Franziskaner - Herbst 2022

27 franziskaner 3|2022 Fratelli tutti Thomas Abrell OFM Über die weltweite Geschwisterlichkeit Enzyklika unter der Lupe © abaca – picture alliance.com In seiner Enzyklika über die »Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft« »entfaltet Papst Franziskus seinen Traum von einer neuen, geschwisterlichen Welt und erhebt damit die Vision einer Menscheitsfamilie zur offiziellen Lehre der Kirche« (Martina Kreidler- Kos). Thomas Abrell beleuchtet in dieser und den folgenden Ausgaben jeweils einen Aspekt dieses zukunftsfähigen Lehrschreibens. »Offen sein zur Welt« ist ein Ausdruck, den sich die Wirtschaft und die Finanzwelt zu eigen gemacht haben. Er bezieht sich ausschließlich auf die Öffnung gegenüber den ausländischen Interessen oder auf die Freiheit der Wirtschaftsmächte, ohneHindernisse und Schwierigkeiten in allen Ländern zu investieren. Die örtlichen Konflikte und das Desinteresse für das Allgemeinwohl werden von der globalenWirtschaft instrumentalisiert, um ein einziges kulturelles Modell durchzusetzen. Eine solche Kultur eint dieWelt, trennt aber dieMenschen und die Nationen. (Enzyklika »Fratelli tutti« 12) Verschiedene Ereignisse der vergangenen Jahre haben die problematischen Folgen, die mit der Globalisierung verbunden sein können, aufgezeigt. Ein havarierter Frachter imSuezkanal, geschlosseneHäfen inChina als Konsequenz einer Null-Covid-Politik, kriegs- und pandemiebedingte Unterbrechungen von Lieferketten in vielen Staaten haben dafür gesorgt, dass auch in Deutschland Regale leer blieben oder Produktionsbänder stillstanden. Internationale Handelsbeziehungen erzeugen Abhängigkeiten. In den letzten Jahren haben auch wir in Deutschland die Auswirkungen zu spüren bekommen. Meistens aber sind es die ärmeren Länder, die mit den Folgen dieser Art der wirtschaftlichen Globalisierung zu kämpfen haben. Freizügigkeit wird gefordert oder beschränkt, wenn es den Interessen der globalen Großkonzerne dient. Ressourcen werden ohne entsprechenden Ausgleich ausgebeutet. Die Volkswirtschaften im »globalen Süden« haben häufig keine Chance, sich so zu entwickeln, dass sie zu gleichwertigen Partnern werden können. Herrschaftsverhältnisse werden vielfach geschickt genutzt, um wirtschaftliche Interessen nicht zu gefährden. Alternative Modelle wie Kooperativen oder Genossenschaften können sich so kaum gegen weltweit operierende Konzerne behaupten. Die Kund:innen in Europa und den USA danken es mit Freude über niedrige Preise. Dabei ist das Verständnis von einer Menschheit als globale Gemeinschaft ein christlicher Ansatz. AlleMenschen als Geschwister in »Jesu Christo« zu verstehen, ist eine Kernaussage der Bibel. Paulus schreibt, dass es keine Juden und Griechenmehr gibt, keine Beschnittenen und Unbeschnittenen ..., alle sind eins in Christo (vgl. Brief an die Kolosser 3,11). Die Gemeinschaft der Christ:innen ist weltumspannend. Darin ist die Aufforderung enthalten, alle Menschen als gleichwertige und gleichberechtigte Partner:innen zu verstehen. Da kann es dann nicht mehr darum gehen, die Interessen der einen zulasten der anderen durchzusetzen. Übrigens: Die Kirche war sehr gut darin, ein europäisches Christentum in alle Länder der Welt zu exportieren. Nun müssenwir Europäer:innen feststellen, dass unsere Ideen nicht immer die Ideen der Welt sind. Es ist deshalb an der Zeit, dass das Zweite Vatikanische Konzil ernst genommen wird und Globalisierung nicht mit einer weltweiten Einheitskirche verwechselt, sondern als eine Kirche der vielfältigen Ortskirchen begriffen wird. Das heißt auch: Wir dürfen in Deutschland die überfälligen Schritte des Synodalen Weges gehen, allerdings ohne den Anspruch zu erheben, dass das in anderen Regionen der Welt auch genauso gesehen werden muss. Die Blockade des Suezkanals hat für die Weltwirtschaft Verluste von insgesamt ca. zehn Milliarden US-Dollar nach sich gezogen. Sieben Tage steckte die »Ever Given« im Nadelöhr fest, das den asiatischen und europäischen Markt miteinander verbindet.

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