Franziskaner Mission 2 | 2021

Santa Clara Zentrum Mitarbeiterinnen unseres Zentrums Santa Clara wurden auf Pablo und seine Familie im Rahmen ihrer täglichen Arbeit aufmerksam. Wegen seiner auffal- lenden Untergewichtigkeit aufgrund einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte wurde er zunächst in das Ernährungs- programm aufgenommen und die Fa- milie mit angemessener Kindernahrung versorgt. Die Entwicklungsrückstände wurden bald deutlich erkennbar. Pablo zog sich in sich zurück, verweigerte die Nahrung und nahm mit der Umge- bung auch keinen Kontakt mehr auf. Äußerungen der Mutter ließen es nicht ausschließen, dass man Pablo doch bes- ser seinem Schöpfer überlassen sollte … Mit sehr viel Einfühlungsvermögen und verständnisvoller Zuwendung ließ sich jedoch das Vertrauen der Mutter gewin- nen, Pablo in die Frühförderung »TAU« einzugliedern. Hier blühte er sichtlich auf, nahm fröhlich den Kontakt zu den anderen Kindern auf und zeigte sich bei allen Beschäftigungen einzeln oder in der Gruppe trotz seiner Schwierigkeiten hoch motiviert. Dank der Professionalität und Herzenswärme der Mitarbeiterinnen erleben hier die Kinder mit Behinde- rungen völlig neue Erfahrungen: Sie werden ernst genommen und gemäß ihrer Möglichkeiten an die eigene Kreativität herangeführt. Sie sind Teil der Gemeinschaft und erfahren die Aufmerk- samkeit in der Öffentlichkeit. Sie, die bislang im Verborgenen blieben, dürfen an Veranstaltungen teilnehmen, ihre im Projekt gefertigten Kunstwerke einem interessierten Publikum zuführen und in den Augen ihrer Eltern einen neuen Stolz erkennen. Konkrete Teilhabe Aber es sind nicht nur die fachkom- petenten Fördermaßnahmen, die den Kindern ein Leben in der Gemeinschaft ermöglichen. Es sind administrative Selbstverständlichkeiten wie die Geburts- urkunde, der Ausweis, der Behinderten- ausweis. Erst diese Dokumente bedeuten den wirklichen Zugang zur allgemeinen Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Deshalb beinhaltet die Arbeit im »TAU« auch die Beschaffung dieser Zertifikate, ohne die das Individuum offiziell nicht existiert. Die Kettenreaktion ist fatal: ohne Geburtsurkunde kein Ausweis, ohne Registration keine Behindertenhil- fen. Trotz UN-Konvention versagt hier der bolivianische Staat total, von einer geringfügigen finanziellen Unterstützung abgesehen. Ohne die Unterstützung von Hilfsorganisationen und mancher Privatinitiative blieben die behinderten Menschen weiterhin in ihren Hütten ver- steckt, der Verelendung ausgeliefert. Pablo hatte Glück. In seiner Kindergruppe ist er der »King«, er kann seine Position verteidigen und nimmt am gemeinsamen Spiel teil. Seine Mutter ist sichtlich stolz auf ihn, engagiert sich in der Elternarbeit und traut ihrem Sohn auch eine gewisse Selbstständigkeit zu. Er hat seinen Platz gefunden. Die Autorin Ute Glock ist Kinderärztin aus Büdingen und Gründerin des »Projekt Guarayos«, das sich zusammen mit den Franziskanerinnen um unterernährte und behinderte Kinder in Ascensión de Gua- rayos in Bolivien kümmert. 29

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