Franziskaner Mission 3 | 2021

Eins werden mit Gott Eine weihnachtliche Spiritualität des Gebetes In seiner zweiten Lebensbeschreibung kommentiert der Franziskusbiograph Thomas von Celano auch die spirituelle Ausrichtung und das Gebetsleben des Ordensvaters: »Alles Äußere wusste er nach innen zu kehren, um dann seinen Geist davon ab und nach oben zu lenken. All sein geistiges Schauen und sein ganzes Gemüt richtete er so einzig und allein auf das Eine, das er vom Herrn begehrte. Der ganze Mensch war nicht so sehr Beter als vielmehr selbst Gebet geworden.« (Thomas von Celano, Zweite Lebensbeschreibung oder Memoriale des Hl. Franziskus, (2 Celano) 95, 4-5) Diese kurze Beschreibung des Heiligen als selbst zum Gebet gewordene Ge- stalt bezeugt das Wesen des »franzis- kanischen Betens«: Alles Äußere – die Schöpfung, die großen und kleinen Ereignisse des Alltags sowie die intel- lektuellen und emotionalen Eindrücke – wird mit offenen Sinnen wahrge- nommen und gleichsam, nach innen kehrend, mit einem wachen Geist und empfindsamen Herzen im Lichte der Gottesbeziehung bedacht. Es geht also nicht darum, Gebetstexte aufzu- sagen, vielmehr wird das Leben selbst als Beziehung mit Gott gelebt. Diese Gottesbeziehung kommt dann auch immer wieder im Wort, im Gebetstext, zur Sprache. Gebete sind folglich das Spiegelbild, Ausdruck des Lebens in Gottes Gegenwart. Als gefühlvolles Beispiel des zum Gebet gewordenen Lebens von Franziskus darf die Krippenfeier von Greccio gelten. Franziskus zitierend schildert Celano das Motiv, welches den Poverello bewegte, die Krippenszene zu inszenieren: »Ich möchte nämlich das Gedächtnis an jenes Kind begehen, das in Betlehem geboren wurde, und ich möchte die bittere Not, die es schon als kleines Kind zu leiden hatte, wie es in eine Krippe gelegt, an der Ochs und Esel standen, und wie es auf Heu gebettet wurde, so greifbar als möglich mit leiblichen Augen schauen.« (1Celano 84, 8.) Mit dem Krippenspiel in Greccio möchte Franziskus nicht nur sich und den an der Feier teilnehmenden Gläubigen die greifbare Teilnahme an der Geburt Jesu ermöglichen. Er stellt gleichsam das eigene Leben und seine Mitwelt, Mensch und Tier, in das weihnachtliche Handeln Gottes hinein. Die Geburt Jesu wird im Hier und Jetzt erlebt und dadurch wird, wie ein Augenzeuge berichtet, der Glaube unter den Teilnehmenden neu belebt: »… der Jesusknabe war in vieler Herzen vergessen. Da wurde er in ihnen mit Gottes Gnade durch seinen heiligen Diener Franziskus wieder erweckt und zu eifrigem Gedenken eingeprägt.« (1Celano 86, 8.) Der Sinn des Betens Durch diese Weihnachtsfeier wird der Sinn des Betens anschaulich deutlich. Beten bedeutet dann, das Handeln Gottes so zu vergegenwärtigen, dass er in der lebendigen Visualisierung seines Tuns erkannt werden kann und eine intensive Beziehung zwischen den Glaubenden und Gott erneuert wird. Mit der Verbreitung der auf Greccio zu- rückgehenden Krippentradition hat die franziskanische Spiritualität sicherlich dazu beigetragen, dass Weihnachten ein weltweites Fest geworden ist, das Gläubige, wie Nicht-Gläubige, Jahr für Jahr bewegt, und dass es zu den wohl emotionalsten Feiern des Jahres gehört. Auf der ganzen Welt werden Menschen in ihrer je eigenen Lebens- situation von dem weihnachtlichen Gottesereignis berührt. Das mag sich im oberflächlichen Konsumrausch verlie- ren, im einzigen Kirchgang des Jahres erschöpfen – oder auch ein Leben aus dem Glauben erneuern und vertiefen. In jedem Fall wird irgendwie die emo- tionale Seite des Lebens und das Herz gerührt. In keiner Zeit des Jahres sind TEXT: Johannes Baptist Freyer ofm | FOTOS : Augustinus Diekmann ofm | picture alliance/Catholic Press Photo/©Vatican Media/CPP/IPA Greccio – die Wiege der Weihnachtskrippe 6

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