Franziskaner - Winter 2021

12 franziskaner 4|2021 sinn.los.frei? © oliver pracht Vom Suchen und Finden von Sinn S uchen ist nicht gleich suchen.Wenn ich zum Beispiel meinen Autoschlüssel verloren habe, bin ich bei dieser Suche total auf dieses eine Objekt fixiert. Nichts anderes interessiert mich in diesem Augenblick.Wenn ich ihn gefunden habe, bin ich erleichtert, erlöst und kann mich wieder den normalen Dingen meines Lebens zuwenden. Anders ist die Erfahrung, wenn ich für einen Freund ein Buch als Geschenk suche. Ich stehe in der Buchhandlung, weiß ungefähr die Richtung, in die meine Suche geht, und finde in dieser zugleich offenen und auch begrenzten Aufmerksamkeitshaltung schließlich ein Buch, von dem ich denke: »Ja, das passt!« Und vielleicht fällt mir bei diesem Suchen zufällig noch ein Buch ins Auge, das mich persönlich anspricht. Freudig überrascht empfinde im Augenblick Dankbarkeit. Irgendwie passt es in meinen Sinnhorizont. Ganz anders ist es noch einmal, wenn ich etwas suche, das kein auffindbares Objekt ist, sondern eine Beziehung betrifft, von der ich ahne oder hoffe, dass sie mich innerlich bereichert und einen Kern meiner Sehnsucht trifft.Wenn ich zum Beispiel einen Psalm bete: »Gott, du mein Gott, dich suche ich. Meine Seele dürstet nach dir wie lechzendes Land ohneWasser«, dann erlebe ich mich in gespannter Offen­ heit und innerer Wachheit, in der ich weiß, es kann mir nur entgegenkommen, was ich suche. Ich kann die Begegnung nicht erzwingen, sie wird mir geschenkt. Diese Erfahrung erlebe ich als zutiefst sinnvoll. Sinn stellt sich ein, so zum Beispiel bei jenen Menschen, die angesprochen von der konkreten Not ins Ahrtal gezogen sind, um zu helfen. Am Ende ihres Tuns sagen sie dann: »Das war einfach sinnvoll, ich bin dankbar. Auch wenn ich großer Not begegnet bin, es hat dennoch Freude gemacht.« Wenn ich diese kleine Phänomenologie des Suchens auf Franziskus übertrage, sehe ich ihn vor allem in der dritten Weise des Suchens. Er wollte Ritter werden, darauf war sein inneres Streben ausgerichtet. In Gefangenschaft geraten, wird ihm sein Vorhaben und wird er sich selbst zur Frage. Es bricht etwas in ihm auf, von dem er noch nicht weiß, was es genau ist. Aber dieser Aufbruch ist so stark, dass er mit großer Offenheit und Sehnsucht unterwegs bleibt und betet: »Höchster, glorreicher Gott, erleuchte die Finsternis meines Herzens und schenke mir rechten Glauben, sichere Hoffnung und vollkommene Liebe. Gib mir, Herr, das rechte Empfinden und Erkennen, damit ich deinen heiligen und wahrhaften Auftrag erfülle.«* Es gibt viele unterschiedliche Übersetzungen dieses Gebetes, sie alle machen die Offen­ heit und die Konzentration in der Sinnsuche deutlich. Das, was gesucht wird, wird geahnt, umgrenzt und suchend ausgedrückt. Aber letztlich muss es von außen, von der größerenWirklichkeit geschenkt werden. In die Suchbe­ wegung des Franziskus fällt in der Portiuncula-Kapelle das Wort der Aussendungsrede Jesu an seine Jünger, sodass er tief getroffen sagt: »Das ist es, was ich begehre, das ist es, wonach ich mit allen Fasern meines Herzens verlange!« Jetzt weiß er, was er gesucht hat. »Gottes Eingebung« nennt er es. Innerlich ergriffen kann er nicht anders, als dieses Sinnge­ schenk Gott dankbar zurückzu­ geben und sich immer wieder neu ergreifen zu lassen von der Demut und Erhabenheit Got­ tes. Im gefundenen Sinn öffnen sich alle Dimensionen seines Lebens. Bei solcher Art von Sinnsuche ist es, wie wenn man sich mit allen Sinnen auf einen weiten Horizont zubewegt, aus dem ein göttlicher Strahl aufleuchtet, ein Lichtblick aufgeht, der tief ins Herz, in die Sinne, in die Erkenntnis ein­ dringt, also einen ganzheitlichen Vorgang auslöst, der alles andere in den Schatten stellt. Das gefundene, das geschenk­ te Gut ist kostbar – in einemmehrfachen Sinn. Es schmeckt, berührt den Körper und den Geist und erfüllt die Seele mit Seligkeit, mit »Süßigkeit«, wie Franziskus sagt. Die Sinnerfahrung, das Getroffen- und das Ergriffensein von dieser fernen und doch so nahen anderenWirklichkeit be­ stimmt fortan das ganze Leben des Franziskus. Die von nun an bestimmendeWirkkraft und gnadenvolleWirklichkeit erfüllt sein Leben mit Sinn, mit Kraft, aber auch mit Schmerz. Als ein Beispiel nehme ich dasWort, das Franziskus Bruder Leo nach einer Gebetserfahrung auf dem La Verna mitteilt. Leo hatte Franziskus belauscht und gehört, wie Franziskus betet: »Wer bist du, mein süßester Gott? Und wer bin ich, elendigsterWurm und dein nutzloser Knecht?« Auf die Bitte von Bruder Leo, ihm zu erklären, warum er so gebetet habe, antwortet Franziskus: »Wisse, Bruder Leo, dass meiner Seele, als ich jeneWorte sprach, die du vernommen hast, zwei Lichter gezeigt wurden: Das eine war das Licht desWissens und der Erkenntnis des Schöpfers, das andere das Licht der Erkenntnis meiner selbst. Als ich sagte: ›Wer bist du, mein sü­ ßester Gott?‹, da befand ich mich in einem Licht der Beschau­ ung, in dem ich den Abgrund der grenzenlosen Güte und Weisheit und Macht Gottes sah. Und als ich sagte: ›Wer bin ich?‹ und dergleichen, da befand ich mich in einem Licht der Beschauung, in dem ich den Abgrund und die beweinens­ werte Tiefe meines Elends und meiner Erbärmlichkeit sah.« Abgründig ist die Sinnerfahrung, sie schmerzt an Leib und Seele, bei Franziskus sichtbar in körperlichenWundmalen. Und doch öffnet sie zugleich die Sehnsucht nach weiterer, endgültiger Begegnung, wovon Franziskus im Sonnen­ gesang spricht: »Gelobt seist Du, mein Herr, durch unsere Schwester, den leiblichen Tod … Selig jene, die er findet in deinem heiligenWillen, denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun. Lobt und preist meinen Herrn und dankt ihm und dient ihm in großer Demut.« Franz Richardt OFM, Seelsorger, Haus Ohrbeck * Die Franziskuszitate sind entnommen aus: Franziskus-Quellen. Die Schriften des heiligen Franziskus, Dieter Berg / Leonhard Lehmann (Hg.), Kevelaer 2009

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