Franziskaner Mission 4 | 2021

Auf einem Hügel nahe der Stadt Šiauliai im Norden Litauens zeigt sich dem Betrachter ein imposantes Bild: Unzäh- lige Kreuze stehen hier dicht an dicht beieinander. Ursprünglich wurde der Hügel im 14. Jahrhundert in einem sumpfigen Überschwemmungsgebiet als Burgberg aufgeschüttet und diente den heid- nischen Einwohnern als Verteidigung gegen die preußischen Kreuzritter. Zum »Berg der Kreuze« wurde er 1831: Damals gab es blutige Aufstände der Litauer gegen das russische Zarenreich, das dieses Gebiet seit der dritten polni- schen Teilung 1795 beherrschte. Für die Gefallenen wurden von den frommen Trauernden hier Gedenkkreuze errichtet. Seitdem kam sprichwörtlich eins zum andern. Während der Zeit der kommu- nistischen Herrschaft von 1940 bis 1990 wurde der Berg der Kreuze zu einem Symbol des nationalen Widerstandes: Glaube und Freiheitskampf vermischten sich. Kein Wunder, dass die Sowjets dreimal mit Kettenfahrzeugen die auf- gestellten Kreuze beseitigten – doch in der nächsten Nacht schon standen neue da. Passend dazu ist auch die Inschrift der großen Christusstatue: In hoc signo vinces – In diesem Zeichen wirst Du siegen. Wer heute über den Berg der Kreuze geht, sollte einige der Inschrif- ten auf der Rückseite der Kreuze lesen. Gedenken für Verstorbene, Fürbitten in allen möglichen Anliegen und Spra- chen, Danksagungen oder einfach ein Name und ein Datum. Fast jeden Tag kommen neue Kreuze dazu. Niemand weiß genau, wie viele es insgesamt sind. Aber mit jedem aufgestellten Kreuz ver- bindet sich ein Anliegen. Das gilt auch, wenn der Hügel immer mehr zur Attrak- tion für Touristen aus aller Welt wird. Als Papst Johannes Paul II. im Jahr 1993 Litauen besuchte, hat er am 7. September hier am Berg der Kreuze gebetet und damit ein Zeichen gesetzt. Er wollte der überwiegend katholischen Bevölkerung (rund 80 Prozent) für die In diesem Zeichen wirst Du siegen Franziskaner am Berg der Kreuze in Litauen Treue in der Zeit der Verfolgung danken und ihren Glauben bestärken. Papst Johannes Paul II. berief die Franziskaner, vor Ort ein neues Kloster zu bauen und sich den Pilgern dieser Wallfahrtsstätte zu widmen. Derzeit leben, wirken und beten wir hier zu dritt: ein litauischer, ein itali- enischer und ein deutscher Franziskaner. Wenn wir vier Mal am Tag gemeinsam in der Kapelle beten, blicken wir durch das große, auf den Berg der Kreuze gerichtete Fenster, nehmen alle dorthin gebrachten Anliegen und halten sie dem gekreuzigten Herrn hin: »Dein Wille geschehe!« Der Autor Severin Holocher ging 1993 als Franziskanermissionar nach Litauen, um dort, nach dem Ende der sowjetischen Besatzung, am Wiederaufbau mitzuarbeiten. Heute enga- giert er sich in der Ausbildung einheimischer Franziskaner, in der geistlichen Begleitung von Priesteramtskandidaten und anderen Suchenden. Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, hier und in allen deinen Kirchen auf der ganzen Welt, und wir preisen dich, weil du durch dein heiliges Kreuz die Welt erlöst hast. 32

RkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=