Basilika Vierzehnheiligen | Nr. 55 / 28. Jhrg. 2021/2

5 4 großen Glocken in den Kirchtürmen auch nicht nur zur Weihnachtszeit, sondern sogar täglich… 2. Pfeifen und Register Im Prospekt sind äußerlich meist nur die silb- rig glänzenden Prospektpfeifen erkennbar, hergestellt aus einer Legierung von ca. 80% Zinn und 20 % Blei. Da vom konischen Pfei- fenfuß auf eine scharfe Kante geblasen wird, nennt man sie auch Lippenpfeifen. Zwischen den Pfeifenfüßen dahinter sind rechteckige Holzpfeifen. Unterschiedliche Holzarten ergeben unterschiedliche Klänge: In Vierzehnheiligen sind z.B. Eiche, Fichte und Birnenholz verbaut. Neben den Lippenpfeifen kann die Ton- erzeugung auch mittels eines kleinen Metallplättchens, der sog. „Zunge“ erfolgen, die ähnlich wie bei der Oboe oder Klarinet- te im Luftstrom vibriert und einen etwas schnarrenden oder auch schmetternden Klang hervorruft, je nach Bauweise. Man nennt sie deswegen auch Zungenpfeifen. Normalerweise ist der Anteil der Zungen- pfeifen im Vergleich zur Gesamtpfeifenanzahl eher gering, in Vierzehnheiligen jedoch fast ein Drittel, was den Klang unserer Basilikaor- gel charakteristisch „einfärbt“ und einzigartig „kernig“ macht und von Kennern besonders geschätzt wird! Doch Schönheit hat ihren Preis: Zungen- pfeifen sind sehr pflegeintensiv, sollen sie schön klingen… Verschmutzung durch Staub von Touristen, tote Fliegen oder auch kleb- riger Kerzenruß wirkt sich negativ auf den Klang aus, und will ein Organist oder Orgel- bauer schöne Zungenklänge haben, muss er oft Fremdkörper entfernen und je nach Umgebungstemperatur und Jahreszeit auch nachstimmen, was sehr zeitintensiv ist. Wer gut schmiert, fährt gut, d.h. abgewandelt: Wer gut und häufig stimmt und pflegt, spielt gern und gut und begeistert die Zuhörer! Pfeifenreihen gleicher Bauart (Holz-, Lip- pen-, Zungenpfeifen) nennt man Register. Das Betätigen der Registerzüge am Spiel- tisch schaltet diese Pfeifenreihen an oder ab und damit verändert sich der Klang. Das Mischungsverhältnis untereinander bedingt also, ob ein Orgelklang weich ist oder strah- lend, laut oder leise, dumpf oder schrill. Wie der Maler aus einer Farbpalette bedient sich der Organist ja nach liturgischer Aufga- be verschiedener Mischungsverhältnisse, und so „braust“ die Basilikaorgel beim Einzug des Erzbischofs oder „malt“ pastellartige Farben- schleier in die Akustik der Basilika während der Kommunionausteilung an die Pilger… Das Sprichwort „Er zieht alle Register seines Könnens“ hat da seinen Ursprung. 3. Lufterzeugung Soll eine Orgel spielen, braucht sie Luft - „Wind“ im Orgelbau genannt. Früher wurde der Wind von eigens dafür angestellten und angelernten Balgtretern, den sog. Calcanten mittels Pumpen erzeugt: Durch Bewegen eines Hebels, meist durch Treten mit vollem Körpergewicht, wurde der Wind in einem Keilbalg, ähnlich dem Balg in einer Schmiede für das Kohlefeuer - nur viel größer, in die Windkanäle zu den einzelnen Manualwer- ken gepresst. Bei großen Orgeln mussten oft mehrere Calcanten die Orgel mit dem nöti- gen Wind versorgen. Mit dem Aufkommen der Elektrik Anfang des 20. Jahrhunderts war es dann jedoch möglich, das mühsame Bälgetreten durch einen Elektromotor zu ersetzen, was natürlich den „Beruf“ des Bäl- getreters überflüssig machte. 4. Spieltisch Allein schon der Anblick unseres Spieltisches in Vierzehnheiligen ist überwältigend! Und gleichzeitig modern: Vier Manuale und Pedal, rechts und links davon die vielen Registerzü- ge, im Notenpult integriert ein Farbmonitor für den Blick des Organisten hinunter ins Kirchenschiff und zu den einzelnen Altären, dazu ein Speicherkarten- Lesegerät mit den Digitalanzeigen in kleinen Sichtfen- sterchen über dem vierten Manual, in Fußhöhe diverse Sehr geehrte Freunde und Freundinnen der Orgelmusik! Vor einigen Jahren wurde der Orgelbau zum Weltkulturerbe erhoben. Nun wurde die Orgel für ein Jahr zum „Instrument des Jahres“ gekürt, um sie mehr ins öffent- liche Bewusstsein zu stellen. Daher möchte ich Sie, liebe Leser*innen, mit auf einen kleinen Streifzug durch unsere Basi- likaorgel nehmen. Die Rieger-Orgel in Vierzehnheiligen aus dem Jahr 1999 hat knapp 5.000 Pfeifen, die größten Pfeifen von 6 Meter Länge bis zu den kleinsten von 4 mm. 1. Werkprinzip Werfen wir einen Blick auf den Spieltisch mit den Tasten, Klaviaturen und Registerzü- gen, existieren je nach Größe der Orgel, die sich wiederum am Raumvolumen der Kirche orientiert, mehrere Klaviaturen, sogenannte Manuale oder „Werke“, also „Teilorgeln“, die unterschiedliche Funktion haben. In Vierzehnheiligen besitzen wir fünf Teil- werke: Hauptwerk (1. Manual), Oberwerk (2. Manual), Schwellwerk (3. Manual), Bombard- werk (4. Manual) sowie das Pedalwerk, also die Ebene, die der Organist mit den Füßen bespielt. Diese Werke sind im Inneren der Orgel so aufgeteilt, dass möglichst alle Pfeifen eines Werkes „im Block“ beieinanderstehen und das Raumangebot optimal ausgenutzt wird. Über dem Spieltisch des Organisten befindet sich bei uns das Hauptwerk mit ca. eintausend Pfeifen, das die „Haupt“- Klang- farben in sich vereint, also die kräftigen und lauten Stimmen. Dahinter auf gleicher Ebene, getrennt durch einen Wartungs- und Stimmgang, das Schwellwerk mit ebenfalls ca. 1.000 Pfei- fen, sowohl lauten - aber auch ganz leisen Klangfarben, das komplett in einem Holz- kasten von der Größe eines Zimmers steht, jedoch die Seite zum Kirchenschiff hin mit Drehtüren verschließbar ist. Betätigt nun der Organist mittels eines Fußtrittes diese Drehtüren, „schwellt“ der Klang je nach Öff- nungsgrad der Türen an oder ab! Der an sich starre Orgelklang erhält also eine dynamische Komponente. Auf dem Dach des Schwellwerkes, nicht vertikal stehend, sondern horizontal lie- gend, befinden sich die wohl mächtigsten bzw. auch lautesten Klangfarben des Bom- bardwerkes, die sogenannten „Spanischen Trompeten“ oder Fanfaren oder Chamaden (Entlehnung aus dem Italienischen: chiamata, also „laut rufen, schreien“). An den Orgeln im Bamberger oder Würzburger Dom oder im Münster zu Ingolstadt, ragen diese Pfeifen waagrecht aus dem Prospekt heraus, bei uns sind sie geheimnisvoll verborgen, aber umso klangmächtiger! Rechts und links des Hauptwerkes erkennt man die zwei imposanten Pedaltürme, in denen die ganz großen und abgrundtiefen Klangfarben des Pedals aufgestellt sind. Die Pfeifen also, die mit den Füßen auf einer Holz- klaviatur angespielt werden. Im oberen Bereich der Pedaltürme, jedoch dahinter, verbergen sich die Klangfarben des Oberwerkes, in denen ganz besondere und leuchtende Farbmischungen erzeugt wer- den können, ebenfalls schwellbar mittels Drehtüren. Zu guter Letzt gibt es noch ein Glockenspiel mit 30 handgegossenen Mes- singglocken aus den Niederlanden. Diese Glocken werden mit befilzten Hämmern aus Holz angeschlagen, die wiederum von den Tasten des Bombardwerkes aktiviert werden können – und nicht nur in der Advents- und Weihnachtszeit ein Lächeln auf die Lippen der Zuhörer zaubern! Schließlich läuten die D as J ahr der O rgel 2021

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