Franziskaner Mission 3 | 2022

Der Autor Edward Lennon ist irischer Franzis- kaner, seit 2004 Pfarrer in Windhoek-Katutura und Koordinator der Kommission für Frieden und Gerechtigkeit der Bischofskonferenz Namibias und des franziskanischen Programms »Heilung von Erinnerungen«. Übersetzung aus dem Englischen: Heinrich Gockel ofm »Früh übt sich ...« – Friedensarbeit beginnt für Ida Hoffmann und Edward Lennon mit den Kleinen. Ida setzt sich leidenschaftlich für Ge- rechtigkeit und Versöhnung im Land ein. Als Delegationsmitglied der Nama- und Herero-Gemeinschaften war sie häu- fig in Deutschland zu Gast. Durch ihr Engagement konnten die von deutschen Truppen Ende des 19. Jahrhunderts erbeuteten Kulturgüter von nationaler Bedeutung – unter anderem Bibel und Gehstock von Hendrik Witbooi – aus deutschen Museen nach Namibia in einer feierlichen Zeremonie unter großer Anteilnahme der Bevölkerung zurückge- bracht werden. Hendrik Witbooi (circa 1830–1905) war Kaptein der Nama und kämpfte gegen die Deutschen, bis er sich 1894 unterwarf. Jede Geschichte zählt In unserem franziskanischen Programm »Heilung von Erinnerungen« ist jeder im Land eingeladen, seine Geschichte zu erzählen. Denn jede Geschichte ist wichtig. Besonders eingeladen sind ehemalige Soldaten der Befreiungsarmee Namibias, diejenigen, die als Spione für Südafrika beschuldigt wurden – und bis zu fünf Jahre oder länger in angolani- schen Gefängnissen landeten –, sowie Nachkommen der Herero, Nama und Deutschen, die den Krieg von 1904 bis 1908 miterlebt haben. Dieser Krieg war ein Genozid gegen Hereros und Namas auf Anordnung des damaligen Befehls- habers der deutschen Armee, Lothar von Trotha. Die Teilnehmerinnen und Teil- nehmer an unseren zweieinhalbtägigen Workshops werden ermutigt, in Klein- gruppen gegenseitig ihre Geschichten zu erzählen. Dabei hören und erleben sie mit den Augen und Ohren des je- weils anderen. Sie hören, was die ande- ren erlitten, was die einen den anderen angetan haben. Und sie suchen gemein- sam nach Versöhnung. Das sind dann kleine Schritte auf dem Weg zur Heilung und Aussöhnung. Die Heilung der schmerzlichen Erinne- rungen bedeutet nicht, die Vergangen- heit zu vergessen, sondern zu versuchen, einen Weg zu finden, dass die Erinnerun- Ida Hoffmann ist die gute Botschafterin unseres franziskanischen Versöhnung-Programms in Namibia. Sie hat wiederholt an unseren Workshops »Heilung von Erinnerungen« teilgenommen, die ihr sehr geholfen haben. Sie pflegt Kontakte zu Volksgruppen der Nama, Herero, zu Deutsch­ Namibiern, Mitgliedern der Swapo (South West Africa People's Organisation) und zur Regierung. »Land of the brave« Hoffnungsträger in Namibia gen nicht länger lähmen oder zerstören. Wir versuchen, zu bewahren, was Leben spendet, und das, was aus der Vergangen- heit zerstören will, zur Ruhe zu bringen. Tapfere Mutter Ida selbst hat ihre Geschichte zu erzäh- len: Ihr ältester Sohn wurde von seinen eigenen Kameraden der Spionage für Südafrika verdächtigt. Er wurde gefangen genommen, in einen Kerker im Nach­ barland Angola eingesperrt und kehrte nie wieder nach Namibia zurück. Einer seiner Mithäftlinge berichtete später, er sei von Wachsoldaten eines Tages aus dem Gefängnis geholt worden und nicht zu- rückgekommen. Er gilt nun als verstorben. Seine Familie wurde weder informiert, noch gibt es einen Hinweis auf sein Grab. Auch wegen ihrer persönlichen Geschichte setzt sich Ida seit Jahren für Gerechtigkeit gegenüber den Nachkom- men der Herero und Nama ein. Unser franziskanisches Programm bietet kleine Schritte zur Heilung von Erinnerungen und Versöhnung im Land. Dieser Prozess ist eine Reise, die Zeit braucht. TEXT: Edward Lennon ofm | FOTOS: FM-Archiv 20

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