Franziskaner Mission 1 | 2020

TEXT UND FOTO: Edward Lennon ofm Das Regime der burischen Nationalen Partei Südafrikas hatte 1948 die Rassentrennung, die Apartheid, eingeführt. Sie bestand in Südafrika und Namibia bis Ende 1994. Noch heute leiden Menschen unter den Folgen dieses Systems. Pater Michael Lapsley, anglikanischer Ordenspriester aus Kapstadt, war vom Friedenszentrum in Namibia eingeladen worden, um einen Workshop zur Hei- lung von Erinnerungen durchzuführen. Es sollten die Folgen von Gewalt – erlit- ten in der Zeit der Apartheid – auf prak- tische und nachhaltige Weise angegan- gen werden. Unter den Teilnehmenden waren ehemalige Aktive des bewaff- neten Flügels der namibischen Befrei- ungsbewegung, ehemalige Kämpfer der südwestafrikanischen Territorialtruppe, die auf der Seite der südafrikanischen Regierung standen, und einige Freiwil- lige, die Namibia verlassen hatten, um sich dem Befreiungskampf anzuschlie- ßen. Diese Befreiungskämpfer waren damals beschuldigt worden, für die süd- afrikanische Regierung zu spionieren, und waren deswegen im benachbarten Angola inhaftiert. Auch gab es unter den Teilnehmenden einige junge Leute, die als »frei geboren« bezeichnet wer- den, da sie nach der Unabhängigkeit geboren wurden. Schließlich waren da noch eine deutsche Ärztin, Mitarbeiterin im Friedenszentrum, und ich selbst. Für mich war es ein privilegierter Moment. Prozess der Heilung Zum Moderatoren-Team gehörten neben Pater Michael eine Loreto- Ordensschwester und ein junger Mann aus Kapstadt. Zunächst begann Pater Michael mit seiner Geschichte: Er wurde in Neuseeland geboren; schloss sich einem Orden innerhalb der anglika- nischen Kirche an; kam in den frühen 1970er-Jahren nach Südafrika; lebte in Kapstadt und studierte an der dortigen Universität; trat dem Afrikanischen Nationalkongress bei und wurde nach einigen Jahren ausgewiesen. Er ging Heilung von Erinnerungen Franziskanisches Friedenszentrum in Namibia zuerst nach Lesotho und später nach Simbabwe. In Harare wurde er Pfarrer einer Stadtgemeinde. Am 28. April 1990 wurden ihm zwei Pakete mit religiösen Zeitschriften aus Südafrika zugeschickt. Er öffnete eines der Pakete: Es enthielt eine Bombe, die explo- dierte. Er verlor beide Hände, ein Auge und sein Trommelfell war betroffen. 18 Monate verbrachte er in verschie- denen Krankenhäusern. Jetzt reist er ohne Hände, nur mit einem Auge und vermindertem Gehör. Er gründete das Institut zur Heilung von Erinnerungen, um zur Heilung von Einzelnen, Gemein- schaften und Nationen beizutragen. Nach dem Workshop sprach ich mit Pater Michael, erklärte kurz die Situ- ation in unserer Gemeinde und fragte ihn, ob er bereit sei, diesen Workshop einer Gruppe von Gemeindemitglie- dern anzubieten. Er war bereit, es zu versuchen. Ein Lichtspalt Wir begannen an einem Freitagabend. Pater Michael betonte uns allen gegen- über, dass er uns einlade, einen kleinen Schritt vorwärts zu gehen, nur einen Schritt. Die Erfahrung am Wochen- ende war gut: Wir haben miteinander gesprochen und einander zugehört. Für einige war es das erste Mal, dass sie die Gelegenheit hatten zu sprechen, für andere war es das erste Mal, dass sie Geschichten hörten, die nicht ihre eige- nen waren. Viele Teilnehmenden spra- chen über Ereignisse in ihrem Leben, die bis in ihre Kindheit zurückreichten, viele verwandte Ereignisse, die vor den Umwälzungen in der Gemeinde statt- gefunden hatten, und andere sprachen über die Ereignisse in der Gemeinde. Einige vertraten entgegengesetzte Ansichten: Ihre Erinnerungen und Darstellungen von Ereignissen waren sehr unterschiedlich. Einige bestanden darauf, dass ihre Schilderungen der Wahrheit entsprechen. Meine Fragen nachher: Hat sich die Übung gelohnt? Wurden Spaltungen überwunden? Hat echte Versöhnung stattgefunden? Haben die Menschen einen gewissen Grad an Heilung erfahren? Ich war überzeugt: Ein gewisser Grad an Heilung wurde von vielen Teil- nehmenden erfahren. Die Spaltungen sind zwar nicht überwunden, aber es gibt einen Lichtspalt, der vorher nicht da war. Die Übung hat sich gelohnt: Ein kleiner Schritt wurde getan. Wir haben die Reise in Richtung Heilung begonnen. Wir wissen, dass es eine lange Reise ist und dass es für uns alle kein Zurück gibt. Der Autor Edward »Teddy« Lennon ist irischer Franziskaner. Er war viele Jahre in Süd- afrika in der Pfarrseelsorge tätig und leitet seit einigen Jahren in Namibia die Katholische Pfarrei in Katutura, einem Township von Windhoek. Übersetzung aus dem Englischen: Heinrich Gockel ofm Workshop im Franziskanischen Friedenszentrum in Namibia 31

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