In Bezug auf den heiligen Franziskus über Kulinarik zu sprechen, ist ein schwieriges Unterfangen. Was wir über den Heiligen wissen, verdanken wir vor allem seinen Biographen. Diese wollen in erster Linie ein Vorbild beschreiben, an dem sich andere orientieren können. Genussvolles Essen gehörte nicht zur Vorbildfunktion. Werte wie Gastfreundschaft, (Mahl-)Gemeinschaft und Teilen schon. Thomas von Celano, der das erste offizielle Franziskusleben schrieb, berichtet von einer kleinen Gegebenheit, aus der wir schließen können, dass Franziskus Gutem durchaus nicht abgeneigt war. Kurz vor seinem Tod diktiert er einen Brief an Jacoba von Settesoli, eine römische Witwe, der er freundschaftlich verbunden war. Er bittet sie darin, ihm die notwendigen Dinge für sein Begräbnis zu bringen – und jenes Gebäck, das er so gerne gegessen hatte, wenn er bei ihr zu Besuch war. Das ist aber das einzige Ereignis, von dem die Biographen diesbezüglich berichten. Sonst unterstreichen sie eher, wie er bescheiden mit den offerierten Speisen umging und wie er durch Asche oder kaltes Wasser versuchte, diese weniger schmackhaft zu machen – so wie es den Vorstellungen einer asketischen Lebensweise der damaligen Zeit entsprach. Jeder ist wertvoll Wenn es um Gastfreundschaft geht, sieht die Sache etwas anders aus. In seiner ersten Regel schreibt Franziskus: »Und mag zu ihnen kommen, wer da will, Freund oder Feind, Dieb oder Räuber, so soll er gütig aufgenommen werden.« Hier geht es in erster Linie darum, keine Unterschiede zu machen, jedem gegenüber offen zu sein, ganz egal, welchen Ruf er hat. Um dieses Prinzip zu veranschaulichen, haben die Franziskaner im Laufe der Jahre verschiedene Geschichten entwickelt, die vor allem in den sogenannten »Fioretti«, auch »Blümlein des heiligen Franziskus« genannt, bis heute erhalten sind. Eine dieser Geschichten, die sich wahrscheinlich tatsächlich so zugetragen hat, ist jene der Familie des Johannes der Einfältige, ein BauernFranziskanische Werte Gastfreundschaft – Mahlgemeinschaft – Teilen TEXT: Elisabeth Bäbler osf | MALEREI: Edmund Blair Leighton 1895 – Wikimedia Commons sohn aus dem Hinterland von Assisi. Er wollte sich Franziskus anschließen und als dieser eines Tages in seinem Dorf vorbeikam, setzte er sein Vorhaben in die Tat um. Er wollte auch den Ochsen der Familie als seinen Anteil an seinem Erbe verkaufen und den Armen geben. Als Franziskus die Traurigkeit und das Erschrecken der Familie über den Verlust dieses wichtigen Arbeitstiers sah, schlug er vor, zuerst einmal zusammen zu essen. Er versicherte der Familie, man würde eine Lösung finden, die sie wieder froh machen würde. Nach dem Essen verkündete er, Johannes sollte den Ochsen der Familie zugutekommen lassen, denn sie seien auch Arme. Hier diente die Mahlzeit wohl in erster Linie dazu, einen Zeitaufschub zu schaffen, die Situation zu entschärfen und die Gemüter so weit zu beruhigen, dass die Familie ihren Sohn und Bruder in Frieden ziehen lassen konnte. Eine weitere Geschichte stammt aus einer kleinen Niederlassung der Franziskanerbrüder in der Nähe von San Sepolcro im oberen Tibertal. Zu diesem Konvent kamen eines Tages Räuber und baten die Brüder um Brot. Dadurch entstand zwischen den Brüdern eine Spaltung: Die einen fanden es nicht gut, jemand moralisch Zweifelhaftem Almosen zu geben, die anderen sahen die Not und die Art des Bittens und gaben ihnen etwas. Als Franziskus eines Tages in die Einsiedelei kam, fragten sie diesen um Rat. Er schlug ihnen vor, die Räuber mit Brot und Wein aufzusuchen und sie zu bedienen. Nachdem sie gegessen hätten, sollten die Brüder den Räubern das Versprechen abnehmen, niemandem etwas Böses anzutun. Tags darauf sollten sie aufgrund des gegebenen Versprechens noch zusätzlich Käse und Eier mitnehmen und sie wieder bewirten. Danach sollten sie ihnen darlegen, dass es bessere Lebensentwürfe gäbe als der von ihnen gewählte. Die Quellen berichten, die Räuber hätten aufgrund der Freundschaft und der Liebe, die die Brüder ihnen entgegenbrachten, begonnen diesen zu helfen und seien schließlich zum Teil in den Orden eingetreten, zum Teil hätten sie begonnen, von ihrer Hände Arbeit zu leben. Nachdem die Räuber Wertschätzung erfahren haben, waren sie bereit, ihr Leben zu ändern. Geschwisterlichkeit Hier wird einer der grundlegenden Werte der franziskanischen Denkweise berührt: Jeder Mensch ist in sich wertvoll, unabhängig von seinem Lebenswandel, seiner Einstellungen oder seiner Berufswahl. Dies kann durch Gastfreundschaft sehr gut zum Ausdruck gebracht werden. Meine Mutter zum Beispiel stammt aus einer Familie, die über 100 Jahre ein Hotel betrieben hat. Bei Einladungen von Verwandten mütterlicherseits konnte man Sympathie und Wertschätzung sehr einfach an der Speisefolge ablesen. Wie viel Zeit und Energie wir in die Zubereitung von Speisen stecken, hat aus meiner Sicht nicht nur in meiner Familie etwas mit Beziehung zu tun. Nicht umsonst endet der große Bilderzyklus über das Leben des heiligen Franziskus in der Oberkirche der Basilika San Francesco in Assisi mit dem himmlischen Hochzeitsmahl. Franziskus betrachtet die Güte Gottes als seine zentrale Eigenschaft. Wie könnte man das in einer Gesellschaft, in der weite Teile an Hunger litten, besser darstellen als mit einem Hochzeitsmahl? 8
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