Franziskaner - Herbst 2022

© zinkevych – stock.adobe.com Geistlicher Wegbegleiter – Dezember 2022 Am Sabbat lehrte Jesus in einer Synagoge. Und siehe, da war eine Frau, die seit achtzehn Jahren krank war, weil sie von einem Geist geplagt wurde; sie war ganz verkrümmt und konnte nicht mehr aufrecht gehen. Als Jesus sie sah, rief er sie zu sich und sagte: Frau, du bist von deinem Leiden erlöst. Und er legte ihr die Hände auf. Im gleichen Augenblick richtete sie sich auf und pries Gott. (…) Die Situation Achtzehn Jahre! Nach heutigem Empfinden eine Zeitspanne von der Geburt bis zur Volljährigkeit – eine lange Zeit! Jesus sieht diese Frau, und durch zwei Gesten heilt er sie: zunächst mit Worten, die er zu ihr spricht: »Du bist von deinem Leiden erlöst!« – und danach durch Handauflegung. Jesus heilt – in einer Synagoge, am Sabbat. Er hätte sich denken können, dass diese »gute Tat« nicht ohne Reaktionen bleiben würde. Doch war die Heilung aus seiner Sicht notwendiger als das Einhalten der Traditionen und des Rechts. Der Widerstand des Synagogenvorstehers blieb nicht aus. Doch Jesus entlarvt die Heuchelei seiner Gegner: Sollte das Lösen einer »Fessel« nicht erlaubt sein, wenn selbst Ochs und Esel zur Tränke geführt werden? Die Augen zum Boden Ein verkrümmter Rücken tut weh. Welche Krankheit sich auch dahinter verbirgt, sie ist mühsam und schränkt das Leben ein. Ein verkrümmter Rücken erlaubt es einem Menschen nicht, den Kopf zu heben und dem anderen in die Augen zu blicken. Ein verkrümmter Rücken verhindert, aufrecht im Leben zu stehen. So bleibt der Kopf der Erde zugeneigt, und die Augen sehen nur den Boden. Es ist nicht nur eine Beschränkung des Blickfeldes, dem Menschen – hier der Frau – fehlt es an der Möglichkeit weit zu sehen und an der menschlichen Qualität des aufrechten Gangs. Viele Menschen ihrer Stadt kennen die Frau nur so: der Rücken gerundet, der Kopf auf den Boden geheftet. Es muss ein erstaunter Blick und Ausruf gewesen sein, als die Frau aufgerichtet ihren Tätigkeiten nachging. Die Frau mit dem verkrümmten Rücken Lukas 13,10–17 Was mir entgegenkommt Das kenne ich doch: den Kopf hängen lassen. Dazu gibt es doch genug Anlässe. Angesichts der vielen Krisen unserer Tage könnten wir den Kopf in den Sand stecken: Klimakrise. Ukrainekrise, Hungerkrise. Energiekrise – von den persönlichen Dingen gar nicht zu sprechen. Da kommt mir der Kyrie-Ruf in den Sinn: »Meine ganze Ohnmacht, was mich beugt und lähmt, bringe ich vor dich …« So gehen wir gebeugt durch das Leben, und unser Blick ist gehalten. In einer solchen Situation wünsche ich mir, dass uns Jesus anspricht und seine Hände auflegt – eine uralte, kraftvolle Geste, die in unseren Tagen fast nicht mehr überliefert ist. Jesus befreit uns aus unserer Gebundenheit, indem er seine Hände auflegt. Damit zeigt er sein Mitgefühl und macht deutlich, dass eine heilende Kraft von ihm ausgeht, die göttlich sein muss. Für diese Geste bin ich offen.

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