Franziskaner Mission 4 | 2024

2024 Sternstunden Vom Dunkel ins Licht

FRANZISKANER MISSION erscheint viermal im Jahr und kann als kostenfreies Abo bestellt werden unter Telefon 02 31-17 63 37 65 oder info@franziskanermission.de. »Franziskaner Mission« erscheint im Auftrag der Deutschen Franziskanerprovinz von der heiligen Elisabeth – Germania. HERAUSGEBER Franziskaner Mission REDAKTIONSLEITUNG Augustinus Diekmann ofm REDAKTION Dr. Cornelius Bohl ofm, Stefan Federbusch ofm, Natanael Ganter ofm, Heinrich Gockel ofm, Márcia Santos Sant'Ana, René Walke ofm, Pia Wohlgemuth GESTALTUNG sec GmbH, Osnabrück DRUCK Bonifatius GmbH, Paderborn Herstellungskosten dieser Zeitschrift: Die »Franziskaner Mission« wird nicht von Spendengeldern, sondern aus den Erlösen eines speziell hierfür eingerichteten Missionsfonds finanziert. Impressum FRANZISKANER MISSION Franziskanerstraße 1, 44143 Dortmund Telefon: 02 31-17 63 37 5 info@franziskanermission.de www.franziskanermission.de Spenden erbitten wir, unter Angabe des Verwendungszwecks, auf folgende Konten: SPARKASSE HELLWEG-LIPPE IBAN DE13 4145 0075 0026 0000 34 BIC WELADED1SOS VOLKSBANK HELLWEG EG IBAN DE44 4146 0116 0000 0051 00 BIC GENODEM1SOE 2

Liebe Leserin, lieber Leser! TITEL Das Titelbild stammt von João Batista Bezerra da Cruz aus Pedro Segundo in Piauí, Brasilien. Diese Weihnachtsdarstellung ist ein Ausschnitt aus einem größeren Werk des Künstlers, das auf der Mittelseite dieser Ausgabe zu sehen ist. Die Werke des Malers zeichnen sich aus durch eine beeindruckende Verwurzelung im Lebensalltag der Basisgemeinden sowie im Reichtum kultureller Traditionen Nordostbrasiliens. Unser Bild entstand 2023 zum 800-jährigen Jubiläum der Weihnacht in Greccio; deshalb auch die Präsenz des Franziskus und der Klara von Assisi im Hintergrund. »Die Erde ist ein Stern. Wir leben im Himmel.« Logisch ist der Satz. Dennoch stimmt er nicht. Das hat sicher auch Hans Jürgen von der Wense gewusst, der mit dieser Formulierung wohl bewusst provozieren wollte. Ich jedenfalls habe nicht unbedingt jeden Tag das Gefühl, im Himmel zu leben. Sternstunden sind äußerst selten. »Sternstunden der Menschheit« hat Stefan Zweig seine berühmten 14 historischen Miniaturen überschrieben, konzentrierte Augenblicke, die Geschichte gemacht haben und »leuchtend und unwandelbar wie Sterne die Nacht der Vergänglichkeit überglänzen«. Um Cicero geht es da und um Napoleon, um Händel und Lenin und noch ein paar ganz »große« Namen der Vergangenheit. Interessant, durchaus – aber was hat das mit mir heute zu tun? Und was nützt mir ein leuchtender, unwandelbarer Stern am Himmel, wenn unten die Nacht der Vergänglichkeit bleibt? Spontan fällt mir da der Hans-guck-in-die-Luft ein, der sehnsüchtig verträumt nach oben zum Himmel schaut und gerade darum auf die Nase fällt. Ich möchte meinen Karren auch nicht unbedingt an einen Stern binden, da hätte ich doch Angst, abzuheben und die Bodenhaftung zu verlieren. Die Advents- und Weihnachtszeit ist voller Sterne. Dieses Heft auch. Das Sehnsuchtssymbol Stern, das ganz unterschiedliche Kulturen und Religionen verbindet, steht für Licht und Hoffnung. Heute leider auch für Glimmer und Kitsch. Da halte ich mich doch lieber an den Stern von Bethlehem. Ja, es ist ein Stern mit einer Hoffnungsbotschaft. Er gibt die Richtung an. Aber er setzt auch in Bewegung. Hocken bleiben gilt nicht. Er weist den Weg, nimmt ihn mir aber nicht ab. Gehen müssen die Sterndeuter schon selbst. Dieser Stern ist anstrengend! Er erspart weder die mühsame Suche noch Umwege. Aber er lässt auch finden. Der Aufblick zum Stern oben am Himmel führt die Weisen aus dem Orient am Ende dazu, in einem Stall auf die Erde niederzufallen vor einem armen, schreienden Kind. Das meint Weihnachten: Gott ist nicht »droben überm Sternenzelt«, sondern unten, wo wir für ihn keinen Platz haben. Um solche Sternstunden mit Bodenhaftung geht es auch im vorliegenden Heft. Sie fallen nicht vom Himmel. Sie werden möglich, wo sich Menschen, im Blick zum Himmel, hier auf der Erde auf den Weg machen und trotz Widerständen und Enttäuschungen die mühsame Suche nach dem Grund ihrer Hoffnung nicht aufgeben. Es gibt tatsächlich Orte, über denen der Stern stehenbleibt und Freude verbreitet, weil wir dort etwas von dem finden, was uns als Christen auf den Weg gebracht hat. Wir Franziskaner danken Ihnen am Ende des Jahres ganz herzlich für Ihr Interesse an unserer Arbeit, für Ihr Gebet und alle Unterstützung. Und ich wünsche Ihnen gerade in der Advents- und Weihnachtszeit ein paar wirkliche Sternstunden, in denen wir uns nicht wegträumen in den Himmel, sondern staunend ein Stück Himmel im Dreck dieser Erde entdecken, auf der wir in einem schreienden, hilflosen Kind unserem Gott begegnen dürfen. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. P. Cornelius Bohl ofm Sekretär für Mission und Evangelisierung 3

Inhalt 6 Menschwerdung Sternstunde Weihnachten Heribert Arens ofm 8 »Sternennacht« Eine theologisch-franziskanische Erzählung Dr. Michael Kleinhans ofm 10 Unterwegs am Himmel Von Faszination zu Wissenschaft, Erkenntnis und Glauben Bernardin Marker ofm 12 Unter einem guten Stern! Lösung für das 2019 geschlossene »Forum der Völker« Dr. Damian Bieger ofm 14 Die Spenden kommen an Eine deutsche Familie hat nachgeforscht Helga Lausterer 16 Jesus Christus, Licht der Welt! Franziskanische Predigt aus Brasilien Rogério Viterbo de Sousa ofm 20 Sternstunden am Äquator Beginn des Afrikaprojekts in Kenia Heinrich Gockel ofm 22 Afrikanische Berufungsgeschichte Ein Franziskaner aus Kamerun erinnert sich Dr. Cascarino Valentine Eboh ofm 24 Der Umwelt zuliebe! Aus Müllsammlern werden Unternehmer Manuela Isabel Urbina Ramírez 26 Sterne leuchten lassen Freiwilligendienst bei »Estrellas en la Calle« in Bolivien Minh Tao Kipp 28 Der Notausgang zur Freiheit Freilassung von politischen Gefangenen in Nicaragua Frank Hartmann ofm 30 Glanz und Schönheit Die Legende der Sternschnuppen über Amazonien Laura Vicuña Pereira Manso cf 32 Sterne dürfen wieder leuchten Kinder- und Jugendarbeit im Armenhaus Brasiliens Maria Arli Sousa Nojosa cf 34 DANKESCHÖN! 35 Projekt 8 6 10 12

Personalia RICHARD DZIERZENGA OFM Im Rahmen seines Heimaturlaubes besuchte unser Afrikamissionar Richard Dzierzenga ofm auch die Franziskaner Mission in Dortmund, um über seine Arbeit in Westafrika zu berichten. Der Franziskanerpater, der die westafrikanische Franziskanerprovinz schon als Provinzial geleitet hat, verantwortet in einer Franziskanerpfarrei in Togo ein Kinder- und Jugendprojekt. Zusammen mit Ordensschwestern der Kongregation von der Göttlichen Vorsehung hat er dabei bereits vor über 20 Jahren eine Einrichtung für minderjährige Mädchen aus sehr armen Verhältnissen gegründet. Diese Arbeit unterstützt er bis heute durch Spenden aus Deutschland. Wichtig sind der Schutz und die Chance auf eine menschenwürdige Zukunft. JULIO YEGUAORI Julio Yeguaori ist seit zehn Jahren Trompetenlehrer an der franziskanischen Musikschule in Urubichá, Bolivien. Urubichá liegt im Amazonasgebiet und war auch betroffen von den flächendeckenden Waldbränden. Julio ist Mitglied der freiwilligen Feuerwehr. Seine Kollegen und er haben bis an den Rand der Erschöpfung gearbeitet, um Dorf und Musikschule vor den Flammen zu schützen. Julio schreibt: »Als freiwillige Feuerwehr sind wir dem Schutz unseres Landes und unserer Bevölkerung verpflichtet. Die Brände waren verheerend, aber sie haben die Stärke und Einheit unserer Gemeinschaft gezeigt. Wir danken den Spendern in Deutschland, die es uns durch schnelle Nothilfe möglich gemacht haben, unsere Ausrüstung aufzustocken.« IVALDO EVANGELISTA MENDONÇA OFM Franziskanerbruder Ivaldo besuchte im September 2024 die Franziskaner Mission in Dortmund. Geboren in Nordostbrasilien, wuchs er in der Stadt Bacabal auf, wo er sich aktiv an der Jugendpastoral beteiligte. Dort fand er auch seinen Weg in den Franziskanerorden. Er schloss sein Studium der Philosophie in São Luís und der Theologie in Jerusalem ab. Im Heiligen Land engagierte er sich auch als Pilgerführer. Zurück in Brasilien, widmete er sich der Ausbildung von jungen Ordensbrüdern und arbeitete im Sekretariat der Ordensprovinz. Seit 2022 lebt er in Rom, wo er an der Päpstlichen Universität Urbaniana seinen Master in Biblischer Theologie macht. Sein Thema ist die Heilung des blinden Bartimäus im Markusevangelium. 20 22 32 28

Ein funkelnder Stern am Himmel: Viele sahen ihn, aber nur wenige verstanden seine Botschaft. Die ihn verstanden, spürten: Jetzt heißt es, aufbrechen aus unserem täglichen Einerlei. Jetzt heißt es, Vertrautes hinter sich lassen und mutig auf Neues zugehen. Der Stern war die Einladung: »Brich auf! Wohin ich deine Schritte lenke: Folge mir!« Und tatsächlich, drei Männer sahen den Stern, verspürten seine Einladung, brachen auf und folgten ihm: eine Sternstunde der Menschheit. Sie waren drei. Einer allein hätte das kaum gewagt: »Ich bin doch nicht verrückt! Ich laufe doch keinem Hirngespinst hinterher. Ich mache mich doch nicht lächerlich!« Solche Sätze treiben bis auf den heutigen Tag so manchen um, der die Verlockung spürt, sich auf den Stern von Bethlehem einzulassen. »Ich bin doch nicht verrückt!« Manche haben sich damit auseinandergesetzt, bevor sie den ersten Schritt tun wollten – aber doch lieber im vertrauten Daheim blieben. Andere, die den ersten Schritt gewagt haben, wurden vor dem zweiten Schritt von Zweifeln befallen: »Auf was habe ich mich bloß eingelassen!« Wenn du in dieser Auseinandersetzung allein bist, ist das schwer auszuhalten! Wie gut, dass sie zu dritt waren, die Weisen aus dem Morgenland: Nennen wir sie nach alter Tradition Caspar, Melchior und Balthasar. Wie gut, dass sie zu dritt waren. So konnten sie sich gegenseitig vergewissern und sich Mut machen, wenn die Zweifel zu nagen begannen: »Bin ich auf dem richtigen Weg? Bin ich noch ganz gescheit?« Der Weg des Glaubens ist nun einmal kein Weg, auf dem ich den ersten Schritt tue und alles ist klar. Er kennt auch das Grübeln und den Zweifel: einem Stern hinterherlaufen? Einem Stern, der zu einem Kind führt, das in einem Viehstall im notdürftig gereinigten Futtertrog liegt? Und dieses Kind soll sogar ein König sein? So etwas Verrücktes kann doch nur ein Verrückter tun! Von wegen »Sternstunde«: »Wahnsinnsstunde«! Einfach verrückt! Wie gut, dass sie damals zu dritt waren! Wie gut, wenn ich heute mit meinem verrückten Glauben nicht allein bin, wenn es an meiner Seite noch ein paar weitere »Verrückte« gibt, mit denen ich mich vergewissern und ermutigen kann. Allein wäre ich auf verlorenem Posten. TEXT: Heribert Arens ofm | ILLUSTRATION: Dmitry Rukhlenko / stockadobe.com Menschwerdung Sternstunde Weihnachten Gemeinsam glauben Darauf kommt es an, wenn das Entdecken des Sterns zur Sternstunde werden soll! »Wir brauchen die anderen«, sagt ein Gebet. Glaube braucht Gemeinschaft. Allein hältst du das nicht durch. Glaubende Menschen brauchen Mit-Glaubende: auf dem Weg zur Krippe, auf dem Weg zum Taufbecken, auf dem Weg zum Gottesdienst, auf dem Weg durch die Karwoche zum Fest der Auferstehung, auf dem Weg zum Nächsten. 6

Menschsein. Die Worte des bekannten Gebetes im Geist des Franz von Assisi beschreiben einige Akzente dieses Weges: Das sind Leitworte, für die es sich zu leben lohnt! Denn wo immer der eine oder andere dieser Gedanken Wirklichkeit wird, kommt etwas Licht in die Welt, weil ein Stern aufgeht. »Sterne vertreiben keine Dunkelheit, aber sie geben Orientierung im Dunkeln«, sagt ein Sprichwort. Das gilt für Sterne wie für Sternstunden: Hell wird es dadurch nicht in der Welt. Sie leuchten die Welt nicht aus, aber sie zeigen, wo es lang geht. Sie sind Wegweiser. Auch die Sternstunde von Bethlehem macht die Welt nicht hell. Aber sie zeigt die Richtung an für den Weg. Der funkelnde Stern weist auf das Kind, in dem Gott ein menschliches Gesicht bekommen hat. Dieser menschenfreundliche Gott bleibt sich und uns in guten und in schweren Tagen treu. Darum ist die Geburt des Kindes im Stall von Bethlehem eine Sternstunde, ein Lichtblick für die Menschheit, auch heute. Allein schaffst du das nicht. Glauben kannst du nur in der Gemeinde, wo andere vor, hinter und neben dir unterwegs sind. Zu diesen Mit-Glaubenden zählen nicht nur die, die heute mit uns unterwegs sind. Dazu zählen auch die, die lange vor mir dem Stern gefolgt sind und sich auf den verrückten Glaubensweg gemacht haben: Auf ihren Schultern stehe und glaube ich! Soll der Stern zur Sternstunde werden, braucht es die Gemeinschaft derer, die dem Stern folgen. Anders gesagt: Es braucht ein paar Verrückte an meiner Seite. Mir stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage: Was ist denn eigentlich »verrückt« und was ist »normal«? Ist die Welt derer, die mit beiden Beinen auf der Erde stehen, normal? Bei ihnen ist kein Platz für Verrückte, die ihr Heil bei den Sternen suchen. Ist unsere Weltwirklichkeit mit all ihrer Gewohnheit, ihren Spielregeln und Selbstverständlichkeiten normal? Oder ist unsere sogenannte Wirklichkeit ver-rückt und der Glaube rückt die Dinge wieder an die Stelle zurück, wohin der Schöpfer sie gestellt hat? Was ist normal, was ist ver-rückt? Mehr als einmal in der Geschichte haben die als »Spinner« Verlachten Zukunft und Hoffnung erschlossen, während die vermeintlich »Normalen« den Karren der Welt vor die Wand gefahren haben. Darum ist es eine Sternstunde der Menschheit, in der die drei Männer aus dem Orient den Stern aufgehen sehen und ihm gegen jede Vernunft folgen. Dieser Stern führte sie dorthin, wo die Menschheit eine Sternstunde erlebte, wie es keine zweite gab und gibt. Sterne als Wegweiser Darum zurück zur Sternstunde in Bethlehem: Was da in Bethlehem das Licht der Welt erblickte, war nicht nur das Kind, dem man den Namen Jesus gab. Was in diesem Kind zur Welt kam, war ein Weg zu gelingendem Der Autor Heribert Arens lebt heute im Franziskanerkloster Dorsten. Viele Jahre war er mitverantwortlich für die Predigtausbildung junger Franziskaner und Seminaristen. Er wirkte bei den deutschen Franziskanern unter anderem als Guardian, Provinzial, Novizenmeister und Wallfahrtsleiter. Herr, mach mich zu einem Werkzeug des Friedens: dass ich liebe, wo man hasst; dass ich verzeihe, wo man beleidigt; dass ich verbinde, wo Streit ist; dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist; dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht; dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält; dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert; dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt. 7

Wie in vielen Großstädten Brasiliens, so kam die »Light-Show« der Kunstwerke des Vincent van Gogh auch in unsere Stadt: nach Teresina. Es ist eine vielversprechende, computergesteuerte Lichtshow, die die Werke des Künstlers van Gogh zum Leben erweckt. Auch ich kaufte mir eine Eintrittskarte und ging hinein. Und dann stand ich im nächsten Augenblick fasziniert vor »Sternennacht«, eines der berühmten Gemälde des Vincent van Gogh. Das sonst eher dunkel gehaltene Gemälde in Schwarz und Blau war plötzlich durch Computer- und Lichteffekte zum Leben erwacht. Der Sternenhimmel und die Wolken schienen sich zu bewegen, die Laternen im Dorf, die Lichter in den Wohnungen begannen zu funkeln, alles leuchtete und strahlte, die Blautöne der Nacht und die Gelbtöne des Lichtes gingen ineinander über. Ein einzigartiges Lichtspektakel drang in mich ein, und die »Sternennacht« begann auch tief in mir zu leuchten. Ohne Zweifel: Das war meine kulturelle Sternstunde des Jahres. Gleich darauf fragte ich mich: Gibt es denn die »Sternennacht« auch im franziskanischen Ordensleben? Thomas von Celano, der Biograf des heiligen Franziskus, sagt da eindeutig: Ja! Franziskus habe seine Sternstunde bei der Umarmung des Aussätzigen erfahren (2. Cel 9). Bei dieser Umarmung wurde es im Inneren von Franziskus plötzlich hell und leuchtend. Die Dunkelheit seiner Suche nach Gott wurde plötzlich verwandelt in seine. Aber was ist da genau passiert? »Sternennacht« bei Franziskus Martin Buber (Philosoph, 1878–1965) beleuchtet in seinen Schriften, wie rein menschliche Beziehungen zweier Personen erleuchtet werden können. Er sagt, dass das Geheimnis des menschlichen Lebens unbegrenzt sei und sich die Beziehung beider Personen auf ein letztes Geheimnis hin öffnen könne. Eine größere Liebe als die allgemeine Selbstverwirklichung lebe dann zwischen den beiden Dialogpartnern. Wenn so etwas geschehe, sei das reines Geschenk, Erhebung, stilles Anhalten und ein Erreichen der letztmöglichen Gegenwart. Fantasien und Richtlinien seien dabei ausgeschaltet. Dabei sei man völlig passiv und würde hineingezogen in das Geheimnis Gottes. Der Weg zu diesem Geheimnis gehe aber immer durch die Beziehung zum konkreten Menschen und in diesem Fall durch die Umarmung eines Bettlers. Plötzlich käme ein unsichtbarer Dritter in diese persönliche Begeg- »Sternennacht« Eine theologisch-franziskanische Erzählung TEXT: Dr. Michael Kleinhans ofm | GEMÄLDE: Vincent van Gogh | FOTOS: Wikimedia Commons; Dr. Michael Kleinhans nung mit dem Bettler und umfinge sie beide mit seinem Geheimnis. Für Franziskus wurde in diesem Augenblick klar, was Bischof Johannes Crisóstomos schon im 4. Jahrhundert erklärt hatte. »Wer Jesus Christus nicht am Straßenrand erkennt, der erkennt ihn auch nicht im geweihten Kelch.« Seit Bischof Basilius von Cesareia und seinem berühmten Traktat über den Heiligen Geist Gottes weiß man auch, dass das Licht Gottes dem Heiligen Geist zugeschrieben wird. So wurde die Begegnung mit dem Aussätzigen die »Sternennacht« für Franziskus. 8 | 9

»Sternennacht« im Alltag Mit diesen Gedanken zur Heiligenlegende des Thomas von Celano stand ich nun da vor dem digitalen Gemälde van Goghs. Schließlich fragte ich mich, ob eine solche Erfahrung auch bei uns möglich ist oder ob wir durch diese kulturellen und literarischen Ereignisse nur in eine Märchenwelt hineingezogen werden. Können denn meine Nacht, meine Zweifel und meine Schuld auch »sternenklar« werden? Ich konnte mich dieser Antwort an einem ganz normalen Alltag annähern. An diesem Tag war ich »mit dem linken Bein« aufgestanden. Alles, was ich anfing, ging schief. Zum Frühstück musste ich schon einige ironische Bemerkungen schlucken. Dann gingen die theologischen Vorlesungen schief, die Telefonrechnung war überfällig und unbezahlt, der Stadtbus überfüllt und dann fragte mich auch noch eine arme Frau aus dem Landesinneren, ob ich der Pater sei. Das hätte sie gleich beim Einstieg gesehen. Mir schien es zunächst, als ob das der letzte Tropfen zu meinem Unmut wäre, der das Fass zum Überlaufen bringen sollte. Aber dann erzählte sie mir in ihrer direkten Art und sehr vertrauensvoll, wie sie dank des christlichen Glaubens sehr schwierige Probleme ihrer Familie gelöst hatte. Plötzlich war ich hellwach, aller Ärger war verflogen, ich hörte nur noch fasziniert und wie gebannt zu. Am Ende der Busfahrt habe ich mich von dieser armen Frau freundlich verabschiedet und einen Segen für sie ausgesprochen. Aber kurz darauf kam es mir vor, als hätte ich ein Stück glühende Kohle verschluckt oder zu lange in die Sonne geschaut. Irgendetwas »brannte« in mir. Es war mir, als wäre plötzlich noch ein Dritter in unserem Gespräch dabei gewesen, so wie bei den Emausjüngern (Lk 24,32) und als wäre ich in ein tiefes, leuchtendes Geheimnis eingedrungen. Und dieser Eindruck begleitete mich den ganzen Tag lang bis in die Nacht hinein. War das nun meine »Sternennacht«? Der Autor Michael Kleinhans lebt seit 1984 in der nordostbrasilianischen Franizskanerprovinz von Bacabal. Er arbeitete dort als Hausoberer, Seelsorger und vor allem in der Ausbildung des einheimischen Ordensnachwuchses. Nach seinem in Rom erfolgreich abgeschlossenen Doktorat in franziskanischer Spiritualität gibt er heute Vorlesungen an der diözesanen Hochschule in Teresina, Piauí. Links: »Sternennacht« (1889) von Vincent van Gogh Unten: Michael Kleinhans ofm vor dem berühmten »Selbstbildnis« (1887) von Vincent van Gogh

Einen Blick in den Himmel über uns zu werfen, ist ja einfach und rätselhaft zugleich: Den Kopf nach hinten zu legen genügt, und das Fragen beginnt. Zum Glück gibt es eine Reihe von Antworten. Ich bin selbst schon immer ein »Himmelsblicker« gewesen und habe voller Respekt auf die geschaut, die als »Bodenseher« den Blick für Land und Meer, Tiere und Pflanzen in der Horizontalen im Allgemeinen bevorzugen. Unterwegs am Himmel Von Faszination zu Wissenschaft, Erkenntnis und Glauben Ordnung am Himmel Vielleicht ist ja dem ein oder anderen eine gewisse Orientierung in der Sternenfülle schon einmal nahegebracht worden. Man kennt oftmals doch den »Großen Wagen« und weiß sogar, dass man sich von diesem Sternbild ausgehend eine wichtige Information verschaffen kann: Hat man vom Großen Wagen aus den Polarstern gefunden und dessen Winkelhöhe über dem Horizont gemessen, so kennt man sofort die geographische Breite der Position auf der Erdoberfläche. Die Bestimmung der geografischen Länge war dagegen stets das größere Problem. Wie schön ist es, am gestirnten Himmel Figuren zu erkennen. Verschiedene Gruppen von Sternen erschienen schon immer dem Betrachter als Personen und Gegenstände, die in einer virtuellen Landschaft fixiert zu erkennen sind. Daher rührt auch die Bezeichnung Fixsterne, denn sie gaben den Menschen schon immer die Gewissheit, dass es eine Welt gibt, die nicht der Veränderung unterworfen ist. Zu den bekanntesten der Sternbilder zählt sicher der Orion, der auch schon beim Propheten Amos (5,8) genannt wird. Inzwischen ist natürlich schon viel mehr bekannt und wir wissen heute, dass auch die Fixsterne als Mitglieder unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, in einer für uns in der Regel nicht wahrnehmbaren Art Bewegungen und Veränderungen unterworfen sind. Einige Sternbilder sind bekannt, weil sie identisch sind mit den sogenannten Tierkreiszeichen. Sie markieren die Orte am Himmel, durch die unser Heimatstern, die Sonne, von uns aus gesehen im Laufe eines Jahres seinen Weg nimmt. Wie oft wird bei persönlichen Vorstellungen gleich nach dem Sternbild gefragt, »in dem man geboren ist«. Vom Widder bis zu den Fischen sind es zwölf an der Zahl. Bei TEXT: Bernardin Marker ofm | FOTOS: Hermann von Eiff, Werner Klug der Gelegenheit ist festzustellen, dass ein Jahr nun mal astronomisch gesehen nichts anderes ist als eine Runde um die Sonne, die wir als Bewohner des Planeten Erde mit 30 Kilometer pro Stun- de (!) fast kontinuierlich zurücklegen. Lichtverschmutzung Wenn moderne Menschen aus ihren Städten zum Himmel blicken, wird ihnen auffallen, dass oftmals kaum noch Sterne zu erkennen sind. Die Lichtverschmutzung ist eines der Phä- nomene der Zivilisation, die die Faszinationserfahrung mehr und mehr unmöglich macht. Wer kennt heutzutage noch den Anblick eines von Sternen übersäten und mit dem Band der Milchstraße überzogenen Himmels, der vielleicht den Bewohnern auf dem Land noch zuteilwird, besonders wenn sie in einem sogenannten »Sternpark« wie der Hohen Rhön beheimatet sind? Komet Lovejoy C/2014 Q2 von Spanien aus: Ein Komet bewegt sich (oft periodisch) durchs Sonnensystem. Durch die Strahlung der Sonne verliert der »schmutzige Schneeball« an seiner Oberfläche Material, das den Schweif bildet. 10 | 11

Zählt man die Sterne unter verschiedenen Bedingungen, so kommt man in einer Stadt mit Lichtdunsthaube heute auf keine Hundert mehr, während es unter optimalen Bedingungen vielleicht Drei- oder Viertausend sind. Bei der Gelegenheit: Man lasse sich nicht täuschen! Erst mit Instrumenten wie Feldstecher und Teleskopen erweitert sich die Zahl tatsächlich in die oft schon vermuteten Millionen von Objekten, die dann für unser Auge sichtbar werden. Ganz zu schweigen von den modernen fotografischen Möglichkeiten, wie sie die Fotos auf diesen Seiten andeuten. Sei gelobt, mein Herr ... Franz von Assisi muss diese überwältigende Seherfahrung gemacht haben in den von keinerlei künstlichen Lichtquellen aufgehellten und industriellen Abgasen und Rauchschwaden verunreinigten Nächten Mittelitaliens. Unter genau diesem Eindruck wird er die Strophe seines Sonnengesangs gedichtet haben, in der er mit Bruder Sonne, Schwester Mond und den Sternen zum Lob Gottes spricht: »Am Himmel hast du sie geformt, hell, kostbar und schön.« Das geht schon unter die Haut. Immer wieder wird in der Weihnachtszeit die Frage nach dem Wesen des Weihnachtssterns gestellt. Bekannt ist vor allem die Darstellung als Schweifstern, der mit seiner Ausrichtung den Ort der Niederkunft des Retters anzeigt. Die astronomischen Hintergründe dazu sind vielfältig: So könnte es zur Zeit der Geburt des Erlösers ein markanter Komet gewesen sein, der zufällig bei guter Sichtbarkeit die Nacht prägte, oder auch eine seltene nahe Begegnung der großen und hellen Planeten Jupiter und Saturn, die ein auffälliges Merkmal am Himmel darstellte. Echtes Staunen Wenn man mit solchen Kenntnissen und Gedanken am Himmel unterwegs ist, verspürt man etwas von der »Wohlordnung«, die der uns umgebende Kosmos zeigt; das griechische Wort »kosmos« bezeichnet genau dies im Deutschen. Die oft genannten astronomischen Zahlen und Fakten, die ein unglaubliches, fast unheimliches Wissen über diesen Kosmos ermöglichen und zugleich ein tiefes Schweigen auslösen, führen jeden Menschen zu einer überwältigenden Faszination. Die in der Astrophysik immens wachsende Fülle von Messdaten, deren Auswertung zu immer neuen Informationen, Aussagen und Gesetzmäßigkeiten, aber auch Fragestellungen in der Wissenschaft führen, lassen inzwischen viele hieb- und stichfeste Erkenntnisse zu. Sie erst ermöglichen ein echtes Staunen für denjenigen, der immer neu versucht, dieses Wissen ganzheitlich zu begreifen und zu vermehren. Da aber dem rein wissenschaftlichen Verstehen dem Menschen selbst Grenzen gesetzt sind, muss er sich auch anderen Möglichkeiten der Erkenntnis öffnen. Zuletzt sind dies Intuition und Bekenntnis, die uns zum Glauben an den Gott führen, der in Jesus Christus vom Himmel auf unseren Planeten herabstieg. Welcher Himmel es auch sei, den wir hier meinen, spielt keine Rolle. Und dass unsere Erde letztlich nur einer von wahrscheinlich unzählbaren anderen Planeten ist, auf dem sich das Geheimnis der Menschwerdung abspielt(e) und immer wieder ereignet, darf einem an der christlichen Religion ausgerichteten Menschen Nebensache sein. Was letztlich zählt, ist die offene und unvoreingenommene und friedvolle Zuwendung zum Ganzen der Schöpfung, besonders zu den Mitgeschöpfen der eigenen Spezies und dort besonders zu jenen, die vom Himmel aus gesehen am weitesten entfernt leben und die dem Mensch gewordenen Gott zugleich am nächsten waren: die Menschen im Abseits der Gesellschaft, über denen allerdings der gleiche Himmel prangt wie über allen anderen. Der Autor Bernardin Marker ist Franziskaner und arbeitet als Lehrer für Physik und Astronomie sowie Technik und Religion am Franziskanergymnasium Kreuzburg in Großkrotzenburg. Milchstraße von der Hohen Geba in der Thüringischen Rhön aus: »Seh ich den Himmel, das Werk deiner Finger, die Gestirne von deiner Hand gemacht: so staune ich, dass du dich um uns kleine Menschen kümmerst.« (Psalm 8,4)

Sehr wahrscheinlich hat im Herbst 2024 eine Sternstunde für den Erhalt der Sammlung im »Forum der Völker« geschlagen. Denn am Dienstag, den 24. September ist die Landschaftsversammlung Westfalen-Lippe (LWL) der Empfehlung des Kulturausschusses gefolgt und hat beschlossen: »Der LWL übernimmt zum 31. März 2025 die missionsgeschichtliche Sammlung des Forums der Völker in Werl zum symbolischen Preis von 1 Euro von der Deutschen Franziskanerprovinz von der Heiligen Elisabeth KdöR mit Sitz in München nach Maßgabe dieser Vorlage. Damit gehen alle Rechte und Pflichten an der Sammlung an den LWL über.« Unter einem guten Stern! Lösung für das 2019 geschlossene »Forum der Völker« Hier folgen einige Hintergrundinformationen, um die Tragweite dieses Beschlusses zu verstehen: Die erwähnte Sammlung hat ihre Wurzeln im Dorstener Franziskanerkloster, der erste schriftliche Beleg ihrer Existenz stammt aus dem Jahr 1915. Zu diesem Zeitpunkt war aber bereits eine solche Menge an Exponaten aus der Mission angesammelt, dass sie nicht mehr in vier Schränke im Eingangsbereich der dortigen Ordensniederlassung passten und man in der ehemaligen Klosterbrauerei Raum umwidmete. Der Impuls zur Sammlungsbildung war durch den Neuaufbruch der damaligen Sächsischen Franziskanerprovinz in die Chinamission im Jahr 1904 und durch das franziskanische Jubiläumsjahr 1909 gekommen. Eine der Dorstener Hauptattraktionen wurde ab den 1920er Jahren die chinesische Münzsammlung. Alle Exponate verblieben bis 1963 am Niederrhein und kamen dann im westfälischen Werl in einem Neubau unter. Bei dieser Gelegenheit wurde auch die Schulmissions-Sammlung aus dem Provinzkolleg der Ordensprovinz nach Westfalen gebracht. Das prominenteste Stück darunter war sicherlich eine ägyptische Mumie. Schnelles Wachstum Das Konzept im neuen Haus sah eine Kombination aus Missionsverwaltung und Missionsmuseum im Sinne einer Schatzkammer der Kulturen, aber auch eines Gedächtnisortes an die im Jahr 1953 verlorene Chinamission vor. Dort war es zwar gelungen, Ortskirchen zu etablieren, gleichwohl waren alle ausländischen Missionare nach der Gründung der kommunistischen Volksrepublik ausgewiesen worden. Mit der Neuausrichtung der AusstelTEXT: Dr. Damian Bieger ofm | FOTOS: Forum der Völker lung hatte man sich mittlerweile gelöst von einer Darstellungsweise, die vor allem die »Verirrung der Heiden« und die Notwendigkeit der Mission demons- trieren sollte. Die ersten 20 Werler Jahre waren geprägt durch die Missionsprokuratoren Januarius Grewe ofm und Heinrich Gockel ofm. Um die Führungen in der Sammlung kümmerte sich aber vor allem Franziskanerbruder Marianus Dornieden ofm. Mit der Übernahme des Amtes des Missionsprokurators durch Reinhard Kellerhoff ofm im Jahr 1983 setzte eine starke Professionalisierung im Umgang mit der Sammlung ein. Einerseits wurde die Schau unter Begleitung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe erstmalig unter museumsdidaktischen Gesichtspunkten gezeigt. Andererseits setzte eine rege Ergänzungstätigkeit durch Reinhard Kellerhoff ofm ein. Als er die Samm12

lung übernahm, hatte sie rund 3.000 Stücke. Heute hat sie 15.000 Exponate. Dieses Wachstum hatte einen permanenten Raumbedarf zu Folge, der sich in mehreren Erweiterungsbauten äußerte. Die Kehrseite der Baumaßnahmen war jedoch der Verlust einer linearen und übersichtlichen Ausstellungskonzeption. Inhaltlich kam es zu einer wesentlichen Akzentverlagerung in der Ausstellungsabsicht. Reinhard Kellerhoff legte einen großen Wert auf den Dialog der Religionen und ab Anfang der 1990er Jahre auf den Abbau von Vorbehalten und Vorurteilen gegenüber dem und den Fremden in Deutschland. In einer Hand Für die Sammlungsgeschichte war möglicherweise weniger entscheidend, dass ab dem Jahr 2004 die Ämter des Missionsprokurators und des Museumsdirektors getrennt wurden. Die Missionsverwaltung wechselte komplett nach Dortmund und ging in die Hände von Augustinus Diekmann ofm, während das »Forum der Völker« in Werl verblieb. Der wesentliche Unterschied war wohl vor allem, dass sich Reinhard Kellerhoff nun ausschließlich um das »Forum der Völker« kümmerte. Es ist ein Forschungsdesiderat, zu ermitteln, nach welchen Kriterien der Direktor seiner Sammelleidenschaft frönte. Faktum ist es, dass unter seiner Verantwortung auch Missionssammlungen anderer franziskanischer Ordensprovinzen, anderer Orden aber auch vieler verschiedener westfälischer Sammler den Weg nach Werl fanden. Zur persönlichen Tragik des durchsetzungsstarken und altgedienten Museumsdirektors gehört es, dass er zwar zum Provinzkapitel 2013 den Oberen signalisierte, einen Nachfolger einarbeiten zu wollen, es diesen Nachfolger aber wegen des Nachwuchsmangels der deutschen Franziskaner nicht gab. Noch bedrängender wurde die Lage, als ab 2015 feststand, dass die Franziskaner im Jahr 2019 Werl verlassen würden. Kurz vor seinem Tod 2022 erlebte Reinhard Kellerhoff noch, dass der in den Jahren ab 2016 entwickelte Rettungsplan für das komplette Museumsensemble scheiterte. Um das eigentliche Erbe zu retten, besannen sich die Verantwortlichen auf die notwendige gedankliche Trennung von Exponaten, Gebäude und Museumstätigkeit. In dieser Hinsicht haben wir es mit einer 120 Jahre alten Sammlung zu tun, die Exponate aus den verschiedensten Kulturkreisen in sich vereinigt, die aber im letzten Drittel ihrer Existenz ein enormes Wachstum erlebt hat. Das Besondere an ihr ist, dass sie – abgesehen von den Verlusten im Zweiten Weltkrieg – einfach immer weitergewachsen ist und dass der rote Faden der Objektzusammenstellung »Franziskanische Mission« beziehungsweise »Evangelisierung« ist. Das macht sie zu einem echten Fundus an materialen Archivstücken franziskanischer Missionstätigkeit im 20. Jahrhundert. Darüber hinaus vermag sie eine Geschichte von dem wechselhaften Kultur- und Religionskontakt zwischen Mitteleuropäern und dem restlichen Globus zu erzählen. Das ist zu trennen von dem Gebäude, das über die Jahre mit Reinhard Kellerhoff alt geworden war. Das ist weiter zu trennen von den vielfältigen, durch den langjährigen Museumsdirektor initiierten Aktionen, wie etwa der alljährlichen Krippenausstellung oder den »Werler Gesprächen«. Weil die Sammlung durch die Übernahme durch den LWL zukünftig in einer Hand bleibt und nicht zerschlagen werden muss, ist es grundsätzlich möglich, dieses Kulturgut ersten Ranges in seinem Zusammenhang zu beforschen. In den kommenden Monaten wird es darum gehen, die Sammlung so aufzubereiten, dass sie gut in die Obhut des LWL überführt werden kann. Der Autor Damian Bieger ist Franziskaner und Provinzbeauftragter für Geschichte und kulturelles Erbe der Deutschen Franziskanerprovinz. Er ist Seelsorger, hat aber zusätzlich im Jahr 2007 in Ordensgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts promoviert. Seit Juli 2023 arbeitet er als kommissarischer Leiter des »Forums der Völker«. Er lebt im Konvent Dortmund. Krippenausstellung | Chinamission | Ägyptische Mumie | Brasilianische Pfahlbauten 13

Deutscher Besuch im Mädcheninternat in Sucre Dabei bekomme ich oft folgende Argumente zu hören: Die Spenden kämen nicht bei den Betroffenen an. Funktionäre und Verwaltung erhielten den Großteil des Geldes und würden sich bereichern. Wenn Bedürftige unterstützt werden, würden sie nicht mehr arbeiten wollen. Sollen doch reiche Menschen spenden. Bitt- und Bettelbriefe vor allem an Weihnachten würden nur nerven … Diese Zweifel sind zum Teil verständlich, doch sie sollten nicht dazu führen, dass wir uns von der wichtigen Aufgabe des Helfens abhalten lassen. Vor einigen Jahren hatten wir eine größere Summe zur Verfügung, die wir zum Beispiel für einen Urlaub hätten ausgeben oder spenden können. Als aufmerksame Leser dieser Zeitschrift kam meinem Mann und mir der Gedanke, dass wir mit dem Geld auch ein gezieltes Projekt in Bolivien unterstützen könnten. Die prekäre Situation der Bevölkerung kannten wir schon durch einen Rucksackurlaub vor vielen Jahren. Also telefonierte ich mit der Franziskaner Mission in München. Und dies war eine Sternstunde für uns. Uns wurden gezielte Verwendungszwecke für unser Geld vorgeschlagen und ausführlich erklärt. Wir entschieden uns, in einer Schule für behinderte Kinder in Santa Cruz den Bau eines Diagnosezentrums zu unterstützen. Regelmäßig erhielten wir Bilder und Berichte vom Baufortschritt und der Eröffnung. Wir waren glücklich, einen Beitrag zur Förderung vernachlässigter Kinder zu leisten und unterstützten noch weitere Projekte. Begegnungen vor Ort 2020 entschlossen wir uns, unseren Urlaub in Bolivien zu verbringen und »unsere« Projekte vor Ort zu besuchen. Doch leider machte Corona unser Vorhaben zunichte. Pia Wohlgemuth von der Franziskaner Mission München hielt uns auch während der Pandemie über die schwierige Situation in Bolivien auf dem Laufenden. Im Mai 2024 flogen wir dann nach Bolivien. Das Land ist immer noch voller Kontraste und geprägt von einer atemberaubenden Natur sowie von einer Bevölkerung, die mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert ist. Bolivien erstreckt sich von den schneebedeckten Gipfeln der Anden bis hin zu den Regenwäldern des Amazonas. Trotz dieser Schönheit kämpft ein großer Teil vor allem der ländlichen Bevölkerung mit Armut. Die Menschen haben oft keinen Zugang zu grundlegenden Angeboten wie Gesundheitsversorgung oder Bildung. Wir sahen Kinder, die Schuhe putzen, in den Straßen Süßigkeiten verkaufen oder in den Minen unter menschenunwürdigen Bedingungen schuften mussten, damit ihre Familie zu essen hat. Ich hatte unseren Reiseablauf so geplant, dass uns vier Tage zum Besuch eines Internates für Mädchen in Sucre und der Schule für behinderte Kinder in Santa Cruz zur Verfügung standen. Im Vorfeld hatte ich bereits Kontakt Unsere Familie spendet seit vielen Jahren für die Franziskaner Mission München. Von Arbeitskollegen und Freunden werde ich in Diskussionen immer wieder darauf angesprochen, warum man überhaupt für karitative oder religiöse Institutionen spenden sollte. Die Spenden kommen an Eine deutsche Familie hat nachgeforscht TEXT: Helga Lausterer | FOTOS: Armin und Helga Lausterer 14

mit den verantwortlichen Personen in Bolivien aufgenommen. Ich war schon ziemlich aufgeregt, da die Verständigung ausschließlich auf Spanisch erfolgen würde und sich meine Sprachkenntnisse auf Anfängerniveau bewegen. Englisch ist in Bolivien nicht verbreitet. Am vereinbarten Tag gab es in Sucre einen der gefürchteten »Bloqueos«, das sind Protestblockaden, die den Verkehr der ganzen Stadt lahmlegen. Wir konnten nicht abgeholt werden. Wir waren ziemlich enttäuscht, da wir am nächsten Tag schon das Busticket für die Weiterfahrt organisiert hatten und der Besuch damit ausfallen würde. Gegen Abend wurden die Sperren aufgehoben. Franziskanerschwester Silvia und ihre Kollegin konnten uns dann doch noch abholen. Durch die herzliche Begrüßung fühlten wir uns sofort willkommen. Im Internat erhielten wir eine Führung durch die Zimmer der Mädchen, die Küche, die Studiersäle, den Speisesaal, in dem rund 130 Kinder ein Essen erhalten. Ich war überrascht, wie klein die Küche ist und mit welchen einfachen Gerätschaften so viele Mahlzeiten zubereitet werden. Die Verständigung klappte gut, auch mit Hilfe von einem Online-Übersetzungsdienst, sehr zur Freude der Franziskanerinnen und der Mädchen. Wir erfuhren viel über das Bildungssystem im Land, über die Schwierigkeiten, denen Mädchen ausgesetzt sind, aber auch über ihre Chancen. Die Internatsbewohnerinnen sind alle hoch motiviert, einen möglichst guten Studienabschluss zu erreichen. Abends aßen wir gemeinsam mit den Schwestern und den Mädchen. Zu unserer Überraschung hatten die Mädchen ein großes Dankesplakat gebastelt, das sie uns überreichten. Die Übergabe war ein sehr emotionaler Moment. Das Plakat hat in unserer Wohnung in Bayern einen Ehrenplatz direkt beim Eingang erhalten und erinnert uns immer an den Besuch. Berührende Momente Die letzten drei Tage vor unserem Rückflug verbrachten wir im Konvent San Antonio der Franziskaner in Santa Cruz. Nach einer anstrengenden, mehrstündigen Fahrt wurden wir auch hier aufs herzlichste begrüßt. Wir durften den deutschen Franziskanerpater Reinhold Brumberger kennenlernen, der uns viel von den Anfängen der Franziskaner in Bolivien erzählte. Auch mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen hatten und noch immer haben. Am nächsten Tag erhielten wir eine Führung durch die angrenzende Schule der Franziskaner für 2.000 Schülerinnen und Schüler. Davon sind 500 geistig behindert. Diese Kinder blieben bei ihren Eltern sich selbst überlassen, da beide Elternteile den ganzen Tag arbeiten müssen, um den Lebensunterhalt zu finanzieren. Die Schule fördert die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder und sie erhalten die Chance auf eine Ausbildung. Wir waren über die kleinen Gruppen und die individuelle Betreuung erstaunt. Je nach Voraussetzung gibt es auch Die Autorin Helga Lausterer und ihr Mann Armin leben in Bayern. Sie engagieren sich seit Jahren für die Franziskaner Mission München. handwerklichen Unterricht, zum Beispiel in der Bäckerei, Schreinerei oder Schneiderei. Auch am Musikunterricht konnten wir teilnehmen. Ich war berührt, mit welcher Hingabe und ohne Hemmung die Kinder musizierten und sangen. Die behinderten Kinder dürfen an kirchlichen und weltlichen Festen ihr Können und ihre Werke präsentieren. Wir konnten mit eigenen Augen sehen, was mit Spenden ermöglicht worden ist und wie viel noch benötigt wird. Ohne Spenden werden in Bolivien Kinder sich selbst überlassen und verwahrlosen, bekommen Kinder kein Mittagessen, können arme Kinder nicht zur Schule gehen und Mädchen nicht studieren, gibt es keine Umwelt- und Gesundheitserziehung und so weiter. Wir haben gesehen, dass unsere Spende hilft und nicht zweckentfremdet wird. Die Spenden kommen bei den Betroffenen an. Es gab keine Funktionäre, die sich an unserem Geld bereichern. Wir hatten auch nicht den Eindruck, dass wir durch unsere Hilfe Menschen von ihrer Arbeit abhalten. Wir haben unseren Horizont erweitert und neue Freunde gewonnen. Das Ehepaar Lausterer mit Reinhold Brumberger ofm Begegnung mit gehörlosen Kindern in Santa Cruz 15

In dieser zerbrechlichen, unsicheren und manchmal sogar dunklen Welt sind wir alle auf der Suche nach Licht oder einem Hoffnungsschimmer. Inmitten schwieriger Zeiten sehnen wir uns nach Frieden, Güte und allem, was das Leben fördert. Auch in uns selbst suchen wir das Gute, aber wir sind manchmal von unserer eigenen Schwäche überwältigt. Und so endet unsere Hoffnung oft damit, dass sie verblasst und versagt. In solch einem Moment muss unser Vertrauen immer auf Gott ruhen. Der Herr lässt uns in seiner unendlichen Weisheit fest auf sein göttliches Eingreifen hoffen. Er greift in unser Leben und in unsere Welt ein durch Jesus Christus, seinen geliebten Sohn, der das Licht in unserer Mitte und der größte Stern ist, dem wir wirklich folgen müssen. Schon als Kind habe ich nachts fasziniert und voller Freude in den Himmel geschaut und die leuchtenden Sterne bestaunt. Dabei entdeckte ich, dass die Sterne eine schöne Aufgabe haben: leuchten und erleuchten. In der Schule lernte ich, dass sie auch dazu dienten, den Menschen, zum Beispiel Seeleuten, den Weg zu zeigen. Dass die Sterne immer leuchteten, aber meist nur nachts bei einem wolkenlosen Himmel zu sehen sind. Beharrlich und treu Heute als Franziskaner glaube ich, dass wir alle mit einem inneren, leuchtenden Stern geboren werden: dem Stern unserer Sendung, unserer Berufung. Und diese Berufung ist von Gott gegeben und wir sollen niemals daran zweifeln! Es ist eine Berufung zum Glück. Gott setzt sich mehr für unser Glück ein als wir selbst. Davon bin ich überzeugt. Dieser Stern, der unsere Berufung symbolisiert, ist in der Tiefe unseres Wesens eingraviert. Er zeigt uns den Sinn unseres Lebens. Und wenn wir diesen Weg beschreiten, ist unser Leben in seinen innersten Wurzeln von der vollkommensten Freude erfüllt. Es gibt viele Herausforderungen, denen wir uns in dieser Welt stellen müssen: Krankheit, familiäre Schwierigkeiten, Neid, Traurigkeit, Schmerz und Einsamkeit. Oft erzeugt diese Realität eine »dunklere Phase« in uns, die unseren inneren Stern zum Erlöschen bringt. Auch Menschen um uns herum können unser Leben so stark beeinflussen, dass die Suche nach dem Licht und der Weg dorthin sehr mühsam und unerreichbar erscheinen können. TEXT UND FOTO: Rogério Viterbo de Sousa ofm Und die Heiligen Drei Könige, wie im Neuen Testament bei Matthäus, folgten dem Stern. Und sie ließen sich nicht von ihrem Weg abbringen. Sie zweifelten nicht, denn ihr Glaube war fest und sicher. Sie zögerten nicht angesichts der Erschöpfung einer so langen Reise, denn ihr Herz war großzügig. Sie verschoben ihre Reise nicht auf später, denn ihre Seele war entschlossen. Es ist wichtig, von den Heiligen Drei Königen die Tugend der Beharrlichkeit und Treue in der Nachfolge zu lernen. Selbst in der Zeit, als der Stern vor ihren Augen verborgen war, suchten sie weiter nach dem Kind. Es sind so viele Sterne am Himmel! Und doch folgten die Heiligen Drei Könige einem anderen, einem neuen, der ihrer Meinung nach viel heller leuchtete. Sie blickten lange Zeit in die unendliche Weite des Himmels und suchten nach Antworten. Ihre Herzen waren unruhig, aber schließlich erschien das Licht. Dieser Stern verwandelte sie. Er ließ sie ihre täglichen Beschäftigungen vergessen, und sie machten sich sofort auf den Weg. Sie hörten auf eine innere Stimme, die sie aufforderte, diesem Licht zu folgen, dass dies die Stimme des Heiligen Geistes ist, der in jedem Menschen wirkt. Und das Licht führte sie zu Jesus Christus in einer ärmlichen Höhle in Bethlehem. Gottes Licht Auch wir müssen beharrlich gute Werke tun, die geschwisterliche Liebe und die Einheit leben, selbst in der größten inneren Finsternis, die in unserem Leben und auf unserem Weg gelegentlich auftaucht. Wenn wir mit Jesus Christus verbunden bleiben, sind wir in der Lage, das Licht seiner Liebe zu spüren und Gutes zu bewirken. Durch die Kraft dieser Liebe sind wir in der Lage, die Dunkelheit des Hasses, der Angst, des Bösen, der UngerechJesus Christus, Licht der Welt! Franziskanische Predigt aus Brasilien 16 | 17

TEXT ZUR MITTELSEITE tigkeit und der Unwissenheit zu erhellen und zu vertreiben. Es ist wichtig, dass unsere Herzen mit viel Liebe leuchten und dass wir uns von Jesus Christus den Weg zum wahren Glück zeigen lassen. Wir dürfen niemals aufhören, für eine gerechtere, menschlichere Welt zu kämpfen. Wir wollen Sterne sein und mit dem Licht der wahren Liebe andere und die Welt in ihrer Dunkelheit erleuchten. Lasst uns die Wahrheit des Lebens unseres Herrn Jesus Christus in der Welt, in der wir leben, manifestieren. Lasst uns seine unendliche Liebe ausstrahlen in der Kraft der Geschwisterlichkeit und der Hoffnung. Vergessen wir nie, dass unser Stern immer heller leuchten wird, wenn er aus der Kraft der Demut kommt. Es braucht Demut, um zu erkennen, dass nicht unser Licht leuchtet, sondern das Licht Gottes in unseren Herzen. Wir werden hier auf Erden glücklich sein, wenn wir dem Stern folgen, den Gott uns gegeben hat, wenn wir den Weg der Berufung gehen, zu dem er uns berufen hat. Lasst uns also Sterne sein, die anderen den Weg zeigen, damit sie den Erlöser finden können. Lassen wir uns jeden Tag von dem größten Stern, Jesus Christus, leiten. Lassen wir uns von ihm erleuchten, und wir werden ein strahlendes und schönes Licht für andere und für die Welt sein können. Der Autor Rogério Viterbo de Sousa ist Ordensoberer der Franziskanerkustodie »Von den Sieben Freuden Mariens« in Mato Grosso und Mato Grosso do Sul, Brasilien. Übersetzung aus dem Portugiesischen: Márcia Santos Sant’Ana Gott, Schöpfer des Lichts, wir danken dir für das Geschenk des größten Sterns, der niemals erlischt, Jesus Christus, unser Herr und Erlöser. Er ist der Stern, der immer gegenwärtig ist, in jedem Augenblick unseres Lebens. Möge er das Licht sein, das unsere Reise auf der Erde leitet, das die Dunkelheit unserer Herzen erhellt und uns näher zu ihm bringt, damit wir die Kraft finden, das Leben aller Menschen und der ganzen Welt immer mit Liebe zu erleuchten. Amen! Betet wie der heilige Franziskus und erleuchtet eure Herzen: Die »Brasilianische Weihnacht« auf der folgenden Mittelseite stammt vom Maler João Batista Bezerra da Cruz aus dem Bundesstaat Piauí. Das Kunstwerk zeigt die immense Spannung zwischen der reichen Schöpfung als unserem gemeinsamen Haus und der Zerstörung der Umwelt durch Brandrodung und Abholzung des lebensnotwendigen Regenwalds in Brasilien. Während die Menschwerdung Gottes unter einem guten Stern steht und von den beiden Heiligen von Assisi bezeugt wird, führt der Mensch die Schöpfung heute systematisch vom Licht ins Dunkel. Bruder Rogério wärend einer Predigt in der Jugendkapelle in Itaporã, MS, Brasilien

29 Franziskaner aus 14 Nationen brechen im Frühjahr 1983 nach Ostafrika auf und gründen kleine, internationale Gemeinschaften, sogenannte Fraternitäten, in Kenia, Malawi, Ruanda, Tansania und Uganda. Mit pastoraler und sozialer Arbeit wollen sie nah bei den Menschen sein und – wo möglich und nötig – in Notsituationen helfen. Sieben Franziskaner – Gualberto Gismondi (Italien), Finian Riley, Conrad Schomske (USA), Daniel Hannaford (Neuseeland), Francisco Oliveira (Brasilien), Hermann Borg und ich selbst (Deutschland) – kommen am 19. April 1983 in Nairobi an. Ein ehemaliges Familienhaus englischer Siedler, in der Donyo Sabuk Avenue, wird unser neues Zuhause. Etliche Wochen halten wir unsere Gebetszeiten und Eucharistiefeiern im Wohnzimmer, bis die offene Hofgarage zur Kapelle umgestaltet ist. Daraufhin notiert Pater Conrad in die Hauschronik: »Für einen, der im Stall geboren wurde, ist eine Garage ein Fortschritt!« Altar und Hocker sind schnell aus Holz gezimmert, aber die Fertigstellung des Tabernakels aus einem schweren Baumstamm erfordert viel Geduld. Nach etlichen Monaten schafft es der örtliche Holzschnitzer, und der massive Tabernakel mit afrikanischer Rundhütte und Abendmahlszene findet seinen festen Platz in unserer Kapelle. Kardinal Maurice Michael Otunga (1923–2003) ist glücklich. Denn als er 1982 von unserem Kommen hörte, schrieb er erwartungsvoll nach Rom: »Ich freue mich über einen weiteren Tabernakel des Herrn vom Orden der Minderen Brüder in Nairobi.« Am Hoftor lädt ein Schild unsere Besucherinnen und Besucher mit dem Kisuaheli-Gruß »Amani« ein. Amani (»Frieden«) wollen wir den Menschen bringen. Aufgeschlossene Jugend Dazu ergeben sich bald Gelegenheiten mit der Jugendseelsorge in umliegenden Gymnasien und mit einem Universitäts-Campus. RegelmäSternstunden am Äquator Beginn des Afrikaprojekts in Kenia TEXT: Heinrich Gockel ofm | FOTOS: Franziskaner Mission ßig besuchen wir die YCS-Gruppen (Young-Christian-Students, junge christliche Studierende) und feiern in Internatsschulen die Sonntagsgottesdienste. An Samstagen laden wir zu Besinnungstagen ein, bei denen Eltern oder Lehrende gerne mitwirken. Tom Mboya – damaliger Schüler, heute Finanzplaner in den USA – erinnert sich in einer E-Mail: »Wir waren in einer Lebensphase, in der wir uns selbst kennen und entdecken lernten. Wir wurden auf die Beziehungen zwischen Jungen und Mädchen aufmerksam gemacht, nahmen an Aktivitäten teil, erhielten von Franziskanern Wegweisung für unseren Glauben und besprachen spirituelle Themen. Ich habe mich auf die Treffen gefreut wegen der angebotenen Beichtgespräche, der Eucharistiefeiern und der Begegnung mit anderen Schülerinnen und Schülern.« Seine Eltern hatten bei seiner Taufe bewusst den Namen Mboya hinzugefügt, da Tom Mboya – von seinem Stamm der LUO – am 5. Juli 1969 in Nairobi ermordet worden war. Zu einem besonderen Einkehrtag im Wildpark lädt die YCS-Gruppe vom Upper-Kabete-Campus ein. Im Universitätsbus – mit 50 Studentinnen und Studenten – geht‘s zum Nationalpark »Hells Gate« (»Höllentor« – zu der Zeit frei zugänglich). Im Park passieren wir friedlich grasende Zebras und Gazellen, und nach einigen Kilometern finden wir unter Schatten spendenden Schirmakazien einen geeigneten Platz. Das Jesuswort »Ihr seid das Licht der Welt« (Mt 5,14) wird beim Bibel-Teilen in Kleingruppen vertieft. Es gibt Zeit für persönliche Besinnung und zum Empfang des Sakraments der Versöhnung. Zur Eucharistiefeier versammeln 20

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