Not)bremse, die mir zu verstehen gibt: »Jetzt mal stopp, brauche ich das, will ich das, muss das jetzt sein?« Franziskanisch zu leben erdet mich und lässt mich überlegter handeln, fordert mich aber auch zum Handeln heraus. Wo sehe ich meinen Platz als Vivere-Schwester/-Bruder in der Kirche? In der Kirche als Institution sehe ich mich gar nicht, weil sie meiner Meinung nach viel zu weit weg ist vom Eigentlichen und leider nur noch verwaltet wird. Mit dem Begriff Kirche als Glaubensgemeinschaft kann ich schon mehr anfangen. Als Vivere-Schwester fühle ich mich als ein Teil der franziskanischen Familie, denn die Verbundenheit untereinander ist sehr groß, auch wenn man sich nur selten begegnet. Mit und in dieser vielfältigen Gemeinschaft tätig zu werden und den Menschen zu zeigen, dass es sich noch »lohnt« (dass es noch »in« ist) zu glauben und dass man mit diesem Glauben durchaus auch ein moderner, aufgeschlossener und lebensfroher Mensch sein kann, da fühle ich mich am richtigen Platz. Veronika Möller (Vivere-Gruppe Fulda) In der Vivere-Gruppe Rheinland, der ich seit 2016 angehöre, erlebe ich einen kirchlichen Aufbruch und eine Bewegung, die (so frei und unabhängig wie möglich) immer wieder neue Wege beschreitet, um mitten im Alltag den Glauben zu leben. Diese Erfahrung habe ich in diesem Text dargestellt: Seht, wie sie füreinander da sind, wie sie einander in Würde begegnen und sich einander über alle Grenzen hinweg als gleichwertige Kinder Gottes behandeln! Seht, wie sie – im Vertrauen auf die Wirkkraft des Geistes – sich gegenseitig ermutigen und befähigen, das Leben in Kirche und Gesellschaft mitzugestalten und Verantwortung füreinander und für Gottes Schöpfung zu übernehmen! Seht, wie sie miteinander Glauben und Leben teilen, so dass niemand aus diesem sozialen Netz fällt und verloren geht und Kirche zu einem Ort der Geborgenheit und Heimat wird, selbst über den Tod hinaus. Seht, wie sie einander und Gottes Schöpfung lieben! Joachim Schick (Vivere-Gruppe Rheinland) 11
Während meiner 34 Jahre in Ostafrika habe ich immer wieder erlebt: Glaube und Zugehörigkeit zu einem Volksstamm spielen für die Menschen hier eine zentrale Rolle. Beides – Glaube und Stammeszugehörigkeit – sind feste Bestandteile ihrer Kultur und schaffen enge Bindungen zwischen Familien und Gemeindemitgliedern. Im Oktober 1990, kurz nach dem Bürgerkrieg, kam ich in Uganda zu meiner ersten Missionsstation. Die AIDS-Epidemie befand sich auf dem Höhepunkt. Vom Flughafen bis zu unserem Haus in Mbarara waren Särge am Straßenrand aufgereiht. Die Hauptstadt Kampala war durch den Krieg stark zerstört. Die einzigen unbeschädigten Gebäude waren das Sheraton Hotel, die Uganda Commercial Bank und das Postamt. Infolge des jüngsten Konflikts waren die Menschen äußerst vorsichtig und vertrauten einander nicht. Uns Franziskanern gegenüber aber waren sie bereit, offen zu sprechen. Nach 13 Jahren wurde ich im Juli 2003 nach Kivumu in Ruanda versetzt. Obwohl die Infrastruktur nicht stark zerstört worden war, litten die Menschen schrecklich unter dem, was neun Jahre vorher im Völkermord passiert war. Der Schock stand noch immer in ihren Gesichtern. Alle Gemeinden mussten sich irgendwie mit der Tragik des Geschehenen auseinandersetzen. Seit Juli 2022 bin ich in Sambia mit dem Aufbau einer neuen Gemeinde beauftragt. In Mwakapandula, einem abgelegenen Ort auf dem Land, sind die Menschen gezwungen, alle notwendigen Lebensmittel auf ihren kleinen Grundstücken selbst anzubauen. Die Folgen des Klimawandels sind deutlich spürbar: Es herrscht große Armut, obwohl das Land reich ist an Bodenschätzen und touristischen Angeboten. Es fehlt jedoch an guter Bildung und medizinischer Versorgung. Die Menschen leben immer noch in Lehmziegelhütten mit Strohdächern, ohne fließendes Wasser und elektrischen Strom. Alle Gesundheitszentren, Schulen und Kirchen sind in marodem Zustand. Gelebte Solidarität Unabhängig von vielen schwierigen Lebensbedingungen in diesen drei Ländern – Uganda, Ruanda und Sambia – haben die Menschen eines gemeinsam: Sie halten zusammen, sowohl in ihren Familien als auch in ihren Dorfgemeinschaften, und unterstützen sich gegenseitig. Die Menschen haben ihren Glauben trotz schrecklicher Nöte und Herausforderungen nicht verloren. Die Kirche spielt in ihrem Leben eine wichtige Rolle: Sie gibt ihnen Kraft, als Gemeinschaft zusammenzustehen und ihr zerbrochenes Leben wiederaufzubauen. Sie finden Freude in der Gemeinschaft des Glaubens. Wenn ein freudiges Ereignis, zum Beispiel die Taufe eines Kindes, stattfindet, kommen Familienmitglieder von weit her angereist, um das besondere Fest mitzufeiern. Auch zu Hochzeiten, Erstkommunion- und Firmungsfeiern kommen viele Familienmitglieder zusammen. Und wenn jemand den Bau seines Hauses fertiggestellt hat, beteiligt sich die Gemeinde mit einem Festmahl. Bei einem Todesfall kommt das ganze Dorf zusammen, um zu trauern und zu trösten. In Ruanda und Uganda wird von der Familie, wenn es sich bei dem Toten um einen angesehenen Mann handelt, erwartet, einen Bullen TEXT UND FOTOS: Ivica Perić ofm Lebendige Gemeinde Überzeugender Glaube in Ostafrika Die Menschen in Mwakapandula müssen lange Strecken zurücklegen, um ihre Familien mit dem Nötigsten zu versorgen. 12 | 13
zu schlachten, den sich die Trauernden dann teilen; bei einer verstorbenen Frau wird eine Kuh geschlachtet. Matoke (eine Art Banane), Kartoffeln und Maniok (eine tropische Wurzelknolle), was immer den Familien möglich ist, bringen sie mit. Die Zeremonie dauert in der Regel eine Woche, um die Hinterbliebenen zu trösten. Wenn nach der Beerdigung ein Familienmitglied allein leben muss, wird jemand für einige Zeit dort wohnen bleiben, um die Person zu unterstützen. Wenn jemand krank ist, gibt es immer Menschen, die den Kranken – oft auf einer Trage, da es keine anderen Transportmittel gibt – in die nächste Klinik tragen. Angehörige müssen die Bettwäsche selbst bereitstellen und sogar den Kranken täglich das Essen bringen. In all dem zeigt sich: Niemand wird allein gelassen, weder bei freudigen Ereignissen noch in Trauer oder Krankheit. Selbst in einer schwierigen Situation, wie einer drohenden Ehe- scheidung, treffen sich Familienmitglieder beider Seiten, um nach einer Lösung zu suchen. Lebendiger Glaube In Afrika gibt es kein Leben ohne Glauben an Gott. Auch in ihren traditionellen Religionen kennen die Menschen hier ein höchstes Wesen. Aus diesem Grund nehmen sie den christlichen Glauben bereitwillig und von ganzem Herzen an. Ihr tägliches Leben ist vom Glauben geprägt. Die Sonntagsmesse ist ein gesellschaftliches Ereignis: Die Gemeindemitglieder kommen von weit her, tragen ihre beste Kleidung und bringen sogar Essen mit, um es mit anderen zu teilen. Große religiöse Feste wie Weihnachten, Ostern, Dreikönige oder Palmsonntag werden mit Prozessionen und aufwändigen Dekorationen gefeiert und gut besucht. Respekt vor anderen ist sehr wichtig: Mitglieder der Gemeinschaft umarmen sich gegenseitig mit dem Friedensgruß. Hier in Sambia – wie auch in Uganda und Ruanda – kommen die Menschen der Pfarrei in echtem Gemeinschaftsgeist zusammen, um zum Beispiel das Grundstück für die Neubauten von Kirche, medizinischem Zentrum und Schule von Büschen und hohem, trockenem Gras zu befreien. Viele Aufgaben zur Pflege und Ordnung der Kirche werden gemeinsam ausgeführt. Verschiedene Gruppen der Gemeinde bemühen sich, jede auf ihre Weise, zum Aufbau der Gemeinschaft des Glaubens und der Hoffnung für eine bessere Zukunft beizutragen. Als ich in Sambia ankam, wurde ich von der Gemeinde, die wir Franziskaner unterstützen wollen, herzlich empfangen. Das Grundstück, auf dem Kloster und Kirche gebaut werden, wurde der Gemeinde von Häuptling Liteta, der in dieser Region politisch und religiös verantwortlich ist, geschenkt. Als er von unseren Plänen, den Menschen in dieser ärmlichen Gegend zu helfen, hörte, war er begeistert. Ständig informiert er sich über den Fortgang der geplanten Projekte zur Bildung und Gesundheitsvorsorge sowie des Kirchbaus. Auch der Bischof der Diözese freut sich über unsere Bereitschaft, den Menschen in dieser ländlichen Gegend zu helfen. Da die Diözese noch jung ist, ermutigt er uns nachdrücklich, eine Pfarrei zu gründen, da die jetzige zu groß ist und die Wege für die Gläubigen zu weit seien, um an Gottesdiensten teilnehmen zu können. In jedem Land, in dem ich mit den Armen gelebt und ihnen geholfen habe, zeigten die Menschen große Dankbarkeit und Wertschätzung für die Arbeit der Franziskaner. Dies wiederum trägt dazu bei, einen noch stärkeren Gemeinschaftsgeist aufzubauen, der den guten Willen und die Gemeinschaft fördert. Dieser solidarische Geist schafft eine stark verbundene und gut funktionierende Gesellschaft und ist somit das A und O. Der Franziskaner Ivica Perić besucht eine neue Schule in Mwakapandula. Der Unterricht findet schon im Rohbau, aber ohne Möbel statt. Die Lehmhütten bieten den Menschen nur schwachen Schutz vor Wind, Sonne oder ungebetenem Besuch von Tieren. Der Autor Ivica Perić stammt aus Kroatien und ist Mitglied der ostafrikanischen Franziskanerprovinz vom heiligen Franziskus. Nachdem er für eine längere Zeit die Pater-Vjeko-Berufsschule in Ruanda geleitet hat, baut er seit zwei Jahren eine ähnliche Bildungseinrichtung in Sambia auf. Übersetzung aus dem Englischen: Heinrich Gockel ofm
Unser gelebtes Zeugnis soll evangelisieren vor der Verkündigung durch das Wort. Die Brüder sollen »vor allem durch Werke«, durch ihr Verhalten, durch ihren Lebensstil predigen. Dies erfordert, sich ständig auf einen Prozess der Bekehrung einzulassen. Der heilige Franziskus geht auf die Aussätzigen zu. In der Begegnung mit ihnen erfährt er, dass das, was ihm bitter erschien, sich in »Süßigkeit des Geistes und des Leibes« verwandelt hat. Er sieht die Aussätzigen nach seiner Bekehrung mit anderen Augen. Er erkennt in ihnen konkrete Menschen, konkrete Gesichter Christi, Brüder und Mission in Nordostbrasilien Herausforderungen an die Franziskaner TEXT: Walter Schreiber ofm | MALEREI: Benedito Geraldo Gomes Gonçalves ofm Der heilige Franziskus bittet seine Brüder, die hinausziehen und missionieren wollen, durch zwei geistliche Möglichkeiten zu wirken. Eine besteht darin, weder »Zank noch Streit« zu beginnen, sondern »um Gottes Willen allen Menschen untertan« zu sein und zu bekennen, dass sie, die Brüder, Christen sind. Die andere, »falls sie [die Brüder] es als gottgefällig erkannt haben« und die Menschen wegen des gelebten Beispiels der Brüder es wünschen, ihnen das Wort Gottes zu verkünden und sie zu taufen. (vgl. Nicht-bullierte Regel, Kapitel 16) Schwestern. In der Begegnung mit ihnen hat er sich selbst evangelisiert. Er erfährt Mission und Evangelisierung als Geschenk, als ein Geben und Nehmen. In den Aussätzigen erkennt er die unermessliche Liebe Gottes und das Geheimnis der Menschwerdung Jesu. Das bedeutet: Evangelisieren und Missionieren erfolgt durch Kontakte mit konkreten Menschen. Nur so kennt man ihre »Freude und Hoffnungen, ihre Trauer und Ängste«. Trotz aller modernen Kommunikationsmittel ist die Grundlage der Glaubensweitergabe immer noch die Begegnung von Mensch zu Mensch. Nur so wird man Jünger und Jüngerin, Missionar und Missionarin. Auf diese Weise evangelisieren die Armen durch ihre eigene Glaubenserfahrung, durch ihr Leben aus dem Glauben und durch die Ausdrucksweise ihrer Frömmigkeit. Option für die Armen Nach dem II. Vatikanischen Konzil (1962– 1965) und den lateinamerikanischen Bischofskonferenzen mit ihrer klaren Aussage zur Option für die Armen geschah dies: Viele Ordensmitglieder sind in die unmittelbare Nachbarschaft der armen Bevölkerung, direkt in die städtischen und ländlichen Armenviertel, umgezogen. Sie wollten an deren Leben konkret teilnehmen und spüren, was es heißt, arm zu sein und in ständiger Unsicherheit zu leben. Durch ihre Nähe und Solidarität, durch ihr Zeugnis, wollten sie die Unsicherheit der armen Menschen mittragen und mildern. Die gemeinsame Erfahrung in den Basisgemeinschaften haben die Hoffnung dieser Menschen gestärkt und ihnen Franziskus begegnet einem Aussätzigen. 14
ihre eigene Würde bewusstgemacht. Sie entdecken ihre inneren Kräfte und die Stärke ihres Glaubens. Dies befähigt sie, ihre Lebensbedingungen durch persönliches Wachsen und soziale und gemeinschaftliche (politische) Aktionen selbst zu gestalten. Sie sind Bürgerinnen und Bürger des Glaubens und der Gesellschaft geworden. Aktuelle Herausforderungen Heute leben wir in einer veränderten Situation: Brasilien ist auf dem Weg der Demokratisierung, aber die Gesellschaft ist gespalten. Die Herausforderungen an die Kirche sind eher mehr geworden. Es gilt weiterhin, die Botschaft aus Sicht der Armen, der Ausgegrenzten, der Stigmatisierten sowie der neuen existentiellen und geographischen Peripherien zu verkünden. Die Theologie der Befreiung hat die biblischen und theologischen Grundlagen der Option für die Armen nach dem Konzil neu herausgearbeitet. Es waren viele Ordensmitglieder, Priester und Laienmissionare, die diese Option praktisch und lebensnah in den Basisgemeinschaften gelebt haben. Ihr Auftrag gilt aber auch heute unter veränderten Umständen. Es ist weiterhin notwendig, dass junge Theologen und Theologinnen durch ihre Reflexion über die Realität die Praxis der Option für die Armen stützen. Evangelikale Kirchen Die signifikante Zunahme der evangelikalen Kirchen unter der ärmeren Bevölkerung – mit ihrem Konzept, den Glauben zu leben und die Gesellschaft zu gestalten –, ist auch eine Folge des Kontaktverlustes der katholischen Kirche mit diesen Menschen und ihrem Umfeld. Sie sind besonders anfällig für die Botschaften aus den sozialen Netzwerken, die sie ohne Orientierungshilfen nicht kritisch einordnen können. Sie sind einer Flut von sozialen, kulturellen, politischen und religiösen Informationen über die sozialen Netzwerke ausgesetzt, die dort von unterschiedlichsten Institutionen, Gruppen oder Einzelpersonen präsentiert werden, um vielfach die Menschen zu manipulieren. Auch unter katholischen Vorzeichen tummeln sich viele Angebote im Internet. Darunter leider auch eine ganze Reihe, die den Glauben der Menschen durch Moralismen und Angriffe auf den Papst und kirchliche Dokumente als nicht mehr katholisch manipulieren. Deshalb ist es heute wichtiger denn je, dass wir Franziskaner und andere Ordensmitglieder sich wieder von Neuem den Menschen annähern und zu ihnen in die Städte gehen, die wir leider häufig verlassen haben. Kleine Gemeinschaften Ich selbst habe jahrelang in einer kleinen Franziskanergemeinschaft gelebt, sowohl im städtischen als auch im ländlichen Milieu. Dabei habe ich gemerkt, wie stark die einfache Tatsache, Seite an Seite dieser Menschen zu leben, die eigenen Vorstellung von Evangelisierung radikal infrage stellt. Und mir wurde bewusst, wie die Menschen andererseits unsere Gegenwart spürten. Es geht dabei nicht einfach darum, das Evangelium zu verkünden, sondern diesen Menschen gleichzeitig das Bewusstsein als Brüder und Schwestern und als Missionare zu vermitteln. Als wir die Gemeinschaft nach fünf Jahren geschlossen haben, fragten wir die Menschen, was unsere Präsenz für sie bedeutet habe. Ihre Antworten waren überraschend: »Wir haben nie erwartet, dass in diesem ›Loch‹ einmal Seminaristen (so nannten sie uns) wohnen würden und dass die Kirche so an uns denkt! Seit ihr hier wohnt, haben die Leute in der Umgebung weniger gestritten. Ihr habt immer die Dinge gemeinsam gemacht, nie einer allein. Ihr wart immer einig und habt nie unter euch gestritten.« Was aber noch beglückender gewesen ist, zeigte sich, als wir schon nicht mehr dort wohnten: Die Gemeinde hat kurze Zeit danach durch Eigeninitiative eine Kapelle gebaut und ein kleines Gemeindezentrum errichtet. Und was besonders wichtig ist: Sie haben sich als Missionarinnen Missionare vor Ort verstanden und selbst die Glaubensverbreitung in die Hand genommen. Diese Erfahrung konnte ich später auch an einem anderen Ort machen. Nach unserem Weggang sind die Menschen bis heute dort missionarisch tätig, indem sie die Familien, die neu in ihrem Wohngebiet ankommen, besuchen und den Glauben mit Gebets- und Katechesegruppen weitergeben. Heute sind daraus zwei lebendige Stadtpfarreien entstanden. Der Autor Walter Schreiber ist Mitglied der nordostbrasilianischen Franziskanerprovinz des heiligen Antonius mit Sitz in Recife. 25 Jahre hat er in kleinen Gemeinschaften am Rand verschiedener Großstädte gelebt und ist heute verantwortlich für die Ausbildung und Studien seiner Provinz. 15
TEXT: Lars Jücker und Klaus Vellguth | FOTOS: Theologische Fakultät Trier Für viele der jungen Studentinnen und -studenten aus Trier war es die erste Begegnung mit Lateinamerika, als sie im März 2024 nach Bolivien reisten. Als Ziel ihrer weltkirchlichen Studienreise hatten sie sich das lateinamerikanische Binnenland ausgewählt, das von den Anden im Westen über das Hochland hinweg bis in die Tiefebene des Amazonas im Osten reicht. Die erste Station ihrer dreiwöchigen Begegnungsreise war Santa Cruz de la Sierra, die Wirtschaftsmetropole im Tiefland Boliviens. Begrüßt wurde die Reisegruppe dort von den Franziskanern in ihrem Zentrum San Antonio. Dort fand zunächst ein Einführungstag statt, der dabei half, behutsam auf dem fremden Kontinent, in der fremden Kultur und unter bislang fremden Menschen anzukommen. Doch schnell wurden aus fremden Menschen Freunde. Ein Schwerpunkt der Einführung war die Auseinandersetzung mit den ökologischen Herausforderungen am Amazonas sowie mit dem von Papst Franziskus veröffentlichten nachsynodalen Knapp drei Wochen lang war eine zwanzigköpfige Gruppe der Theologischen Fakultät Trier in diesem Jahr in Bolivien unterwegs. Dabei lernten die jungen Christen aus Deutschland den beeindruckenden Glauben der Bolivianerinnen und Bolivianer kennen und gewannen erste Einblicke in das faszinierende Leben der Kirche Boliviens. Diese Kirche wirkt jung und lebendig. Wo der Glaube lebt Begegnungen mit der jungen Kirchen Boliviens Schreiben »Querida Amazonia« (»Geliebtes Amazonien«). Diese Thematik wird die Reisegruppe immer wieder während ihrer Bolivienreise beschäftigen. Nach der Einführung in Santa Cruz machten sich die jungen Christinnen und Christen aus Deutschland in Kleingruppen auf den Weg, um das Bistum San Ignacio de Velasco sowie die Vikariate Ñuflo de Chávez, Camiri, Beni/Trinidad und Reyes zu besuchen. Später reiste die Gruppe gemeinsam nach Cochabamba, Aiquile, Sucre und Potosì. Beeindruckt waren die Studierenden von ihren Begegnungen mit den selbstbewussten Bolivianerinnen und Bolivianern, die ihre Gäste aus Deutschland mit einer unglaublichen Gastfreundschaft aufgenommen und dabei von ihrem Glauben, Leben, von ihren Hoffnungen und Sorgen erzählt haben. Dabei fühlten sich die Besucher aus Trier nicht als Gäste, sondern wurden immer wieder wie Freunde empfangen. Hier hat die jahrzehntelange Partnerschaft des Bistums Trier mit der Kirche in Bolivien seine tiefen Spuren hinterlassen.
Lebendige Liturgie Vieles fühlte sich in Bolivien anders an als in Deutschland. Beeindruckend, wie unverkrampft und lebendig Gottesdienst in den bolivianischen Gemeinden gefeiert wird. Ein erster Eindruck aus Concepción: Während der Gottesdienst beginnt, trudeln nach und nach immer mehr Menschen ein. Allmählich füllen sich die Reihen der Kirche. Die Kirche lebt. Vor den offenen Kirchtüren blüht das Leben: Man hört laute Motorräder vorbeifahren, sieht Spaziergänger flanieren und die offenen Türen laden immer mehr Menschen ein, nach und nach in die Kirche zu kommen. Eine typische Szene: Jugendliche kommen in den Gottesdienst. Sie freuen sich, dass sie hier ihre Freunde treffen. Sie stehen auf und begrüßen sich. Leise klatschen sie einander in die Hände, umarmen sich und nehmen miteinander an der Liturgie teil. Dabei darf es durchaus lebendig zugehen. Die Frauen und Männer sitzen in den bolivianischen Gottesdiensten nicht steif in den Bänken, sondern machen die Kirche zu einem Ort voller Leben. Sie begrüßen einander, unterhalten sich mit Freunden und Bekannten und verhalten sich völlig unverkrampft. Angenehme Normalität auch im Gottesdienst. Dieses blühende Leben ist auch am Folgetag zu spüren, als die Gruppe aus Trier den Gottesdienst in Concepción mit Bischof Antonio Reimann ofm feiert. Zum Pontifikalamt sind noch mehr Christinnen und Christen in die Kirche gekommen. Auch nach dem Segen leert sich das Gotteshaus nicht. Viele Kinder und Erwachsene bleiben in den Bänken und im Kreuzgang der Kathedrale. Sie nehmen an der Katechese für Erstkommunionkinder und ihren Eltern teil. Bischof Reimann kennt diesen »Belagerungszustand« in seiner Kathedrale. So verlagert er die für die Gäste aus Deutschland vorgesehene Kirchenführung kurzerhand in den Außenbereich, bevor er seinen Gästen die Gebäude des Vikariates, die Museen, das Notenarchiv und andere Sehenswürdigkeiten seiner Heimatstadt vorstellt. »Viele Hände machen der Arbeit schnell ein Ende«: Ein internationales Team reinigt den Kirchplatz. Mittelseite: Palmsonntagsgottesdienst vor der beeindruckenden Fassade der Kathedrale von Santa Cruz de la Sierra, Bolivien Persönliche Begegnung ermöglicht interkulturellen Dialog. 16 | 17
Der Autor Lars Jücker studiert im Masterstudiengang »Interreligiöse Studien: Judentum, Christentum, Islam« an der Theologischen Fakultät Trier. Im März 2024 nahm er an der Bolivienexkursion des Lehrstuhls für Pastoraltheologie teil. Der Autor Klaus Vellguth ist Professor für Pastoraltheologie mit Homiletik an der Theologischen Fakultät Trier. Bewahrung der Schöpfung An mehreren Stationen ihrer Reise wurde die Gruppe aus Deutschland von Franziskanern begrüßt, beherbergt und begleitet: so auch in Cochabamba und Tarata. In Cochabamba besuchen die Studierenden zunächst die Theologische Fakultät »San Pablo«, mit der ihre Theologische Fakultät Trier seit Jahrzehnten verbunden ist. Im Rahmen eines gemeinsamen Studientags findet dort ein interkultureller theologischer Austausch statt. Ein wichtiges Thema: Die Auseinandersetzung mit indigenen Schöpfungsspiritualitäten am Amazonas. Im Zentrum der Franziskaner in Cochabamba kommt es zwei Tage später zu einer eindrücklichen Begegnung mit Umweltaktivisten, die sich in Bolivien für eine Bewahrung der Schöpfung einsetzen. Sie erzählten von ihrem Kampf »David gegen Goliath«. Mutig stellen sich verschiedene Umweltorganisationen der Umweltzerstörung entgegen und setzen sich für einen Schutz des Regenwaldes ein. Spürbar wird in Cochabamba: Die Sorge um sowie die Verantwortung für die Schöpfung verbindet Christen in Bolivien und Deutschland. Glaube schafft Lebensmut Und immer wieder die Erfahrung, wie sich das Leben und der Glaube der Menschen in Bolivien umarmen. So auch beim Palmsonntagsgottesdienst in Santa Cruz de la Sierra. Der Gottesdienst wird auf dem Platz vor der Kathedrale gefeiert, da das Gotteshaus die vielen zusammenströmenden Gläubigen gar nicht aufnehmen kann. Ein Bild des Lebens: Tausende Menschen, die ihre Palmzweige, aus Palmen geflochtene Kreuze oder einfach nur Blumenbouquets in den Händen halten und zur mitreißenden Musik in der Luft schwenken. Nach dem Schlusssegen strömen viele Gläubige nach vorn, um sich auch noch einmal einzeln segnen zu lassen. Ein beeindruckend feuchtes Erlebnis für viele, wenn ein halbes Dutzend Segensspender ihre Palmwedel oder Blumen ins Wasser tauchten, um die Gläubigen mit Wasser zu besprengen. Landesweit wurde der Gottesdienst im Fernsehen übertragen. Auch wenn die Spendung des Segens nur eine Randnotiz des Gottesdienstes bildet, scheint diese doch symptomatisch zu sein. Deutlich zeigt sich hier ein Unterschied zur deutschen Kirche. Während die Gottesdienstbesucher in Deutschland nach dem Schlusssegen nach Hause eilen, bleiben die Christen in Bolivien zusammen. Großer Andrang herrscht regelmäßig bei den Einzelsegnungen, die unmittelbar an den Gottesdienst anschließen. Im Segensritus wird den Gottesdienstbesuchern die Nähe Gottes zugesprochen. Ein wichtiger Aspekt im bolivianischen Glauben: Der Segen und Zuspruch, dass alles im Leben gut wird. Weltkirchliche Erfahrung Monatelang ist die Bolivien-Studienreise der Theologischen Fakultät unter Leitung von Michael Meyer gemeinsam mit der Partnerschaftskommission der Bolivianischen Bischofskonferenz, der Deutschen und der Bolivianischen Franziskanerprovinz sowie der Diözesanstelle Weltkirche des Bistums Trier vorbereitet worden. Von ihrer dreiwöchigen Reise kehrten die Studierenden bereichert nach Deutschland zurück. Beschenkt wurden sie mit einer bunten kulturellen Vielfalt, der Erfahrung einer nicht für möglich gehaltenen Gastfreundschaft und von der Begegnung mit einer jungen und dynamischen Kirche. Diese sehr bereichernde Erfahrung von Weltkirche und Mission wurde von der Franziskaner Mission München gefördert und großzügig finanziell unterstützt. Gerne möchten alle Beteiligten diese inspirierende und erfolgreiche Zusammenarbeit auch in Zukunft fortsetzen. Am Ende des Gottesdienstes geht die junge Gemeinde zum Altar und erhält vom Priester einen weihwasserreichen Segen. Palmsonntagsgottesdienst auf dem Platz vor der Kathedrale in Santa Cruz de la Sierra 20 | 21
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