Lebenssituation verschärfen. Die intensive Begleitung der Betroffenen macht einen großen Bestandteil der Arbeit meiner Kolleginnen und Kollegen aus. Hier werden zum Beispiel das soziale Engagement, der Gemeinsinn und das Bewusstsein für die eigene Verantwortung für unsere Mitmenschen erfahrbar – ganz im Sinne des heiligen Franziskus von Assisi: in Solidarität mit den Ausgegrenzten unserer Gesellschaft zu leben. »Estrella en la Calle« richtet sich an Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Familien, die in unterschiedlich gefährdeten Situationen leben – sei es auf der Straße oder in dysfunktionalen Familien. Bei unserer Arbeit gehen wir von gesunden Aspekten aus, die sie noch haben, das heißt wir konzentrieren uns hauptsächlich auf ihre Möglichkeiten und ihr Potenzial. Wir glauben an die Menschen und daran, dass sie in der Lage sind, ihr Leben grundlegend verändern zu können. Aus diesem Grund finde ich das Projekt auch so wichtig, weil man den Menschen Hoffnung und Motivation gibt, die vielen hier oft fehlt. Ich persönlich hatte auch Erlebnisse, in denen mir klar wurde, wie viele kleine und große Sterne es hier in meinem Projekt gibt. Zum Beispiel gibt es einen Jungen, Benjamin, sieben Jahre alt. Er mag es, sich aus Spaß zu raufen und Papierflugzeuge zu basteln. Wir verstehen uns gut, aber mir ist aufgefallen, dass er sehr unregelmäßig ins Projekt kommt. Seine Noten sind schlecht und häufig stand der Vermerk seines Lehrers im Hausaufgabenheft, dass Benjamin im Unterricht einschläft. Ich habe ihn darauf angesprochen und er sagte mir, dass er oft in der Nacht arbeiten muss und deshalb in der Schule sehr müde ist. Er sagte mir dies mit einem Lächeln auf dem Gesicht, als ob das ganz normal wäre und ja, es stimmt Der Autor Minh Tao Kipp ist 19 Jahre alt und für ein Jahr im franziskanischen Projekt »Estrellas en la calle« in Cochabamba, Bolivien, tätig. Er kommt aus Berlin und möchte nach seiner Rückkehr Medizin studieren. auch. Kinderarbeit ist hier normal, denn vielen Familien geht es finanziell nicht gut. Für mich war das ein sehr erschreckender Moment und mir wurde auch in dem Moment wieder richtig bewusst, wie sehr sich die Lebensrealitäten von vielen Kindern in Bolivien von den Realitäten deutscher Kinder unterscheidet. Unermüdlicher Einsatz Generell macht es mich einfach glücklich, hier mit den Kindern und Jugendlichen zu sein, zu reden und mehr aus ihrem Leben zu erfahren. Wir sind eine große Familie. So merkt man einfach, dass jeder seine Träume, seine Ziele und Ambitionen hat. Oft überrascht es mich, wie fröhlich doch die meisten Menschen hier sind, obwohl es ihnen verhältnismäßig schlecht geht. Das ist eine Eigenschaft, die ich unbedingt lernen muss. Ich habe auch gelernt, dass ich einfach nur dankbar sein kann für alles, was ich habe. Der »Walk of Fame«, der berühmte Bürgersteig in Hollywood, ist mit Sternen gekennzeichnet, welche die Namen wichtiger Persönlichkeiten aus Film, Musik oder Theater tragen. Diese Stars haben eine ganz besondere Leistung erbracht und werden deshalb auf diesem Gehweg verewigt. Wenn ich selbst Namen von Menschen, die Besonderes erbracht haben, in schwarzem Marmor einlassen könnte, dann wären es die Namen wie der von Benjamin und vielen anderen Menschen, die das Hilfsprojekt »Estrellas en la Calle« aufsuchen und hier aufgefangen werden. Es wären die Namen der Menschen in Bolivien, die von großer Armut betroffen sind, tagtäglich auch gegen globale Ungerechtigkeiten ankämpfen und diese Situation aushalten müssen. Es wären auch die Namen meiner Arbeitskolleginnen und -kollegen, die sich unermüdlich für diese Menschen einsetzen, sowie die Namen aller, die sich weltweit solidarisch engagieren. Minh und das Team beim Treffen mit betreuten Jugendlichen 27
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