Franziskaner Mission 3 | 2021

die Menschen so großzügig, spenden- freudig und um friedliche Beziehungen bemüht. Ein, wenn auch begrenztes, Spiegelbild von Gottes menschenfreund- lichem und freigebigem Handeln, das sich im Kind von Betlehem offenbart. Da findet, dem Einzelnen vielleicht nicht bewusst, Gebet statt, denn Gottes Initia­ tive der Geburt Jesu und die mensch- liche Erfahrung des Beschenktwerdens verändert, wenn auch vielleicht nur für einen kurzen Augenblick, die Welt. Sichtweisen ändern Das Gebet als Erfahrung des durch etwas Erhabeneres oder vom Göttlichen beschenkt zu werden, wird nicht nur im Leben des Heiligen aus Assisi oder in der von ihm zelebrierten Krippenfeier deut- lich. Das Gebet ist auch in allen Religio- nen bekannt als Ausdruck der Hinwen- dung des Menschen zur Gottheit. Im Gebet wird gewissermaßen die Gött- lichkeit mit dem menschlichen Leben verwoben. Je nach Lebenssituation wird diese Verflechtung von Göttlichem und Menschlichem durch Lobpreis, Klagen oder Bitten ausgedrückt. Das Leben wird vor Gott zur Sprache gebracht. Das heißt für den Menschen: so, wie er ist und wie ihm zumute ist, vor Gott zu stehen und mit ihm zu reden. Das kann befreiend wirken, denn es erlöst aus den doch oft engen Gren- zen der eigenen Sichtweise, hilft Ängste zu überwinden und Nöte zu bewältigen. Im Beten wird der Mensch aus seiner Fixierung auf die einzelnen Ereignisse seines Alltags befreit, indem er sich, seine Welt und die gesamte Wirklichkeit übersteigt und in einen größeren Hori- zont stellt. So kann das Gebet wiederum Freiraum schaffen und neue Möglich- keiten eröffnen, das Leben in seinen Herausforderungen, seinen Höhen und Tiefen zu gestalten. Durch das Beten gelingt es, die Erstarrung in sich selbst im Blick auf ein Du aufzubrechen und sich zu öffnen. Daher kann der betende Mensch seine Welt aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Er kann, wie Franziskus, alle Geschöpfe als von Gott geschenkte Schwestern und Brüder wahrnehmen und selbst zum fürsorgenden Nächsten werden. Auf diese Weise bewirkt das Beten eine neue Nähe zur Mitwelt, zu den Mitmenschen und zu Gott. Eine Nähe der gegenseitigen Annahme, Ehrfurcht, der Geborgenheit, des Ver- Papst Franziskus am Weihnachtsaltar in Greccio, Italien trauens und der Liebe. Mit einer solchen Erfahrung des Gebetes treten wir in den Bereich der Mystik ein. Mystik wird hier verstanden als die sich vertiefende, reifende Erfahrung der Lebensgemein- schaft mit Gott und allen Menschen und Geschöpfen. Das Gebet wird dann zum Einswerden in der liebenden Zu- sammengehörigkeit. Eine solche liebende Zusammen- gehörigkeit mit dem Kind in der Krippe zelebriert Franziskus in Greccio, seinem Betlehem. Die Sehnsucht nach dieser Zusammengehörigkeit ist es, die Weih- nachten zu einem der menschlichsten Feste werden lässt. Denn an Weihnach- ten feiern wir, dass Gott der Welt diese Zusammengehörigkeit schenkt. Dies zu feiern, heißt Beten. Der Autor Johannes Baptist Freyer gehört seit 1977 dem Franziskanerorden an. Momentan ist er Gastprofessor an der franziskanisch-theolo- gischen Fakultät der Universität von San Diego, Kalifornien/USA, sowie theologischer Referent von »Franziskaner Helfen« in Bad Godesberg. 7

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