Meine Großeltern leben in einem sehr kleinen Dorf namens Atwatoli im Bezirk Jashpur im indischen Bundesstaat Chhatisgarh. Die Gesamteinwohnerzahl liegt bei etwa 450 Personen, einschließlich der Kinder. Heutzutage wandern die meisten jungen Leute auf der Suche nach Arbeit in die Stadt ab, so wie auch meine Eltern im Jahr 2000 nach Delhi gingen. In Atwatoli ist die nächste Bushaltestelle etwa fünf Kilometer entfernt, zum nächsten Bahnhof braucht man fast acht Stunden mit dem Bus, und der nächstgelegene Flughafen Ranchi (in einem anderen Bundesstaat) ist ebenfalls sieben bis acht Stunden Fahrzeit von diesem Dorf entfernt. Die Dorfbewohner führen ein bescheidenes Leben. Sie stehen jeden Morgen direkt bei Sonnenaufgang auf, reinigen die Häuser und waschen das Geschirr der letzten Nacht ab. Danach geht es ans Säubern der Kuhställe und das Füttern der Kühe mit Heu oder frischem Gras. Sobald die Sonne aufgeht und der Himmel klar ist, bringt ein Familienmitglied zusammen mit anderen Dorfbewohnern die Kühe auf die Weide. Die übrigen Mitglieder des Hauses machen sich für die Feldarbeit bereit. Meistens wird das Mittagessen nicht zu Hause eingenommen, sondern eines der Familienmitglieder, das als Koch für den Tag eingeteilt ist, bringt das Mittagessen auf das Feld. Alle versammelten sich und nehmen das Mittagessen mit den Händen ein. Löffel und Gabeln gibt es nicht. Da ich in der Stadt geboren wurde, erinnere ich mich nur vage an meinen ersten Besuch im Dorf. Ich habe nicht viele Erinnerungen, aber ich weiß noch, wie ich die Kühe mit all der Schokolade, die ich hatte, gefüttert habe. Ich hatte Angst, im Freien auf die Toilette zu gehen, und wollte das Haus nicht betreten, weil der Boden mit Kuhmist verschmiert war. Normalerweise wird Kuhmist mit Wasser vermischt, verdünnt und als Teil der Hausreinigung auf die Wände und Böden gestreut. Mein Lieblingsgemüse ist die zarte Jackfrucht, die von meiner Großmutter auf traditionelle Weise zubereitet wird. Sie wird als Gemüse verwendet, bevor sie reif ist. Wir besuchen meine Großeltern regelmäßig alle zwei oder drei Jahre. Ich freue mich immer darauf, mit ihnen zusammen zu sein und ihren Geschichten zu lauschen. Es ist sehr faszinierend, ihnen zuzuhören. Denn hier ist das Leben krass anders als in der Stadt Delhi. Im Dorf ist alles in Bewegung und voller Leben: Kühe, Büffel, Katzen, Hunde und Schweine laufen frei herum. Pflügen, Mähen, Ernten, Einlagern der Vorräte oder Feiern – alles spielt sich wie ein Theaterstück ab und jedes Familienmitglied ist in diesen Prozess eingebunden. Das Leben auf dem Dorf ist sehr einfach. Die Dorfbewohner ernten nur frische Lebensmittel und holen Wasser für den jeweiligen Tag. Wenn mehr geerntet wird, als für einen Tag benötigt wird, wird es unter den anderen Dorfbewohnern aufgeteilt. Die Mutter der Besuch bei Oma und Opa Leben in einem indischen Dorf Die Autorin Libania Kujur ist 16 Jahre alt, lebt bei ihren Eltern in Delhi und besucht die weiterführende Schule Übersetzung aus dem Englischen: Pia Wohlgemuth TEXT: Libania Kujur | FOTOS: Libania Kujur; Suresh Kujur Familie übernimmt die Verantwortung für das Kochen. Es gibt nicht viele verschiedene Gerichte. Meistens handelt es sich um Reis und Dal, eine Art Linseneintopf mit Tomaten, Kokosmilch und Knoblauch, oder Gemüse, die mit einfachen, hausgemachten Gewürzen in Töpfen auf einem irdenen Herd gekocht werden. Da alles aus dem eigenen Anbau stammt, hat es natürliche Inhaltsstoffe und enthält alle Vitamine. Alle sitzen bei den Mahlzeiten zusammen, sei es morgens, mittags oder abends. Die Abendmahlzeit sollte vor Einbruch der Dunkelheit beendet sein, da die Stromversorgung unzuverlässig ist. Es gibt deswegen auch kaum Unterhaltungsmöglichkeiten wie fernsehen oder im Internet surfen. Deshalb gehen die meisten Familienmitglieder vor 19 Uhr ins Bett. Alltagsleben von Oma und Opa 32
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