»… er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich.« (Phil 2,7) Gott selbst ist in Jesus mit den Menschen in ihren Leiden solidarisch geworden. Diese Botschaft bestimmt das Leben und die Verkündigung Jesu. Sie betrifft und unterstreicht die allen Menschen gemeinsame, unverrückbare Würde. Kirche kann gar nicht anders als dienende Kirche zu sein. TEXT: Pirmin Spiegel | FOTOS: Florian Kopp/Misereor »Wenn einer das Evangelium liest, findet er eine ganz klare Ausrichtung: nicht so sehr die reichen Freunde und Nachbarn, sondern vor allem die Armen und die Kranken, diejenigen, die häufig verachtet und vergessen werden, die ›es dir nicht vergelten können‹ (Lk 14,14). […] Heute und immer gilt: ›Die Armen sind die ersten Adressaten des Evangeliums‹. […] Ohne Umschweife ist zu sagen, dass […] ein untrennbares Band zwischen unserem Glauben und den Armen besteht. Lassen wir die Armen nie allein!« (EG 48) Das Kernthema Barmherzigkeit, das im Leben von Papst Franziskus eine wichtige Rolle spielt, ist die umfassende Antwort Gottes an die Menschheit und Synonym für die Treue seiner Liebe. Jesus hat die Armen und Geringsten nicht seliggepriesen, weil sie in besonderer Weise »heilig« oder »unschuldig« waren, sondern weil der Anspruch auf Wahrheit damit verbunden ist, dem Leiden, der Ungleichheit, der Ausbeutung und der Not eine prophetische Stimme zu geben. Die prophetische Stimme, die Ungleichheit wahrnimmt und denunziert, ist immer auch ein Aufruf, die Ordnung der Welt und das eigene Leben in Ordnung zu bringen. Was wir alle gemeinsam lernen können und müssen, ist eine »glückliche Genügsamkeit« (vgl. LS 224). Mit zwei Erinnerungen will ich diese Spur aufnehmen. Sie sind Wurzeln, die noch heute Hoffnung auf eine andere so notwendige Zukunft eröffnen. Lernerfahrungen Bei der ersten Erinnerung geht es um die Gründung des »Indigenenmissionsrats Brasiliens CIMI« (»Conselho Indigenista Missionário«) 1972, im Nachgang des Zweiten Vatikanischen Konzils und Medellíns, wo die II. Generalversammlung des lateinamerikanischen Bischofsrates 1968 stattfand. In diesem historischen Kontext der Entkolonialisierung, des Dialogs und der Befreiung stellten sich eine Reihe von Fragen zur damaligen Missionspraxis gegenüber indigenen Völkern: Wären nicht auch die indigenen Völker dieses Kontinents privilegierte Partner in einem interreligiösen Dialog? Sind sie nicht auch an Religionsfreiheit, an der Befreiung von allen Formen des Kolonialismus, an der Achtung ihrer Kultur und letztlich an ihrer Selbstbestimmung interessiert? Im selben Jahr – 1972 – wurden die ersten 1.250 Kilometer der Transamazonischen Schnellstraße (BR-230) eingeweiht, deren Verlauf 29 indigene Gebiete tödlich verletzte. Im brasilianischen Fernsehen wurde das Ereignis zum ersten Mal in Farbe und mit düsteren, zensierten Bildern übertragen und als einer der Eckpfeiler des »brasilianischen Wunders« gefeiert. Als Papst Johannes XXIII. nach der Bedeutung des Konzils gefragt wurde, öffnete er in einer symbolischen Geste die Fenster seiner Wohnung. Die Entkolonialisierung sollte eine neue Ära einleiten. CIMI öffnete die Fenster und Türen einer postkolonial missionarisch-pastoralen Organisation und sandte dadurch neue Fragen an die (Welt)-Kirche: Wie sollte man mit den kulturell Andersartigen und geografisch Entfernten arbeiten und kommunizieren? Soll die Indigenen-Pastoral indigene Völker auf ihre Integration in die westliche Zivilisation und die nationale Gesellschaft vorbereiten? Würden damit nicht ihre Aktivitäten und Lebensweisen auf den Markt, die Rentabilität und den Gewinn ausgerichtet? Dann würde die Mission die Selbstbestimmung verweigern und ihre kolonialen Praktiken der kulturellen Zerstörung und politischen Beherrschung fortsetzen. Kazike Kawore Parakaná, Volk der Parakanã im indigenen Schutzgebiet TI APYTEREWA, Pará, Brasilien Aufruf zu größerer Gerechtigkeit Plädoyer für eine dienende Kirche
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