Franziskaner - Herbst 2022

Geistlicher Machtmissbrauch ZumWesen der Geistlichen Begleitung Nach christlicher Überzeugung lebt in jedemMenschen eine Idee von Gott her, die diesen Menschen einmalig und unverwechselbar macht und ihn mit unantastbarer Würde ausstattet. Es ist der »göttliche Funken im Menschen« (Meister Eckhart), »die ihm innewohnende Gnade« (Wüstenväter), »der Geist Gottes« (Neues Testament), mit dem er in Taufe und Firmung bleibend begabt wird. Dieser Geist Gottes ist der eigentliche Geistliche Begleiter des Menschen. Er hilft demMenschen, seinwahres Selbst zu erkennen und in diesem Prozess über sich selbst hinauszuwachsen. Um in diesem Wachstumsprozess den Anruf Gottes zu erkennen und die Geister der unterschiedlichen Stimmen zu unterscheiden, ist es hilfreich, sich im Spiegel eines Geistlichen Begleiters zu vergewissern, ob der gewollte Weg der richtige ist und was sinnvolle Schritte sein können, dem Ruf Gottes zu folgen. Die wesentliche Aufgabe der Geistlichen Begleitung ist es, zuzuhören und im gemeinsamen Hören auf die Eingebungen des Geistes Gottes denWegsuchenden darin zu begleiten, die Kraft seiner Entwicklungsmöglichkeiten zu entdecken. Auf Dauer kann der Mensch nur wollen, was ihn echt macht und mit sich selbst identisch werden lässt. Deswegen darf die Geistliche Begleitung »gut-gläubig« sein. Das heißt, sie darf darauf vertrauen, dass Gottes Geist im suchenden Menschen wirkt, dass die »innere Gnade« das Ihre tut. Diese Reifung und Erkenntnis, auf dem richtigen Weg zu sein, verspürt der Mensch als »Tröstung« (Ignatius), als stille stärkende Kraft. Das, was von Gott kommt und sich zuinnerst mit den Talenten und Erfahrungen des Menschen verbindet, schafft im Menschen eine Kraft, die sich entfalten will. Es ist das Fundament, auf demdie Sehnsucht aufruht, sein Leben zu ordnen und in das »Mehr« des Lebens voranzuschreiten. Zuallererst ist für jede Geistliche Begleitung wichtig zu realisieren, dass wir nie einen direkten Zugang zu Gott haben. Deswegen sprach Karl Rahner von dem »Geheimnis, das wir Gott nennen«. Gott ist immer größer und anders, als wir denken und aussagen können. Der Mensch mag »Gott« ahnungsweise »als überwältigende Fülle, als sich entziehendes Geheimnis oder als forderndenWillen« (Bernhard Langemeyer) erleben. Und dennoch: Gott ist immer auch größer, tiefer, anders, als diese Annäherungsversuche nahelegen. machtmissbrauch Abgründe tun sich auf, wenn Geistliche Begleiter glauben und beanspruchen, anderenMenschen sagen zu können, was Gott von ihnen will. Deswegen ist Machtmissbrauch in der Geistlichen Begleitung alles, was die Autonomie des anderen, seine spirituelle und geistliche Entwicklung einschränkt. In der Clearing-Gruppe zum Geistlichen Machtmissbrauch, der ich imBistumOsnabrück angehöre und die der Aufarbeitung des Geistlichen Machtmissbrauchs dient, haben wir uns auf folgende Definition für unsere Arbeit verständigt: Geistlicher Machtmissbrauch besteht in »Handlungen, die als spirituelle Manipulation oder willensbeeinflussende Einflussnahme andereMenschen in ihrer Suche nach geistlicher Orientierung unterdrücken oder ausnutzen, um sie für eigene Zwecke oder Ziele gefügig oder empfänglich zu machen. Dabei werden religiöse Werte und Symbole, ethische Begriffe oder theologische Ansätze zur Untermauerung der eigenen Sichtweise oder eigenen Machtposition eingesetzt, entstellt, verurteilt, emotionale Abhängigkeiten geschaffen, Drucksituationen aufgebaut und damit direkt oder auch indirekt auf die freie Entscheidung des anderen oder dessen Lebensführung Einfluss genommen.« Da die begleitete Person »Gott« näherkommen möchte und ihr Leben mehr nach demWillen Gottes ausrichten möchte, ist es für die Geistlichen Begleiter wichtig, im Gespräch über »Gott« äußerst achtsam zu sein. begleitung durch den heiligen franziskus Zwei Beispiele aus der franziskanischen Tradition können diese Überlegungen erhellen: Franziskus ist mit seinem Bruder Leo unterwegs. AmEnde des Gesprächs sagt er ihm: »Alle Worte, die wir auf demWeg gesprochen haben, fasse ich kurz in dieses Wort und diesen Rat, und danach ist es nicht mehr Franz Richardt OFM 15 franziskaner 3|2022

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