Elisabeth von Thüringen lässt noch einmal einen anderen Aspekt franziskanischer Werte aufscheinen. Zu ihren Repräsentationspflichten gehörte es, an der Seite ihres Mannes an Banketten teilzunehmen, die dieser als Landgraf von Thüringen gab und geben musste. Allerdings ließ sie sich bei jeder Speise sagen, ob diese einen »gerechten« Ursprung hatten oder jemandem unrechtmäßig abgepresst wurden. War letzteres der Fall, weigerte sie sich, die Speisen zu essen. Das führte oft dazu, dass sie nur Brot und Wasser zu sich nehmen konnte. Sie war trotzdem als Gastgeberin aktiv, verlangte auch nicht von ihren Gästen, ihre Ansicht diesbezüglich zu teilen. Aber sie war sehr konsequent in einer Haltung, die wir heute vielleicht mit fairem Handel, Nachhaltigkeit und dem Bemühen, auf eine gerechte Art einzukaufen, gleichsetzen könnten. Auch der Aspekt des Teilens spielte in ihrem Leben eine große Rolle. In der Zeit, in der sie in Abwesenheit ihres Mannes die Grafschaft leitete, ließ sie während einer Hungersnot die landgräflichen Kornspeicher öffnen und versorgte die Bevölkerung mit Getreide – gegen den Widerstand ihrer Berater. Als sie nach dem Tod ihres Mannes ein Hospital in Marburg gründete, das man sich als eine Art Kombination von Armenküche und Krankenhaus vorstellen kann, verlangte ihr Beichtvater von ihr, den Armen nicht mehr als ein Brot zu geben. Sie löste das Dilemma zwischen ihrer Großzügigkeit und der Vorgabe damit, dass sie jeweils nur ein Brot ausgab, die Leute aber aufforderte, sich noch einmal in die Schlange einzuordnen, um ein weiteres abzuholen. Auch für Elisabeth ist Gott in erster Linie der Gute, der uns alles in Überfülle schenkt und uns mit der Schöpfung einen Lebensraum zur Verfügung gestellt hat, an dem es uns an nichts mangeln muss. Unsere Aufgabe ist es in den Augen dieser Heiligen, diese Großzügigkeit weiterzugeben. In unserem kleinen geistlichen Zentrum in Siegen/Wilnsdorf können wir unsere Gäste leider nur sehr beschränkt bewirten. Wir haben keine Küche, in der wir für größere Gruppen kochen könnten. Was wir tun können – und was mir ein großer Wert ist –, ist, die Räume so zu gestalten, dass die Besucher sich wohl fühlen – Schönheit ist auch eine Eigenschaft Gottes und auch das hat etwas mit Gastfreundschaft zu tun. Alles – die Umgebung, die Art der Speisen, die Zubereitung – signalisieren dem anderen: Du bist kostbar, du bist mir wichtig. Wenn auch, wie gesagt, wenig über die kulinarischen Vorlieben oder Abneigungen in den Biographien zu finden ist, kann diese Haltung der franziskanischen Heiligen ihren Mitmenschen gegenüber an vielen Orten entdeckt werden. Die heilige Elisabeth von Thüringen, Patronin der Deutschen Franziskanerprovinz, teilt ihr Brot mit den Hungernden. Die Autorin Elisabeth Bäbler gehört seit 1999 der Kongregation der Franziskanerinnen von Sießen an. Sie leitet das »Geistliche Zentrum Eremitage Franziskus«. Zudem ist sie in der geistlichen Begleitung, Exerzitienarbeit und als Referentin für franziskanische Themen aktiv. 9
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