Franziskaner Mission 3 | 2021

TEXT: Hélio Moraes Pessoa ofm  Cyber-Mobbing fördern Pädagogik der Gewaltlosigkeit Um über Gewalt in der Schule zu sprechen, ist es gut, sich an die Wurzeln und den Kontext der Gewalt in Brasilien zu erinnern. Bis heute bestehen die Wunden der Kolonialisierung – wie so- ziale Ungleichheit, Rassismus und Sexis- mus – fort und verursachen strukturelle und persönliche Gewalt. Die Politik und Worte von Präsident Bolsonaro, eine »Ikone« psychischer, sozialer, politischer und umweltbedingter Gewalt, weiten eine Kultur des Todes zusätzlich aus. ­ Aktuelle Belege dafür sind zum Beispiel die schon fast 600.000 Toten der noch andauernden Corona-Pande- mie und die systematische Zerstörung des Amazonas. Nicht umsonst sucht in Brasilien die Ökumenische Brüderlich- keitskampagne 2021 nach »Wegen zur Überwindung von Polarisierungen und Gewaltformen durch einen liebevol- len Dialog, der die Einheit in Vielfalt bezeugt«. Dass es auch in einer franziskani- schen Schule Gewalt geben kann, zeigt folgende Geschichte: »Mein Name ist Lucas. Ich bin zwölf Jahre alt und gehe zur CONASA-Schule. Ich litt unter digitalem Mobbing, da einige meiner Mitschüler mich übel karikierten oder mich im Internet beschimpften. Ich fühlte mich beleidigt und gedemütigt, aber sie machten weiter. In der Schule selbst litt ich auch unter Mobbing: Eine Schülerin drangsalierte und schlug mich. Ein anderer Mitschüler entwen- dete meine Schultasche. Ich sagte es meinen Eltern und sie sprachen mit unserer Klassenlehrerin. Danach hörten meine Klassenkameraden mit ihrer fürchterlichen Hänselei auf.« Wie reagiert unsere Schule auf solch traurige Phänomene? Zunächst betrachten wir die Tatsachen: »Die Schule ist das zweite Zuhause, in dem Schülerinnen und Schüler lernen müs- sen, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Daher wird im Klassenzim- mer über alles diskutiert, was im Leben passiert. Die Kinder bringen ihre über das Internet gewonnenen Informationen mit. Dann beginnt eine Art Filterarbeit, um herauszufinden, was wahr ist und was gefälschte Nachrichten sind«, erklärt Lehrerin Girlândia Brandão de Oliveira. Danach wird die Herausforderung »Cyber-Mobbing« in einem speziellen »Mobbing-Projekt« unserer Schule direkt aufgearbeitet. In den Disziplinen Wissen­ schaft und Philosophie gibt es eigene Unterrichtsreihen dazu und es werden Filme mit Fallanalysen gezeigt. Anschlie- ßend vertieft unsere Schülerschaft das Thema in einer speziellen Aktionswo- che: Eine literarische Reise zum Thema Gewalt. Lehrerin Rogéria Carneiro dos Santos Conceição sagt, dass auch unser sogenanntes »Werte-Projekt« eine weitere wichtige Säule im Einsatz gegen Gewalt in der Schule ist: »Jeden Monat reflektieren wir einen bestimmten Wert des Evangeliums, den zum Beispiel der heilige Franz von Assisi bezeugt hat, um zur Kultur des Friedens beizutragen.« Dazu gibt es dann jeden Tag einen Mo- ment des Gebets und des Austausches im Klassenzimmer oder online. All dies trägt dazu bei, auch die negativen Folgen der Pandemie zu mi- nimieren. Lehrende und Lernende sind zum Beispiel durch soziale Distanz und ständige Unsicherheit stärker gestresst und gereizt. Wenn jemand aus unserer Schülerschaft oder seine Eltern über erlittene psychische Gewalt klagen, wird das Thema im Klassenzimmer durch Gesprächskreise, Lesen von entsprechen- den Texten und pädagogische Übungen angegangen. Unsere Jugendlichen sollen lernen zu verstehen, dass psychische Gewalt wehtut. Die durch Mobbing ver- ursachte Niedergeschlagenheit kann man in den Augen der Betroffenen sehen. Im Fall von Lucas: Obwohl er eigentlich ein sehr engagierter Schüler ist, fanden es die Lehrkräfte seltsam, dass er sich auch im Online-Unterricht, während der Zeiten des Lock-downs, immer verschlossener zeigte. Und so kam es zu dem Gespräch zwischen Eltern und Lehrkräften. Zusammenfassend können wir sagen: Wenn Gewalt oder Hass spalten und polarisieren, besteht ihre Überwin- dung in der Integrität aller, insbesondere in einer franziskanischen Bildungseinrich- tung wie CONASA. Eine von christlichen und franziskanischen Werten inspirierte und geeinte Schulgemeinde ist der beste Weg, um alles Gewalttätige und Zer- störerische im alltäglichen Zusammen- leben zu verhindern oder zu heilen. So wächst mehr und mehr eine Kultur von Pax et Bonum (Frieden und alles Gute). Der Autor Hélio Moraes Pessoa gehört dem Franziskanerorden an. Er ist gelernter Diplom­ psychologe und leitet die franziskanische CONASA-Schule (Colégio de Nossa Senhora dos Anjos) in Bacabal, Nordostbrasilien. Übersetzung aus dem Portugiesischen: Augustinus Diekmann ofm 25

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