Franziskaner Mission 3 | 2024

»Das Mahl« aus dem Misereor-Hungertuch »Hoffnung den Ausgegrenzten«. © Sieger Köder © MVG Medienproduktion, 1996. für Leib und Seele 2024 Nahrung

FRANZISKANER MISSION erscheint viermal im Jahr und kann als kostenfreies Abo bestellt werden unter Telefon 089-211 26 110 oder muenchen@franziskanermission.de. »Franziskaner Mission« erscheint im Auftrag der Deutschen Franziskanerprovinz von der heiligen Elisabeth – Germania. HERAUSGEBER Franziskaner Mission REDAKTIONSLEITUNG Augustinus Diekmann ofm REDAKTION Dr. Cornelius Bohl ofm, Stefan Federbusch ofm, Natanael Ganter ofm, Heinrich Gockel ofm, Márcia Santos Sant'Ana, René Walke ofm, Pia Wohlgemuth GESTALTUNG sec GmbH, Osnabrück‚ DRUCK Bonifatius GmbH, Paderborn Impressum FRANZISKANER MISSION St.-Anna-Straße 19, 80538 München Telefon: 089-211 26 110 Fax: 089-211 26 109 muenchen@franziskanermission.de www.mission.franziskaner.de Spenden erbitten wir, unter Angabe des Verwendungszwecks, auf folgendes Konto: LIGA BANK IBAN DE48 7509 0300 0002 2122 18 BIC GENODEF1M05 Ihre Spendengelder fließen in unsere Hilfsprojekte und nicht in die Produktionskosten dieser Zeitschrift. 2

TITEL Das Titelbild ist ein Ausschnitt des Misereor- Hungertuches »Hoffnung den Ausgegrenzten«, geschaffen im Jahr 1996 von Sieger Köder (1925–2015), einem der bekanntesten Maler christlicher Kunst. Die multikulturelle Tischgemeinschaft findet beim Mahl des Herrn Nahrung in Fülle für Leib und Seele. Ihre Gesichter zeugen von einer großen Vielfalt. Das Gesicht Christi ist nicht direkt zu sehen, sondern spiegelt sich wider im Kelch, in der Bildmitte. Die Hingabe seines Lebens leuchtet auf in den Händen, die das Brot mit allen teilen und die für alle durchbohrt sind. Liebe Leserin, lieber Leser! Geben Sie mal »Hunger überwinden« in Ihre Suchmaschine ein: Da erscheinen zunächst nur Tipps zum Abnehmen trotz »Heißhunger« und Werbung für Appetitzügler. Irgendwann findet sich dann auch ein Hinweis auf das ehrgeizige Projekt der Vereinten Nationen, den Hunger weltweit bis zum Jahr 2030 zu beenden. Viel Zeit bleibt da nicht mehr. Etwa 800 Millionen Menschen (!) leiden an Hunger. Statistiken geben unterschiedliche Zahlen an. Es hört sich zynisch und menschenverachtend an: Auf ein paar Millionen mehr oder weniger kommt es da auch nicht mehr an. Und es ist tatsächlich menschenverachtend, wie gleichgültig wir im immer noch reichen Westen mit dieser grausamen Wirklichkeit umgehen, während allein bei uns in Deutschland jährlich circa elf Millionen Tonnen Nahrungsmittel auf dem Müll landen. Gott hat das gemeinsame Haus der Schöpfung allen Menschen anvertraut, damit sie darin solidarisch Leben teilen. Rein theoretisch gäbe es Nahrung für alle. Eigentlich müsste niemand hungern. Jesus selbst hat Hungernde satt gemacht. »Unser tägliches Brot gib uns heute!« – diese Bitte aus dem Vaterunser ist auch Auftrag, dafür zu sorgen, dass Menschen genug zum Essen haben. Es gibt aber nicht nur den Hunger des Leibes. Es gibt auch den Hunger der Seele. Der Mensch lebt nicht nur vom Brot allein. Auch das sagt Jesus (vergleiche Mt 4,4). Er lebt auch von Liebe und Zuwendung. Und vom Wort Gottes. Gesunde Ernährung wird für immer mehr Menschen immer wichtiger. Und das ist gut so. Manchmal aber, so mein Eindruck, wird sie zum Religionsersatz. Ganz sicher ist das Essen ein tief spiritueller Vorgang. Es ist mehr als physiologische Nahrungszufuhr. Es geht nicht nur darum, sich den Bauch vollzustopfen. Wenig verbindet Menschen so sehr wie eine gemeinsame Mahlzeit. Zu jedem Fest gehört ein gutes Essen. Dabei wird erfahrbar: Leben meint mehr als nur biologisch zu vegetieren. Leben sucht nach Freude und Sinn. Gutes Essen schmeckt. Ich erfahre etwas vom Geschmack des Lebens, wenn ich das Gefühl habe: »Es ist gut so!« Das Essen verweist mich auf meine Abhängigkeit: Ich muss essen, sonst verhungere ich! Zugleich rühre ich an das Geheimnis, dass mein Leben mir geschenkt ist. Wer glauben darf, ist überzeugt, dass Gott Leben schenkt und lebendig erhält. Jesus bezeichnet sich als das »lebendige Brot«. Wer von diesem Brot ist, wird nie mehr hungern (vergleiche Joh 6,35). Es bleibt schockierend und beglückend zugleich, dass ich als Christ die tiefste Verbindung mit Jesus nicht in einem inneren Geistesblitz erfahre, sondern dann, wenn ich ein Stück Brot esse. Das Mahl der Eucharistie verbindet untereinander und mit Gott. »Die Seele nährt sich von dem, woran sie sich freut.« Ein schöner Satz von Augustinus. Ich wünsche Ihnen, dass Sie bei allen großen und kleinen Problemen jeden Tag auch irgendwo Grund haben, sich zu freuen. Sonst verhungert unsere Seele. Die vorliegende Ausgabe unserer Zeitschrift will zum Nachdenken anregen. Aber sie will auch etwas Freude bringen. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. P. Cornelius Bohl ofm Sekretär für Mission und Evangelisierung 3

Inhalt 6 Liturgischer Hochgenuss? Die Feier der Eucharistie Stefan Federbusch ofm 8 Franziskanische Werte Gastfreundschaft – Mahlgemeinschaft – Teilen Elisabeth Bäbler osf 10 Wetterextreme Ernährungssicherheit in Rio Grande do Sul? Débora Panis; Dr. Alexandre César Cunha Leite 12 »Ein leerer Bauch hat keine Ohren!« Ganzheitlicher Schulunterricht in Paraguay Miguel Angel Caceres TOR 14 Zeitenwende in der Ernährung Ärztliche Beobachtungen zwischen 1980 und 2024 in Maranhão Klaus Theodor Finkam ofm 16 Ungleichheit auf dem Teller Nahrungsunsicherheit in Brasilien Márcia Santos Sant’Ana 20 Füreinander sorgen Franziskanischer Solidaritätsdienst Dr. Rosângela Helena Pezoti 22 »Iss dein Brot mit Freuden« Traditionelle Mahlzeit in Guatemala Frank Hartmann ofm 23 Ernährung bei den Guarayos Kulturelle und menschliche Perspektiven Angelita Becerra Balcázar 24 Mangelernährung Eindrücke aus Bolivien Dr. Ute Glock 26 Leben in Fülle Kinderpastoral in Brasilien Maria Eunice Cândido de Sousa 28 Nahrung für Körper und Geist Essen und Spiritualität in Vietnam Chi Thien Vu ofm 30 Abholzung des Tropenwalds Gefahr für Menschen und Natur auf den Salomonen-Inseln Cynthia Bringollet 32 Besuch bei Oma und Opa Leben in einem indischen Dorf Libania Kujur 33 Geist des Gebens Esskultur in Kenia Miroslav Babić ofm 34 Kurznachrichten 35 Projekt 10 6 14 16

Personalia ROBERT HOF Der Bolivienmissionar Robert Hof, der seit Jahren in San Juliàn im tropischen Tiefland Boliviens tätig ist, empfing kürzlich Besuch von Mitgliedern seiner ehemaligen Pfarrei Herz Jesu aus München. Dieses freudige Wiedersehen bot auch die Gelegenheit, die Verbundenheit zwischen den Gemeinden zu stärken, denn viele Projekte der Pfarrei in San Juliàn wurden erst durch Spenden aus Deutschland möglich. Die Begegnung war für alle Beteiligten eine Bereicherung, da sie den Austausch von Erfahrungen und den gemeinsamen Glauben in den Mittelpunkt stellte und die globale Gemeinschaft im Glauben sichtbar machte. WALTER SCHREIBER OFM Im Mai dieses Jahres besuchte Bruder Walter Schreiber die Franziskaner Mission Dortmund. Aus Klein-Winternheim bei Mainz stammend, trat er 1979 in Recife in die nordostbrasilianische Franziskanerprovinz des heiligen Antonius ein. Nach dem Noviziat in Neviges studierte er dort bis 1986 Theologie, danach setzte er sein Studium am Ökumenischen Bibelzentrum (CEBI) und am Institut für Evangelisierung (IDE) in Petrópolis fort. Von 1995 bis 2023 nahm er verschiedene Aufgaben seiner Provinz wahr: Sekretär für Ausbildung und Studien, Moderator für ständige Weiterbildung sowie Definitor und Guardian. Auf Ordensebene wurde ihm das Amt des Generalvisitators für zwei brasilianische Franziskanerprovinzen anvertraut. VALENTINE EBOH OFM Valentine Cascarino Eboh ofm besuchte im Juni die Franziskaner Mission in Dortmund. Er wurde in Victoria (Kamerun) geboren und wuchs in Johannesburg in Südafrika auf. Dort trat er in den Franziskanerorden ein und ging nach seiner Priesterweihe zum Studium nach Rom. Heute ist er Professor für Theologie und lehrt Franziskanische Spiritualität und Französisch an der Saint Bonaventure University in Lusaka (Sambia). Außerdem ist er dort verantwortlich für die spirituelle Ausbildung von etwa 40 jungen Franziskanern, die Theologie studieren. Bevor er dem Franziskanerorden beitrat, war er als Journalist tätig. Heute verfasst er verschiedene Werke. Der Titel seines neuesten Buches lautet »Franciscan Spirituality«. 20 30 24 28

Wenn uns etwas besonders gut geschmeckt hat, sprechen wir von einem »Gaumenschmaus« und davon, dass es »wunderbar gemundet« habe. Können wir dies auch von der Feier der Eucharistie sagen? Laut der Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils ist die Eucharistie »Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens« (Lumen gentium, 11). Angesichts der immer geringer werdenden Kirchenbesucherinnen und -besucher ist zu bezweifeln, ob die Feier der Danksagung tatsächlich noch als Köstlichkeit und Kostbarkeit empfunden wird. Angesichts dieser Problemanzeige zumindest bei uns in Deutschland lohnt ein Blick auf die äußere Form. Wenn Menschen miteinander feiern, dann gehört in der Regel ein gutes Essen dazu. Man steht beieinander, setzt sich zusammen, erzählt und klönt und genießt, was an Speisen bereitet wurde. Dies auch zu traurigen Anlässen wie beim Tod eines Menschen. Beim »Tröster«, wie es im Süddeutschen heißt, ist Gelegenheit, sich noch einmal über die Erlebnisse auszutauschen, die man mit dem verstorbenen Menschen verbindet, und sich so gegenseitig zu ermutigen. Das Mahl ist geprägt von Erinnerung, Dankbarkeit und Bestärkung. Es verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Liturgischer Hochgenuss? Die Feier der Eucharistie TEXT: Stefan Federbusch ofm | FOTO: Franziskanerkustodie Campo Grande Eucharistie als Lebens-Quelle Eine ähnliche Funktion als spirituelles Lebens-Mittel hat die Eucharistie. Das neue Geistliche Lied »Nimm, o Gott, die Gaben, die wir bringen« (Gotteslob 188) bringt es treffend auf den Punkt: »Jesus hat sich für uns hingegeben, / durch die Zeit bewahrt in Brot und Wein. / Nimm als Lob und Dank auch unser Leben, / schließ uns in die Hingabe deines Sohnes ein.« Es geht um die Erinnerung an das Leben Jesu, um sein Eintreten für das Reich Gottes, um sein Leiden, sein Sterben, seinen Tod am Kreuz und um seine Auferweckung und Erhöhung (Vergangenheit). Es geht um die Vergegenwärtigung seiner Pro-Existenz für andere im Hier und Heute in Mit großer Hingabe feiern franziskanische Jugendliche vom »Movimento Paz e Bem« im brasilianischen Mato Grosso do Sul das Abendmahl in der Passion Christi. den Gaben von Brot und Wein, die zu seinem Leib und Blut werden (Gegenwart). Es geht um sein Wiederkommen in Herrlichkeit (Zukunft). Das rituell-symbolische Handlungsgeschehen zielt auf eine Veränderung der Mitfeiernden ab: »Nimm uns an, sei du in unsrer Mitte, / wandle unser Herz wie Brot und Wein.« Das Geschehen ist somit alles andere als harmlos. Im Gegenteil: Es ist existenziell herausfordernd, denn es nimmt mich hinein in die Hingabe Jesu an den Vater, in das Geheimnis von Tod und Auferstehung und fordert mich auf, es nicht bei bloßer Erinnerung zu belassen, sondern das Reich Gottes, Gottes neue Welt in Nächstenliebe zu gestalten. 6

Tisch des Wortes und Tisch des Brotes Bei der Feier der Eucharistie ist nicht nur an das letzte Abendmahl Jesu (eine Wortschöpfung Martin Luthers) zu denken, sondern ebenso an die nachösterlichen Mahlbegegnungen des Auferstandenen sowie an die Gastmähler des irdischen Jesus. Die Emmausgeschichte ist eine Art Blaupause des Ablaufs heutiger Messfeiern: Zuerst wird im Hören des Wortes erschlossen, worum es geht, dann wird miteinander das Brotbrechen praktiziert und Kommunion gehalten. Zunächst ist der »Tisch des Wortes« bereitet. Wir hören beispielsweise im Lukas-Evangelium gleich von sieben Gastmählern, die Jesus mitgefeiert hat. Wir folgen Jesus von Einladung zu Einladung und erfahren, dass diese Tischgemeinschaften bisherige Normierungen durchbrechen. Die Tischgemeinschaft gilt auch den Kleinen und Armen, den Sündern und Ausgegrenzten. Die sogenannten Brotvermehrungen verdeutlichen, was solidarisches miteinander Teilen bewirkt: Es reicht für alle und alle werden satt. Sie sind ein Vorausbild, was christliche Gemeinschaft kultivieren sollte: eine offene Tischgemeinschaft für alle und ein sensibles Eintreten für Gerechtigkeit. Darum feiern wir Eucharistie, dafür werden nicht nur Brot und Wein gewandelt, sondern wir Menschen! Im zweiten Teil wird der »Tisch des Brotes« bereitet und das Brotbrechen begangen. Hier zeigt sich die Entwicklung, die die Feier der Eucharistie im Laufe der Geschichte genommen hat. Ursprünglich wurde tatsächlich (normales) Brot miteinander geteilt. Dies hat das gemeinschaftliche Element stärker deutlich werden lassen, als es heute bei den vorgegebenen kleinen Einzelhostien der Fall ist, die kaum noch als Brot bezeichnet werden können. Auch zum Empfang der Kommunion ist kritisch anzumerken, dass das zumeist vollzogene Schlangestehen wenig von der angezielten Mahlgemeinschaft zum Ausdruck bringt. Die Inkulturation ist noch einmal ein ganz eigenes Thema. Müssen es unbedingt Brot und Wein als Materie sein, auch in Ländern, wo Brot kein Hauptnahrungsmittel und Wein unbekannt ist? Ebenso: Was geschieht, wenn den Gläubigen durch Priestermangel der Höhepunkt christlichen Lebens vorenthalten wird? Ist die Zölibatsverpflichtung schwerwiegender als das Anrecht der Gläubigen? Vom Sättigungs- zum Opfermahl Die ersten Christen trafen sich zu einem Sättigungsmahl und brachen in diesem Kontext das Brot. Dabei wurde auch zeichenhaft deutlich, um was es ging und heute noch geht: um Gemeinschaft (Communio – Kommunion), um Lobpreis und Danksagung (Eucharistie), um das Gedenken an die Taten des Herrn (Herrenmahl), um die Hineinnahme in die Hingabe Jesu (Opferfeier) und um die Sendung (Missio) in die Welt. Die Frage bleibt: Warum kommen heute so wenige auf den Geschmack der Eucharistie? Als »HochgeDer Autor Stefan Federbusch ist Provinzialvikar der Deutschen Franziskanerprovinz in München. Er engagiert sich für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. nuss« und nährend wird sie vorrangig von denen empfunden, die stärker dem Gedanken des »Messopfers« anhängen und auf eine streng ritualisierte und reglementierte Form wertlegen. Liturgiegeschichtlich hat sich die Feier der Eucharistie immer wieder verändert und so gibt es heute viele unterschiedliche Zugänge. Was das »Allerheiligste« jedem Einzelnen bedeutet, sei jeder Bewertung entzogen. Die Bedürfnisse und die Art und Weise, Liturgie zu feiern, sind so vielfältig, wie es Menschen gibt. Mahl der Sünder Dass die Eucharistie – mit den Worten von Papst Franziskus – keine Belohnung für die Starken, sondern eine Stärkung für die Sünder und Schwachen, die Mühseligen und Beladenen ist, kommt für mich in den Bildern »Das Mahl mit den Sündern« und »Abendmahl« von Sieger Köder zum Ausdruck. Letzteres habe ich zu meinem Primizbild gewählt: Der verwundete Jesus bricht für die Verwundeten das Brot. Für mich persönlich verliert die Eucharistie an Attraktivität, wenn von den genannten Elementen von wirklicher Feier, tatsächlicher Gemeinschaft, aktive Teilnahme aller, sichtbarem Mahlcharakter und der Ausrichtung auf Gottes neue Welt wenig spürbar und erfahrbar wird. Erlebbar aber werden diese Elemente für mich beispielsweise in Gruppengottesdiensten bei Seminaren oder bei Tischmessen im kleineren Kreis. Wie auch immer ich mir Eucharistie wünsche, es bleibt die Tatsache, dass wir Gott in uns aufnehmen dürfen, ihn als Leib- und Magenspeise schmecken und verkosten können – sinnträchtiger und näher geht´s nicht! Und wenn Sie es etwas salopper gestatten: Gottesliebe geht durch den Magen, damit wir durch IHN gestärkt die Hungernden und Dürstenden sättigen. 7

In Bezug auf den heiligen Franziskus über Kulinarik zu sprechen, ist ein schwieriges Unterfangen. Was wir über den Heiligen wissen, verdanken wir vor allem seinen Biographen. Diese wollen in erster Linie ein Vorbild beschreiben, an dem sich andere orientieren können. Genussvolles Essen gehörte nicht zur Vorbildfunktion. Werte wie Gastfreundschaft, (Mahl-)Gemeinschaft und Teilen schon. Thomas von Celano, der das erste offizielle Franziskusleben schrieb, berichtet von einer kleinen Gegebenheit, aus der wir schließen können, dass Franziskus Gutem durchaus nicht abgeneigt war. Kurz vor seinem Tod diktiert er einen Brief an Jacoba von Settesoli, eine römische Witwe, der er freundschaftlich verbunden war. Er bittet sie darin, ihm die notwendigen Dinge für sein Begräbnis zu bringen – und jenes Gebäck, das er so gerne gegessen hatte, wenn er bei ihr zu Besuch war. Das ist aber das einzige Ereignis, von dem die Biographen diesbezüglich berichten. Sonst unterstreichen sie eher, wie er bescheiden mit den offerierten Speisen umging und wie er durch Asche oder kaltes Wasser versuchte, diese weniger schmackhaft zu machen – so wie es den Vorstellungen einer asketischen Lebensweise der damaligen Zeit entsprach. Jeder ist wertvoll Wenn es um Gastfreundschaft geht, sieht die Sache etwas anders aus. In seiner ersten Regel schreibt Franziskus: »Und mag zu ihnen kommen, wer da will, Freund oder Feind, Dieb oder Räuber, so soll er gütig aufgenommen werden.« Hier geht es in erster Linie darum, keine Unterschiede zu machen, jedem gegenüber offen zu sein, ganz egal, welchen Ruf er hat. Um dieses Prinzip zu veranschaulichen, haben die Franziskaner im Laufe der Jahre verschiedene Geschichten entwickelt, die vor allem in den sogenannten »Fioretti«, auch »Blümlein des heiligen Franziskus« genannt, bis heute erhalten sind. Eine dieser Geschichten, die sich wahrscheinlich tatsächlich so zugetragen hat, ist jene der Familie des Johannes der Einfältige, ein BauernFranziskanische Werte Gastfreundschaft – Mahlgemeinschaft – Teilen TEXT: Elisabeth Bäbler osf | MALEREI: Edmund Blair Leighton 1895 – Wikimedia Commons sohn aus dem Hinterland von Assisi. Er wollte sich Franziskus anschließen und als dieser eines Tages in seinem Dorf vorbeikam, setzte er sein Vorhaben in die Tat um. Er wollte auch den Ochsen der Familie als seinen Anteil an seinem Erbe verkaufen und den Armen geben. Als Franziskus die Traurigkeit und das Erschrecken der Familie über den Verlust dieses wichtigen Arbeitstiers sah, schlug er vor, zuerst einmal zusammen zu essen. Er versicherte der Familie, man würde eine Lösung finden, die sie wieder froh machen würde. Nach dem Essen verkündete er, Johannes sollte den Ochsen der Familie zugutekommen lassen, denn sie seien auch Arme. Hier diente die Mahlzeit wohl in erster Linie dazu, einen Zeitaufschub zu schaffen, die Situation zu entschärfen und die Gemüter so weit zu beruhigen, dass die Familie ihren Sohn und Bruder in Frieden ziehen lassen konnte. Eine weitere Geschichte stammt aus einer kleinen Niederlassung der Franziskanerbrüder in der Nähe von San Sepolcro im oberen Tibertal. Zu diesem Konvent kamen eines Tages Räuber und baten die Brüder um Brot. Dadurch entstand zwischen den Brüdern eine Spaltung: Die einen fanden es nicht gut, jemand moralisch Zweifelhaftem Almosen zu geben, die anderen sahen die Not und die Art des Bittens und gaben ihnen etwas. Als Franziskus eines Tages in die Einsiedelei kam, fragten sie diesen um Rat. Er schlug ihnen vor, die Räuber mit Brot und Wein aufzusuchen und sie zu bedienen. Nachdem sie gegessen hätten, sollten die Brüder den Räubern das Versprechen abnehmen, niemandem etwas Böses anzutun. Tags darauf sollten sie aufgrund des gegebenen Versprechens noch zusätzlich Käse und Eier mitnehmen und sie wieder bewirten. Danach sollten sie ihnen darlegen, dass es bessere Lebensentwürfe gäbe als der von ihnen gewählte. Die Quellen berichten, die Räuber hätten aufgrund der Freundschaft und der Liebe, die die Brüder ihnen entgegenbrachten, begonnen diesen zu helfen und seien schließlich zum Teil in den Orden eingetreten, zum Teil hätten sie begonnen, von ihrer Hände Arbeit zu leben. Nachdem die Räuber Wertschätzung erfahren haben, waren sie bereit, ihr Leben zu ändern. Geschwisterlichkeit Hier wird einer der grundlegenden Werte der franziskanischen Denkweise berührt: Jeder Mensch ist in sich wertvoll, unabhängig von seinem Lebenswandel, seiner Einstellungen oder seiner Berufswahl. Dies kann durch Gastfreundschaft sehr gut zum Ausdruck gebracht werden. Meine Mutter zum Beispiel stammt aus einer Familie, die über 100 Jahre ein Hotel betrieben hat. Bei Einladungen von Verwandten mütterlicherseits konnte man Sympathie und Wertschätzung sehr einfach an der Speisefolge ablesen. Wie viel Zeit und Energie wir in die Zubereitung von Speisen stecken, hat aus meiner Sicht nicht nur in meiner Familie etwas mit Beziehung zu tun. Nicht umsonst endet der große Bilderzyklus über das Leben des heiligen Franziskus in der Oberkirche der Basilika San Francesco in Assisi mit dem himmlischen Hochzeitsmahl. Franziskus betrachtet die Güte Gottes als seine zentrale Eigenschaft. Wie könnte man das in einer Gesellschaft, in der weite Teile an Hunger litten, besser darstellen als mit einem Hochzeitsmahl? 8

Elisabeth von Thüringen lässt noch einmal einen anderen Aspekt franziskanischer Werte aufscheinen. Zu ihren Repräsentationspflichten gehörte es, an der Seite ihres Mannes an Banketten teilzunehmen, die dieser als Landgraf von Thüringen gab und geben musste. Allerdings ließ sie sich bei jeder Speise sagen, ob diese einen »gerechten« Ursprung hatten oder jemandem unrechtmäßig abgepresst wurden. War letzteres der Fall, weigerte sie sich, die Speisen zu essen. Das führte oft dazu, dass sie nur Brot und Wasser zu sich nehmen konnte. Sie war trotzdem als Gastgeberin aktiv, verlangte auch nicht von ihren Gästen, ihre Ansicht diesbezüglich zu teilen. Aber sie war sehr konsequent in einer Haltung, die wir heute vielleicht mit fairem Handel, Nachhaltigkeit und dem Bemühen, auf eine gerechte Art einzukaufen, gleichsetzen könnten. Auch der Aspekt des Teilens spielte in ihrem Leben eine große Rolle. In der Zeit, in der sie in Abwesenheit ihres Mannes die Grafschaft leitete, ließ sie während einer Hungersnot die landgräflichen Kornspeicher öffnen und versorgte die Bevölkerung mit Getreide – gegen den Widerstand ihrer Berater. Als sie nach dem Tod ihres Mannes ein Hospital in Marburg gründete, das man sich als eine Art Kombination von Armenküche und Krankenhaus vorstellen kann, verlangte ihr Beichtvater von ihr, den Armen nicht mehr als ein Brot zu geben. Sie löste das Dilemma zwischen ihrer Großzügigkeit und der Vorgabe damit, dass sie jeweils nur ein Brot ausgab, die Leute aber aufforderte, sich noch einmal in die Schlange einzuordnen, um ein weiteres abzuholen. Auch für Elisabeth ist Gott in erster Linie der Gute, der uns alles in Überfülle schenkt und uns mit der Schöpfung einen Lebensraum zur Verfügung gestellt hat, an dem es uns an nichts mangeln muss. Unsere Aufgabe ist es in den Augen dieser Heiligen, diese Großzügigkeit weiterzugeben. In unserem kleinen geistlichen Zentrum in Siegen/Wilnsdorf können wir unsere Gäste leider nur sehr beschränkt bewirten. Wir haben keine Küche, in der wir für größere Gruppen kochen könnten. Was wir tun können – und was mir ein großer Wert ist –, ist, die Räume so zu gestalten, dass die Besucher sich wohl fühlen – Schönheit ist auch eine Eigenschaft Gottes und auch das hat etwas mit Gastfreundschaft zu tun. Alles – die Umgebung, die Art der Speisen, die Zubereitung – signalisieren dem anderen: Du bist kostbar, du bist mir wichtig. Wenn auch, wie gesagt, wenig über die kulinarischen Vorlieben oder Abneigungen in den Biographien zu finden ist, kann diese Haltung der franziskanischen Heiligen ihren Mitmenschen gegenüber an vielen Orten entdeckt werden. Die heilige Elisabeth von Thüringen, Patronin der Deutschen Franziskanerprovinz, teilt ihr Brot mit den Hungernden. Die Autorin Elisabeth Bäbler gehört seit 1999 der Kongregation der Franziskanerinnen von Sießen an. Sie leitet das »Geistliche Zentrum Eremitage Franziskus«. Zudem ist sie in der geistlichen Begleitung, Exerzitienarbeit und als Referentin für franziskanische Themen aktiv. 9

Wirbelstürme und Überschwemmungen haben die südliche Region Brasiliens vor allem seit 2023 heimgesucht. Der außertropische Wirbelsturm im Juni 2023 machte 16.000 Menschen obdachlos und forderte 16 Todesopfer. Im September 2023 führte eine weitere große Klima- und Umweltkatastrophe zu 25.000 Obdachlosen und 54 Todesopfern. Ende April bis Anfang Mai 2024 hat Rio Grande do Sul eine der schlimmsten Klimatragödien in der brasilianischen Geschichte erlebt. Die Überschwemmungen haben bereits 177 Todesopfer gefordert (Stand: 16.06.2024), mehr als 130 Menschen werden vermisst, 374 sind verletzt, 344 Gemeinden und mehr als 850.000 Menschen sind betroffen. Die Situation ist besorgniserregend, wenn man die Auswirkungen auf die Wirtschaftsleistung des Bundesstaates, die Folgen für die brasilianische Wirtschaft und die Betroffenen bedenkt. Teure Lebensmittel Rio Grande do Sul ist weltweit einer der größten Produzenten von Soja, Reis, Weizen, Mais und anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen in Brasilien. Deshalb sind wirtschaftliche Einbußen wahrscheinlich: Wenn die Ernten durch Überschwemmungen (und andere klimatische Ereignisse) geschädigt werden, sinkt das Angebot an diesen Nahrungsmitteln. Bei einem erheblichen Rückgang der Produktion im Bundesstaat Rio Grande do Sul, einem geringeren Angebot für den Inlandsmarkt und Auswirkungen auf die Exporte steigen die Preise für diese Produkte an. Gleichzeitig wird die Nachfrage höher, sodass die Preise zusätzlich steigen. Ein Anstieg der Lebensmittelpreise in einer von Ungleichheit geprägten Wirtschaft wie der brasilianischen hat tendenziell akute Auswirkungen vor allem auf die Wetterextreme Ernährungssicherheit in Rio Grande do Sul? TEXT: Débora Panis; Dr. Alexandre César Cunha Leite | FOTO: Ricardo Stuckert / PR – CCBY-SA 2.0 einkommensschwache Bevölkerung: Für sie ist der Zugang zu Lebensmitteln unter anderem aufgrund der hohen Preise ohnehin bereits schwierig und wird nun verschärft. Straßensperrungen Die Sperrungen der Straßen während der Überschwemmungen stellten eine Herausforderung für die Verkehrsinfrastruktur dar. Sie beeinträchtigten den Transport der landwirtschaftlichen Erzeugnisse aus den betroffenen Regionen zu den Verteilungszentren massiv. So wie die Einfuhr von Lebensmitteln und Spenden behindert wurde, konnten auch die regulären Produkte die Verbrauchermärkte nicht erreichen. Dabei handelt es sich nicht um eine kurzfristige Auswirkung, da der Transport über das Jahr 2024 hinaus beeinträchtigt sein wird. Da rund 75 Prozent der in Brasilien hergestellten Produkte auf der Straße transportiert werden, führen diese Hindernisse zu einem Anstieg der Transportkosten und treiben die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse erneut zusätzlich in die Höhe. Es ist mehr als deutlich, dass der Klimawandel ernsthafte Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit hat. Dazu gehören steigende Temperaturen und ihre Folgen, veränderte Niederschlagsmuster und -mengen, häufigeres Auftreten von Extremereignissen wie Dürren, Überschwemmungen, Hitzewellen, Wirbelstürmen und Zyklonen. Brasilien und andere weltweit wichtige landwirtschaftliche Erzeugerländer haben bereits Naturkatastrophen erlebt, die den Anbau von Nahrungsmitteln erschweren und die landwirtschaftliche Produktivität verringern. Außerdem haben die Folgen des Klimawandels schwerwiegende Auswirkungen auf Kleinerzeuger, die nicht über die Struktur oder ausreichende finanzielle Mittel verfügen, um mit derartigen Unwettern fertigzuwerden. Die Auswirkungen der Klimakrise auf die Ernährungssicherheit sind vielfältig und komplex. Sie betreffen die Produktion, die Verteilung und vor allem den Zugang und den Verbrauch. Sie wirken sich in der Regel auch auf den Export einiger Produkte aus und führen dazu, dass mehr importiert werden muss, um den heimischen Markt zu versorgen. Im Falle Brasiliens hat die Regierung von Jair Bolsonaro nicht mit strategischen Nahrungsmittelvorräten vorgesorgt, womit das Land die Folgen eines drastischen Produktionsrückgangs sogar kurzfristig hätte abmildern können. Im Krisenfall, wie nach der Überschwemmung in Rio Grande do Sul, 10

hätte die brasilianische Regierung ihre Notfallreserve zugunsten der Bevölkerung vor Ort mit weniger wirtschaftlichem Verlust einsetzen können. Klima und Hunger In Bezug auf die Produktion von Nahrungsmitteln ist festzustellen, dass die Länder des globalen Südens wesentlich stärker betroffen sind. Dies sind oft Länder, die stärker von der Ausfuhr von Rohstoffen, Bodenschätzen und Nahrungsmitteln abhängig sind. In diesen Ländern sind viele der Erzeuger kleine und mittlere Landwirtschaftsbetriebe, die Lebensmittel für den nationalen Markt oder für die Versorgung regionaler und lokaler Märkte sowie die Selbstversorgung in ländlichen Gebieten liefern. Die Kleinerzeuger leiden am meisten unter den ungünstigen Wetterbedingungen und den Schwierigkeiten bei der Finanzierung der Produktion. Die Folge ist ein Angebotsrückgang und der Druck, die Lebensmittelpreise zu erhöhen. In Brasilien stellt dies ein großes Risiko für die Ernährungssicherheit dar. Rund 70 Prozent der von der brasilianischen Bevölkerung konsumierten Lebensmittel werden von Familienbetrieben erzeugt. Auf systemischer Ebene könnte die Klimakrise nach Angaben des Weltklimarats der UNO (»IPCC – Intergovernmental Panel on Climate Change«, Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen) bis 2050 rund 80 Millionen Menschen durch Hunger bedrohen. Das Fehlen von Maßnahmen zur Abschwächung des Klimawandels, zur Erhaltung und Überwachung der Umwelt und zur Verhinderung extremer Wetterereignisse sowie der Abbau von Maßnahmen zur Ernährungssicherheit in Brasilien (und anderen Ländern) verschärfen ein bereits beunruhigendes Szenario. Das Land, in dem nach Angaben des brasilianischen Forschungsnetzwerks für Nahrungsmittel- und Ernährungssouveränität und -sicherheit (»Penssan«) aus dem Jahr 2022 bereits mehr als 33 Millionen Menschen von Hunger betroffen sind, könnte noch stärker unter den Folgen des Klimawandels leiden. Die IPCC-Berichte warnen davor, dass Ernährungsunsicherheit und Hunger infolge häufigerer und intensiverer extremer Wetterereignisse zunehmen könnten. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass der Hunger nicht ausschließlich durch den Klimawandel verursacht wird, sondern vor allem ein politisches Problem ist. Ob es sich nun um die Folgen von Klimaereignissen, um die Entscheidung, das Abholzen von Wäldern und das Zerstören von Ökosystemen zu fördern, oder um den Abbau von Ernährungssicherheits- und Umweltmaßnahmen handelt – es sind politische Entscheidungen. Die Millionenstadt Porto Alegre während der Überschwemmungen im Mai 2024 Die Autorin Débora Panis studiert Internationale Beziehungen an der Bundesuniversität von Paraíba. Der Autor Alexandre César Cunha Leite lehrt Internationale Beziehungen an der Bundesuniversität von Paraíba. Übersetzung aus dem Portugiesischen: Márcia Santos Sant’Ana Der Artikel ist zum ersten Mal unter brasildefatopb.com.br erschienen. 11

Der Ort Colonel Oviedo liegt 130 Kilometer östlich der Hauptstadt Asunción in Paraguay. Die Franziskaner unterhalten in der Kleinstadt seit 1962 eine Missionsstation. Vor über 20 Jahren bauten sie zudem am Stadtrand eine Schule für Kinder aus ärmlichen Verhältnissen. Die Schule »San Antonio de Padua« hat aktuell 410 Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen drei und 18 Jahren. Die verschiedenen Klassen vom Kindergarten bis zur Oberstufe werden von 44 Lehrkräften betreut. »Ein leerer Bauch hat keine Ohren!« Ganzheitlicher Schulunterricht in Paraguay In Paraguay tragen die Obstbäume bedingt durch das tropische Klima das ganze Jahr hindurch Früchte. Ebenso üppig gedeihen Gemüse und Getreide. Es wächst zu einigen Zeiten im Jahr so viel, dass die Früchte aus Mangel an Verarbeitung verrotten. Aber dennoch hat sich gezeigt, dass viele unserer Schulkinder schlecht ernährt sind. Kochkurse in der Schule Die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder und ihre schulischen Leistungen hängen sehr von ihrer Ernährung ab. Dabei geht es nicht nur um die Menge, sondern auch um die Qualität der Nahrung. Der Körper braucht besonders in der Entwicklung Vitamine, Spurenelemente, Kohlehydrate und genügend Eiweiß. Wenn ein Kind ohne eine ausgewogene Ernährung in die Schule kommt, hat es oft Konzentrationsstörungen und kann den Lernstoff schlechter aufnehmen. Für einige der Kinder ist das Mittagessen bei den Franziskanern die einzige Mahlzeit am Tag. Viele Eltern in Colonel Oviedo nehmen sich nicht die Zeit, die für die Zubereitung der Speisen zuhause notwendig wäre. Es gibt dann täglich Schnellgerichte aus der Mikrowelle. Oft haben die Eltern kein festes Einkommen. Sie sind froh, wenn sie ab und zu als Tagelöhner eine bezahlte Arbeit auf dem Bau oder in einer der Fabriken finden. Andere verdingen sich als Straßenhändler oder als Müllsammler. Das Schulprojekt zielt nicht nur auf die Bildung der Kinder ab, sondern auch gleichzeitig auf eine langfristige Verbesserung ihrer Gesundheits- und Ernährungssituation. Deshalb haben die Franziskanerbrüder beschlossen, an der Schule neben einer gesunden, täglichen Schulspeisung auch zusätzliche Kurse anzubieten. Darin geht es um gesunde und ausgewogene Ernährung und die entsprechend angepasste Zubereitung der Speisen. Die Angebote werden in den Unterricht integriert. Dazu gehört auch die Vermittlung von traditionellem Wissen über Naturheilkunde. Heute werden alle Schüler ab der fünften Klasse in der Zubereitung und dem Verarbeiten von Lebensmitteln sowie der Herstellung von Medikamenten und Reinigungsmitteln geschult. Lernen als Schlüssel Paraguay verfügt über eine reiche Pflanzenwelt. Viele dieser essbaren Pflanzen könnten in den kleinen Gärten der Familien angebaut werden und damit die Grundbedürfnisse decken. Wir ermutigen die Kinder, hier selbst einen wichtigen Beitrag für ihre Familie zu leisten und ihr Wissen an die Eltern und Nachbarn weiterzugeben. Viele Familien halten auch Hühner oder Schweine. Daher wird auch die Zubereitung von Fleischprodukten vermittelt. Wir legen vor allem aber Augenmerk auf pflanzliche Eiweißlieferanten. Die Kinder lernen unter anderem Brotbacken, die Verarbeitung der Avocado- und Mango-Frucht zu Saft, Eis oder Marmelade und die Herstellung von Tee durch die Blätter verschiedener Pflanzen. Wir zeigen, wofür Früchte wie Orange, Grapefruit, Guave, Süßkartoffel und Ananas verwendet werden können. Wir geben auch Anleitung in der Verarbeitung der Blätter des Mangobaums zu Arznei gegen verschiedene Krankheiten. Und natürlich wird die Zubereitung der regional beliebten Nachspeise »Dulce de Leche« aus Milch und karamellisiertem Zucker gelernt. Beides ist in Paraguay in Hülle und Fülle vorhanden oder zu günstigen Preisen erhältlich. Unser Schulprojekt basiert auf den drei Säulen Lehren, Lernen und Ernähren. Damit werden die Kinder und Jugendlichen nicht nur gebildet, sondern sie lernen auch, wie sie sich eigenständig gesund und ausgewogen ernähren. Manche Absolventen unserer Schule haben sich auch schon mit dem erlernten Wissen über Nahrung und Ernährung ein eigenes Geschäft aufgebaut. Beispielsweise durch den Verkauf von Fruchtsäften oder durch eine Eisdiele oder ein kleines Restaurant. Eine erste Einführung in selbstständiges Unternehmertum gehört deshalb auch heute zum Unterrichtsstoff in unserer Oberstufe. Der Schlüssel zu einer guten Zukunft ist die Liebe zum Leben und die Liebe zur Familie – aber auch eine gute Schulbildung und eine ausgewogene Ernährung. Der Autor Miguel Angel Caceres TOR ist Leiter der Schule »San Antonio de Padua« in Colonel Oviedo, Paraguay. Übersetzung aus dem Spanischen: Pia Wohlgemuth TEXT: Miguel Angel Caceres TOR | FOTOS: Miguel Angel Caceres TOR; Franziskaner Mission Miguel mit seinen Schülerinnen und Schülern beim Kochkurs 12 | 13

Neben einer Politik, die vor allem die ökonomisch-politischen und sozialen Ursachen bekämpfen muss, sind es einfache, präventive Basismaßnahmen, die diesen Kreislauf durchbrechen können: Dazu gehören Stillberatung, Impfungen, Entwicklungs- und Wachstumsbetreuung der Kleinkinder anhand der monatlichen Gewichtskontrolle sowie Durchfallbekämpfung und Therapie der akut respiratorischen Erkrankungen (Lungenentzündung). Gesundheitshilfe So stand in den Jahren 1982 bis 1985 die Ausbildung von freiwilligen Gesundheitshelfenden (»primary health workers«) im Vordergrund. Ergänzend gab es konkrete Ernährungsunterweisungen und medikamentöse sowie pflanzliche Heilmethoden. In dieser Zeit führten wir eine günstige, hochwertige und vitaminreiche Ernährungsergänzung ein, die einfach der regionalen Küche beigefügt wurde und lokal verfügbar war: Reiskleie und »Multimistura« – ein Pulver aus grünen Maniokblättern, Kürbiskernen, Sesam und Eierschalen. Dazu kamen ein konzentriertes Protein und Vitaminspender. Auch förderten wir den Gebrauch von Wildkräutern und grünem Wildgemüse wie ErdGinseng und Taioba, das sind spinatähnliche Pflanzen. Bei der letzteren kann auch die kartoffelähnliche Knolle verzehrt werden. Mit dieser Ernährung konnten wir hochgradig unterernährte Kinder in sehr kurzer Zeit, innerhalb von drei bis fünf Monaten, wieder aufbauen. In den 1980er und 1990er Jahren war die Kinderpastoral (»Pastoral da Criança«) ein wertvoller Partner im Kampf um eine gesündere Ernährung – und ist es bis heute. Unser Team schulte in diesen Jahren in allen acht Diözesen von Maranhão die entsprechenden Verantwortlichen. Und auch um die Gesundheit der Erwachsenen bemühten wir uns. Beim großen 9. Nationalen Treffen der Basisgemeinden in São Luis (»Nono Interclesial« mit 3.000 Teilnehmenden) im Juli 1997 gab es bei den Zwischenmahlzeiten ausnahmsweise lokale Früchte – und keine Kekse. Vor allem lag uns auch die Verbreitung von Gemüsegärten und der Verzehr von Gemüse am Herzen. So entstand dann, auch auf Grund der stark zunehmenden Landkonflikte, unser Beratungsdienst für Landarbeiterfamilien in ökologisch angepasster Landwirtschaft (»ACESA – Animação Comunitária de Educação em Saúde e Agricultura«). Auch versuchten wir schon damals den enormen Zuckerverbrauch einzudämmen. Verbrauchten wir bei unseren großen »GesundIn den 1980er Jahren litt Nordostbrasilien unter einer extrem hohen Kindersterblichkeit bei Jungen und Mädchen in den ersten fünf Lebensjahren. Diese und die Krankheiten der Armut beruhen auf dem fatalen Teufelskreis von chronischer Unter- und Fehlernährung und Infektionskrankheiten. Zeitenwende in der Ernährung Ärztliche Beobachtungen zwischen 1980 und 2024 in Maranhão TEXT UND FOTOS: Klaus Theodor Finkam ofm 14

heitstreffen« (400 Personen) noch 90 Kilogramm für vier Tage, waren es dann später nur noch 15 Kilogramm. Regionale Musterhöfe In den regionalen Musterhöfen der ACESA werden Kurse für ökologische Landwirtschaft gehalten. Auch bieten sie Praktikumsplätze für die Schülerinnen und Schüler der Familienlandwirtschaftsschulen an. Die Familienlandwirtschaftsschule Manoel Monteiro bildet Jugendliche in einer vierjährigen Ausbildung im ökologischen Landbau aus. Die Schülerinnen und Schüler leben und arbeiten in einem 14-tägigen Rhythmus in der Schule. Vanderval Spadetti, Leiter der Schule, berichtet: »Wir sorgen uns um die Gesundheit unserer Schüler und investieren deshalb in einen natürlichen, biologischen Anbau ohne Pestizide. Wir verwenden keine Mikrowellen und vermeiden den Gebrauch von raffinierten und konservierten Lebensmitteln, besonders auch den Einsatz von hoch verarbeiteten Fleischwaren. Auf unserer Speisekarte stehen mehr Gemüse aus der Region und Früchte wie Manga, Passionsfrucht, Acerola, Bananen, Cajá, Cashew und andere, die alle biologisch angebaut werden. Mais, Bohnen und Maniok werden in einem integrierten System angebaut, ohne den Einsatz von chemischen Düngemitteln. Unsere Fische, Hühner, Schweine und Schafe werden ohne künstliche Futtermittel großgezogen. Einige Lebensmittel müssen wir zukaufen. Der Zuckerkonsum bleibt eine kulturelle Herausforderung: Die Jugendlichen tun sich schwer, Kaffee und Fruchtsäfte ohne Zucker zu konsumieren. Aber wir arbeiten daran. Doch die Lebensmittelversorgung in unserer Region wird durch Agribusiness beeinflusst und die Lebensmittelindustrie predigt die futuristische Vision von Fast Food als die Lösung für die Lebensmittelsicherheit.« Fettleibigkeit Vor 40 Jahren haben in Brasilien viele Familien im Norden und Nordosten des Landes Hunger und Mangel kennengelernt. 1984 zog unsere kleine Gemeinschaft aufs »platte Land«: von Lago do Junco mit rund 5.000 Einwohnern ins Lehmhaus nach São José da Conquista. Der Reis wurde dort noch im Mörser gedroschen und war so noch recht vollwertig. Herzinfarkt oder Gallensteine waren damals praktisch unbekannt. Heute kommen die Jugendlichen von damals, jetzt im fortgeschrittenen Alter von 55 bis 65 Jahren, zu mir in die Sprechstunde: zu viel Bauchfett, hohe Blutzucker- und Blutfett-Werte und Bluthochdruck. Diese vier Krankheitszeichen werden als metabolisches Syndrom bezeichnet. Jeder dieser Faktoren steigert schon für sich gesehen das Risiko für Gefäßkrankheiten: Schlaganfall und Herzinfarkt. Häufig mündet das metabolische Syndrom – oder das »tödliche Quartett« – in einen manifesten Diabetes Typ 2, mit Nerven- und Organschäden. In Brasilien sind vier von zehn Menschen davon betroffen. Aber das nicht genug: In dem hervorragenden brasilianischen Film Der Autor Klaus Theodor Finkam lebt seit 1980 als Franziskaner in Nordostbrasilien. Er ist Arzt für Sozialmedizin und Naturheilverfahren. Derzeit setzt er sich in Teresina, Piauí, durch bewusstseinsbildende Maßnahmen vor allem im Bereich Prävention ein. »Weit über das Gewicht hinaus« (»Muito além do Peso«, 2012) wird bestens dokumentiert, dass drei von zehn Kindern fettleibig sind. Heute sind es bestimmt sogar vier von zehn. Viele Kinder können regionale Früchte und Gemüse nicht mehr richtig unterscheiden. Was tun? Prophylaxe Eugen Roth (deutscher Humorist, 1895 bis 1976) hat schon früh die fatale Situation beschrieben: »Dass es nicht komme erst zum Knaxe, / erfand der Mensch die Prophylaxe. / Doch lieber beugt der Mensch, der Tor, / sich vor der Krankheit, als ihr vor.« Gegenüber dem Agribusiness und der Lebensmittelindustrie kapituliert die Politik weitgehend. Seit 30 Jahren bieten wir zweimal im Jahr zwölftägige Kurse für »Ganzheitliche Gesundheit und Ernährungsschule« an. Auf dem Programm stehen Fastentage, gesunde, naturbelassene Ernährung mit dem Schwerpunkt Gemüse, Hülsenfrüchte, kleinere Portionen an Reis (Kohlehydrate); wenn gewünscht maximal zwei Mal tierisches Eiweiß pro Woche. Dazu Einüben einer neuen Esskultur: kleine Portionen und genussvolles Kauen. Gymnastik und gruppendynamische Übungen sowie Einüben in der achtsamen Atmung und Meditation. Schon Jesus Sirach 37, 27-31 kannte diese Lebensweisheit: »Prüfe dich in deiner Lebensweise, und prüfe dein Temperament, beobachte, was dir schlecht bekommt, und meide es! Denn nicht alles ist für alle gut, nicht jeder kann jedes wählen. Giere nicht nach jedem Genuss, stürz dich nicht auf alle Leckerbissen! Denn im Übermaß des Essens steckt die Krankheit, der Unmäßige verfällt heftigen Koliken. Schon viele sind durch Unmäßigkeit gestorben, wer sich aber vorsieht, verlängert sein Leben.« Schülerinnen und Schüler der Familienlandwirtschaftsschule Manoel Monteiro 15

Die heutige brasilianische Küche ist seit der Kolonialzeit durch den indigenen, afrikanischen und portugiesischen Einfluss entstanden. Ab Mitte des achtzehnten und Anfang des neunzehnten Jahrhunderts wurde die Esskultur unter anderem auch von japanischen, italienischen und deutschen Einwanderern beeinflusst. Die Mischung aus den Essgewohnheiten der verschiedenen Völker hat sich an die große Vielfalt der in Brasilien verfügbaren Lebensmittel angepasst. Leider hat nicht jeder Zugang zu einer vielseitigen Ernährung. Jede brasilianische Region hat eine charakteristische Esskultur entwickelt, ein Merkmal, das die vielfältige Identität des Landes ausmacht. Reis und Bohnen sind Teil des Speiseplans und dürfen auf dem Teller der Brasilianerinnen und Brasilianer vom Norden bis zum Süden definitiv nicht fehlen. Nach Untersuchungen des Instituts für brasilianische Landeskunde und Statistik (»IBGE«) und des renommierten Wirtschaftsinstituts »Getúlio Vargas« ist der Verzehr von Reis und Bohnen in den letzten Jahrzehnten jedoch zurückgegangen. Dies ist auf den Anstieg der Preise für diese Lebensmittel zurückzuführen. Beide Lebensmittel gelten als minimal verarbeitet und sind in der Ernährung der brasilianischen Bevölkerung unerlässlich. Sowohl Reis als auch Bohnen sind Teil des sogenannten Grundnahrungsmittelpakets (»cesta básica«). Diese Art Sozialleistung wurde 1938 unter Präsident Getúlio Vargas per Gesetz eingeführt, um Arbeitenden mit geringem Einkommen eine gesunde Ernährung zu gewährleisten. Bis heute wird das Grundnahrungsmittelpaket an Arbeitende, Arbeitslose und Familien mit geringem Einkommen ausgegeben, um das monatliche Familieneinkommen TEXT: Márcia Santos Sant’Ana | FOTOS: SEFRAS; Governo do Estado de São Paulo – CCBY2.0 zu ergänzen. Anspruch auf Nahrungsmittelhilfe haben Familien, die im brasilianischen Einheitsregister (»CadÚnico«) angemeldet sind und über ein Familieneinkommen von bis zu drei Mindestlöhnen verfügen. Es gibt verschiedene Modelle von Grundnahrungsmittelpaketen, die mindestens dreizehn Basisprodukte enthalten. Dazu gehören Öl, Nudeln, Kaffee, Zucker, Gemüse und auch Reinigungs- und Körperpflegeprodukte. In der brasilianischen Wirtschaft wird diese Lebensmittelgrundversorgung als wirksames Instrument zur Messung der Inflation und Kaufkraft verwendet. Außerdem ist sie ein wichtiger Indikator dafür, wie sich der Preisanstieg bei Produkten auf die Ernährungsgewohnheiten der brasilianischen Bevölkerung im Allgemeinen auswirkt. Heutzutage geben die Brasilianerinnen und Brasilianer die Hälfte des monatlichen Mindesteinkommens, etwa Die Suppenküche des franziskanischen Sozialdienstes in São Paulo gibt eine warme Mahlzeit aus für die Menschen, die sich ausreichende Lebensmittel nicht leisten können. Ungleichheit auf dem Teller Nahrungsunsicherheit in Brasilien 16 | 17

220 Euro, für die herkömmlichen Produkte eines Grundnahrungsmittelpakets aus, sodass nur wenig für andere Artikel des Grundbedarfs übrigbleibt. Um alle diese Bedürfnisse zu befriedigen, müsste der Mindestlohn fünfmal höher sein als heute. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die weniger als den Mindestlohn verdienen, sind von Ernährungsunsicherheit betroffen. Fast 40 Prozent der brasilianischen Familien haben keinen regelmäßigen und dauerhaften Zugang zu einer ausreichenden Menge oder nahrhaften Qualität von Lebensmitteln, so die jüngste IBGEFamilienbudgetstudie. Vor allem im Norden und Nordosten sowie in ländlichen Gebieten verschärft sich die Situation in Familien mit vielen Kindern und Jugendlichen, weil hier der Bedarf viel höher ist. Auch alleinlebende oder alleinerziehende Frauen und afrobrasilianische Menschen sind aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Hautfarbe massiv benachteiligt. Einige Bestandteile von Grundnahrungsmittelpaketen Während die einen hungern oder sich bemühen, ihre Familien mit dem Nötigsten zu versorgen, lebt eine wohlhabende Minderheit in Saus und Braus. Es ist kaum zu glauben, dass Brasilien bei den Lebensmittelexporten Rekorde bricht, während 33 Millionen Brasilianerinnen und Brasilianer hungern und 125 Millionen Menschen tagtäglich nicht wissen, ob sie morgen genug zu essen haben. Es bleibt nur zu hoffen, dass die aktuelle und kommende Regierung diese Situation zum Guten wenden. Die Autorin Márcia Santos Sant’Ana ist Brasilianerin und lebt seit 27 Jahren in Deutschland. Sie ist im Bereich Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation bei der Franziskaner Mission Dortmund tätig. TEXT ZUR MITTELSEITE Die farbenfrohe Darstellung vom »Nordostbrasilianischen Abendmahl« auf der folgenden Mittelseite stammt vom Maler João Batista Bezerra da Cruz aus dem Bundesstaat Piauí. Menschen aller gesellschaftlichen Schichten, Herkünfte, Geschlechter und Altersgruppen versammeln sich um einen geflochtenen Palmteppich (»esteira«). Sie bringen Früchte aus ihren Gärten. Christus, auf den alle Augen gerichtet sind, verschenkt sich im geteilten Brot. Und die Abendsonne lässt die Tischgemeinschaft strahlen.

Duque de Caxias ist die drittgrößte Stadt, gemessen am Bevölkerungsanteil, in der Metropolregion des Bundesstaates Rio de Janeiro, die als Baixada Fluminense bekannt ist. Aufgrund der in vielen Stadtteilen ansässigen Ölraffinerieindustrie verfügt sie über erhebliche Steuereinnahmen. Bedeutend ist aber auch die Armut am Rande der Stadt und die Gewalt, die aus Konflikten zwischen verfeindeten Milizen resultiert. Die Banden beherrschen durch den Verkauf illegaler Substanzen und Waren des täglichen Bedarfs – wie Wasser, Kochgas oder Lebensmittel – den Markt. Es kommt zu Gewalt, die sich in unterschiedlichen Formen ausdrückt: im vorzeitigen Tod junger Menschen, in Armut oder in den fehlenden Möglichkeiten für ein menschenwürdiges Leben. Die Franziskanerprovinz der »Unbefleckten Empfängnis Brasiliens« ist durch die pastorale Arbeit und den franziskanischen Solidaritätsdienst SEFRAS (Ação Social Franciscana) in diesem sozialen Brennpunkt präsent. Seit 2015 leitet SEFRAS, in Zusammenarbeit mit der dortigen Pfarrei, zwei Einrichtungen zur Betreuung von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien in den Gemeinden »Bom Retiro« und »Balneário Ana Clara«. TEXT: Dr. Rosângela Helena Pezoti | FOTOS: SEFRAS Füreinander sorgen Franziskanischer Solidaritätsdienst (»Haus des vollkommenen Glücks«) von SEFRAS betreut. Das Haus, in dem Kinder und Jugendliche nach oder vor der Schule willkommen sind, bietet Essen (Frühstück, Mittagessen und einen Nachmittagsimbiss) und sozialpädagogische Aktivitäten. Diese helfen, Fähigkeiten und soziale Kontakte, den Bildungsprozess sowie familiäre und gemeinschaftliche Bindungen zu stärken. Die Familien werden auch von einem Sozialarbeiter begleitet, der sich ihre Forderungen anhört und sie an die lokalen, öffentlichen Ämter verweist. Leider reichten die Bemühungen dieser Institutionen nicht aus, um alle Bedürfnisse zu erfüllen. Um den Familien zu helfen, wurden von SEFRAS, von den Ämtern und der Kirchenpastoral auch einige Initiativen zur Einkommensverbesserung entwickelt, wie die Herstellung von Seife, In der Gemeinde Ana Clara leben die Brüder Maikon und Marlon, acht und zehn Jahre alt, und ihre Familie. Ihre Mutter ist arbeitslos und kümmert sich allein um die Kinder. Sie lebt von kleinen Jobs wie Putzen, Wäschewaschen und dem Verkauf von kosmetischen Produkten. Ihr Einkommen, das durch Sozialprogramme aufgestockt wird, reicht nicht aus, um die Miete zu zahlen, Lebensmittel, Medikamente und andere Dinge zu kaufen, die sie für ein würdiges Leben für sich und ihre Kinder benötigt. Wenn die Mutter arbeiten geht, sind die Geschwister auf sich allein gestellt und haben niemanden, der ihnen sagt, wann sie zur Schule gehen sollen. Deshalb sind beide in der Schule im Rückstand. Obdach und Essen Diese Familie wird, wie viele andere auch, in der »Casa Perfeita Alegria« 20

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