Franziskaner Mission 3 | 2024

Bei den Guarayo in Bolivien geht die Ernährung über die reine Nahrungsaufnahme hinaus. Sie ist ein Ausdruck ihrer Kultur, Identität und Werte. Doch der Verkauf von Land und der Verlust der landwirtschaftlichen Selbstversorgung haben die Widerstandsfähigkeit dieser Gemeinschaft auf die Probe gestellt. Die Autorin Angelita Becerra Balcázar ist Psychologin und arbeitet im franziskanischen Projekt »Santa Clara« für unterernährte Kinder in Ascensión de Guarayos, Bolivien. Sie ist 39 Jahre alt, verheiratet und hat drei Kinder. Übersetzung aus dem Spanischen: Pia Wohlgemuth Ernährung bei den Guarayos Kulturelle und menschliche Perspektiven Früher hatten viele Familien Gärten oder Felder und somit Zugang zu einer Vielzahl frischer und selbstangebauter Produkte. Doch immer mehr Familien waren aus finanzieller Not gezwungen, ihre Felder und Parzellen zu verkaufen. Dies hat die Abhängigkeit von gekauften Lebensmitteln und damit eine Abnahme der Ernährungsvielfalt zur Folge. Das Mittagessen ist die Hauptmahlzeit des Tages und wird üblicherweise am Vormittag oder am Nachmittag eingenommen. Es ist üblich, dass alle Familienmitglieder zusammenkommen, denn auch wenn es nur eine einfache, manchmal auch karge Mahlzeit ist, ist es für die Familie eine wichtige Zeit. Viele Familien haben aus Mangel an Geld und eigenen Lebensmitteln Frühstück und Abendessen praktisch abgeschafft. Diejenigen, die es sich leisten können, konsumieren morgens und abends stattdessen Heißgetränke wie Kaffee oder Mate. Leider ist es sehr verbreitet, dass die Kinder ohne Frühstück zur Schule gehen, was den Lernprozess stark behindert. Denn nur mit gefülltem Magen lernt es sich gut. Die Zubereitung von Lebensmitteln ist eine Gemeinschafts- und Familienaufgabe, wobei die Frauen die Hauptlast dieser Verantwortung tragen. Neben ihrer Erwerbstätigkeit kochen die Frauen nicht nur, sondern sie verwalten auch die knappen Lebensmittelressourcen und finden kreative Wege, um ihre Familien mit dem Wenigen, das sie haben, zu ernähren. Die Männer sind neben ihrem Beruf zum Beispiel als Taxifahrer oder LandTEXT: Angelita Becerra Balcázar | FOTO: Yanira Leida Justiniano Ortiz HTSF arbeiter auch an der Nahrungsbeschaffung beteiligt, wenn möglich jagen sie Kleintiere oder sie fischen. Die traditionellen Frauen- und Männerrollen werden in der Kultur der Guarayos noch stark bewahrt. Aber mittlerweile ist auch dies im Wandel und stellt die Familien vor neue Herausforderungen. Trotz dieser Herausforderungen zeigen die Guarayo-Familien weiterhin eine bewundernswerte Fähigkeit, sich an widrige Umstände anzupassen, ohne ihre Wurzeln zu verlieren. Durch Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung gehen die Guarayo auf Schwachstellen ein und versuchen sicherzustellen, dass alle Mitglieder der Gemeinschaft Zugang zu Nahrungsmitteln haben, auch wenn dieser begrenzt ist. Diese Stärke und der Gemeinschaftssinn sind entscheidend für das Verständnis des wahren Reichtums der Guarayo-Kultur und ihres Umgangs mit Lebensmitteln. »Kinder, lasst uns gemeinsam essen!« 23

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