Franziskaner - Herbst 2022

13 franziskaner 3|2022 hüten, »wegen der Sünde oder dem schlechten Beispiel eines anderen in Verwirrung oder Zorn zu geraten, denn der Teufel will durch die Sünde eines Einzelnen viele verderben. Vielmehr sollen sie, so gut sie können, dem, der gesündigt hat, geistlichen Beistand leisten; denn nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken.« Die Oberen, die Mächtigen: Sie sollen nicht herrschen, sondern dienen. Und noch eindrücklicher schreibt es Franziskuswohl einem Minister, der sich in seiner Leitungsnot an den Gründer gewandt hatte, und dann zur Antwort bekommt: »Und daran will ich erkennen, ob du denHerrn undmich, seinen und deinenKnecht, liebst, wenn du Folgendes tust, nämlich: Es darf keinen Bruder auf der Welt geben, mag er auch gesündigt haben, so viel er nur sündigen konnte, der deine Augen gesehen hat und dann von dir fortgehenmüsste ohne deinErbarmen, wenn er Erbarmen sucht. Und sollte er nicht Erbarmen suchen, dann frage du ihn, ob er Erbarmen will. Und würde er danach auch noch tausendmal vor deinen Augen sündigen, liebe ihn mehr als mich, damit du ihn zumHerrn ziehst. Und mit solchen habe immer Erbarmen.« Was von heutigerWarte aus vielleicht allzu sehr nach verklärten franziskanischen Gründungsidealen klingt, versuchen Konstitutionen und Statuten von Schwestern- und Brüdergemeinschaften in heutige Sprache und Praxis zu übersetzen. Für das Ordensleben ganz allgemein hat sich im Jahr 2008 die Ordenskongregation zu Wort gemeldet. In der Instruktion »Der Dienst der Autorität und der Gehorsam« heißt es im Abschnitt 12: »Die zum Dienst der Autorität bestellte Person muss wissen, dass sie diesen nur erfüllen kann, wenn sie sich selbst zuerst auf jene Pilgerschaft begibt, die zur ernsthaften und aufrichtigen Suche nach Gottes Willen führt. (…) Wer Autorität innehat, muss so handeln, dass die Mitbrüder oder Mitschwestern erkennen können, dass er, wenn er befiehlt, dies einzig tut, umGott zu gehorchen.« Damit wird der Ausübung einer falsch verstandenenMacht ein eindeutiger Riegel vorgeschoben. Die vatikanische Behörde unterstreicht, dass das Befehlen und das Gehorchen gegenseitig aufeinander verwiesen sind: »Im Bestreben, den Willen Gottes zu tun, sind Autorität und Gehorsam also keine voneinander verschiedenen oder gar entgegengesetzten Realitäten, sondern zwei Dimensionen einer Wirklichkeit, die im Evangelium fußt, ein und desselben christlichen Geheimnisses.« (ebenda, Nr. 12) Ein solches Konzept von Leitung und Macht klingt gut. Da ist Karrieredenken außen vor. Es geht nicht um herrschen und beherrschen, nicht um blinden Gehorsam oder eine willenlose Existenz, sondern um das Miteinander Hören auf das, was Gott in konkreten Situationen des Lebens von uns will – und was er von uns will zu unseremGlück, bei aller Unsicherheit, ob man den göttlichen Willen je erfassen kann. Und tatsächlich: Wenn ich auf mein Ordensleben zurückblicke, dann fallenmir viele Situationen ein, wo wir in Gemeinschaft um eine gute und vielleicht richtige Entscheidung miteinander gerungen haben. Das mag eine Weile gedauert haben, da mögen Lieblingsideen ordentlich abgeschliffen worden sein, aber am Ende steht nicht mehr nur ein Einzelmensch mit seiner Idee hinter einer Entscheidung, sondern eine Gemeinschaft mit ihrer ganzen Kraft. Was mit einem anfing, das ist unseres geworden. Und es hat die Chance, auch unseres zu bleiben, selbst wenn die damaligen Verantwortungsträger längst nicht mehr an der Macht sind. Freilich: Ein Konzept, das gut klingt und das hier und da funktioniert und vielleicht sogar Vorzeigecharakter hat, ist nicht automatisch ein Selbstläufer. Einfaches Beispiel: Die Amtszeiten von franziskanischen Hausoberen sind begrenzt. Vielleicht sind ein, zwei Wiederwahlen möglich, doch dann ist Schluss. Weil es aber in der Wirklichkeit eben Brüder gibt, die Hausobere sein »müssen«, und solche, die partout keine sein wollen oder können, wird ein Bruder eben im nächsten Kloster Guardian – und steht doch mitunter sein halbes Ordensleben lang an der Spitze. Also: Was heute gern der Kirche als Exportschlager des Ordenslebens verkauft wird – die Begrenzung von Amtszeiten –, muss nicht automatisch und überall funktionieren, und manchmal ist es auch frommer Etikettenschwindel. Vor wenigen Monaten hat Papst Franziskus – endlich und nach langem Drängen – die Hürden deutlich niedriger gesetzt: Laienbrüder, also Ordensmitglieder ohne Priesterweihe, können nun sehr viel einfacher zum Guardian Andreas Murk OFMConv (Mitte), Provinzial der Deutschen Provinz der Franziskaner-Minoriten und Vorsitzender der Deutschen Ordensoberenkonferenz, zusammen mit dem Provinzial der deutschen Kapuziner, Helmut Rakowski OFMCap (links), und dem ehemaligen Provinzial der deutschen Franziskaner, Cornelius Bohl OFM (rechts) © tobias rauser

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