Wie in vielen Großstädten Brasiliens, so kam die »Light-Show« der Kunstwerke des Vincent van Gogh auch in unsere Stadt: nach Teresina. Es ist eine vielversprechende, computergesteuerte Lichtshow, die die Werke des Künstlers van Gogh zum Leben erweckt. Auch ich kaufte mir eine Eintrittskarte und ging hinein. Und dann stand ich im nächsten Augenblick fasziniert vor »Sternennacht«, eines der berühmten Gemälde des Vincent van Gogh. Das sonst eher dunkel gehaltene Gemälde in Schwarz und Blau war plötzlich durch Computer- und Lichteffekte zum Leben erwacht. Der Sternenhimmel und die Wolken schienen sich zu bewegen, die Laternen im Dorf, die Lichter in den Wohnungen begannen zu funkeln, alles leuchtete und strahlte, die Blautöne der Nacht und die Gelbtöne des Lichtes gingen ineinander über. Ein einzigartiges Lichtspektakel drang in mich ein, und die »Sternennacht« begann auch tief in mir zu leuchten. Ohne Zweifel: Das war meine kulturelle Sternstunde des Jahres. Gleich darauf fragte ich mich: Gibt es denn die »Sternennacht« auch im franziskanischen Ordensleben? Thomas von Celano, der Biograf des heiligen Franziskus, sagt da eindeutig: Ja! Franziskus habe seine Sternstunde bei der Umarmung des Aussätzigen erfahren (2. Cel 9). Bei dieser Umarmung wurde es im Inneren von Franziskus plötzlich hell und leuchtend. Die Dunkelheit seiner Suche nach Gott wurde plötzlich verwandelt in seine. Aber was ist da genau passiert? »Sternennacht« bei Franziskus Martin Buber (Philosoph, 1878–1965) beleuchtet in seinen Schriften, wie rein menschliche Beziehungen zweier Personen erleuchtet werden können. Er sagt, dass das Geheimnis des menschlichen Lebens unbegrenzt sei und sich die Beziehung beider Personen auf ein letztes Geheimnis hin öffnen könne. Eine größere Liebe als die allgemeine Selbstverwirklichung lebe dann zwischen den beiden Dialogpartnern. Wenn so etwas geschehe, sei das reines Geschenk, Erhebung, stilles Anhalten und ein Erreichen der letztmöglichen Gegenwart. Fantasien und Richtlinien seien dabei ausgeschaltet. Dabei sei man völlig passiv und würde hineingezogen in das Geheimnis Gottes. Der Weg zu diesem Geheimnis gehe aber immer durch die Beziehung zum konkreten Menschen und in diesem Fall durch die Umarmung eines Bettlers. Plötzlich käme ein unsichtbarer Dritter in diese persönliche Begeg- »Sternennacht« Eine theologisch-franziskanische Erzählung TEXT: Dr. Michael Kleinhans ofm | GEMÄLDE: Vincent van Gogh | FOTOS: Wikimedia Commons; Dr. Michael Kleinhans nung mit dem Bettler und umfinge sie beide mit seinem Geheimnis. Für Franziskus wurde in diesem Augenblick klar, was Bischof Johannes Crisóstomos schon im 4. Jahrhundert erklärt hatte. »Wer Jesus Christus nicht am Straßenrand erkennt, der erkennt ihn auch nicht im geweihten Kelch.« Seit Bischof Basilius von Cesareia und seinem berühmten Traktat über den Heiligen Geist Gottes weiß man auch, dass das Licht Gottes dem Heiligen Geist zugeschrieben wird. So wurde die Begegnung mit dem Aussätzigen die »Sternennacht« für Franziskus. 8 | 9
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