Franziskaner Mission 4 | 2021

Viele Texte und Gebete in der Zen- Tradition weisen darauf hin, dass das ganze Schöpfungswerk keine Konfession hat. Engstirnigen Vertretern der unter- schiedlichen Konfessionen stelle ich in der Diskussion um die richtige Konfessi- on häufig die Frage, welche Konfession denn nun Gott habe. Shin'ichi Hisamatsu, der Verfas- ser des Gelübdes, war ein weltoffener und transkonfessioneller Philosoph, Zen-buddhistischer Gelehrter, der auch japanische Tee-Zeremonie übte. Er war Professor an der Universität Kyoto, in der er unter Kitaro¯ōNishida, einem der bekanntesten japanischen Philosophen seiner Zeit studierte. Durch Empfehlung Nishidas ging er 1915 in das Rinzai Kloster Myo¯shin-ji in Kyoto und studierte Zen-Buddhismus unter der Leitung von Meister Ikegami Sho¯san. Nach seiner Klosterzeit versuchte er östliche, insbe­ sondere Zen-buddhistische und westliche Philosophie zu verbinden. Er gründete eine internationale Gesellschaft, mit dem Ziel, das Selbsterwachen der ganzen Menschheit zu unterstützen. Der nieder- ländische Zen-Lehrer Ton Lathouwers war es, der Hisamatsus Ideen in Belgien, den Niederlanden und bei uns durch seine Schriften verbreitete. Mir ist Hisamatsus Gebet besonders ans Herz gewachsen, weil ich zwischen der islamischen und christlich-katholischen Kultur aufwuchs und die Unterschiede und Auseinandersetzungen hautnah miterleben konnte. Als ich 1978 durch den katholischen Pfarrer Lutze, der damals in der Nähe von Würzburg eine Pfarrei innehatte, in die Zen-Meditation eingeführt wurde, war es für mich besonders eindrucksvoll, mit wie viel Offenheit und Herzgeist P. Lutze für transkonfessionelle Zugänge zur Mystik warb. Ich denke, wie Karl Rahner es sinngemäß einmal ausdrückte, dass der Mensch der Zukunft ein Mystiker sein wird, oder nicht mehr sein wird. Ich sehe mich aufgrund meiner Historie als Brückenbauer zwischen den Konfessio- nen. Ich nutze in meinen Kursen indi- sche, christliche, jüdische, islamische, buddhistische und neuzeitliche Texte, um zu zeigen, dass wir eins begreifen müssen: Wir können die Dinge, die uns voneinander trennen, überwinden, wenn wir offen sind für die anderen. Und wenn wir gemeinsame Sorge tragen, dass dieser Planet für alle ein lebenswertes Zuhause bleibt. Die Zukunft liegt in unseren Händen… Dr. Karim El Souessi mit seinem damals drei Wochen jungen Sohn beim Meditieren Der Autor Dr. Karim El Souessi ist Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psycho- therapie mit Naturheilverfahren. Er studierte Germanistik und Deutsch als Fremdsprache in Berlin, Würzburg und München. 2008 erhielt er die Lehrerlaubnis für Zen-Meditation von P. Arul M. Arokiasamy SJ und bietet, unter anderem im Meditationshaus St. Franziskus in Dietfurt, Meditationstage an. Das Gelübde der Menschheit von Shin’ichi Hisamatsu (1889–1980) ist in »Zen-Texte zur Meditation«, herausgegeben von Dr. Karim El Souessi, erschienen. DAS GELÜBDE DER MENSCHHEIT Besänftigt und gefasst lasst uns erwachen zum wahren Selbst. Völlig Erbarmende werden, völlig unsere Fähigkeiten nutzen, wie immer es unserer Berufung entspricht; das Leiden erkennen von Mensch und Gesellschaft und die Wurzel des Leidens; die richtige Richtung erfassen, wohin die Geschichte gehen soll. Wir reichen einander die Hände, miteinander verwandt, weit jenseits der Unterschiede von Herkunft, Nation und Klasse. Lasst uns voll Mitgefühl geloben, dass wir unser tiefes Verlangen nach Befreiung verwirklichen und eine Welt gestalten, in der wir alle leben können in Wahrheit und Fülle. Mensch der Zukunft Zen-Buddhismus und transkonfessionelle Mystik 33

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