Franziskaner Mission 3 | 2021

Kenia beizulegen. Nach dem Völkermord in Ruanda wurde unsere Stadt Arusha Sitz des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda. Daraufhin nannte US- Präsident Bill Clinton Arusha das »Genf Afrikas«. Frieden und Stabilität im Land lassen sich auf den Regierungsstil zurückführen. Darum haben sich verantwortliche Politiker seit der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1961 immer wieder be- müht. Der Führungsstil der Präsidenten war jedoch so unterschiedlich wie ihre jeweilige Persönlichkeit und reichte von Laissez-faire bis zum strengsten Autoritarismus. Bemerkenswert ist: Das Land blieb, unabhängig vom Führungsstil des jeweiligen Präsi- denten, stets relativ friedlich. Um des Friedens willen Wenn Korruption sich ausbreitet, leidet das Volk und erträgt dies um des Friedens willen. Wenn Men- schen ins Gefängnis kommen, weil sie ihre Meinung gegenüber Unternehmern geäußert haben, sehen die anderen um des Friedens willen schweigend zu. Wenn Menschen vermisst oder brutal aus politischen Gründen angegriffen werden, wird die Gewalt um des Friedens willen nicht gesehen. Wenn kritischen Medien ein Maulkorb angelegt wird, berichten die übrigen Journalisten, um Frieden zu bewahren, auf freundlichere Weise. Wenn Oppo- sitionsparteien eine Kundgebung planen, wird um des Friedens willen dieses Vorhaben von Anfang an unterdrückt. Wenn politische Prozesse, wie die Ent- wicklung hin zu einer neuen Verfassung, auf halbem Weg blockiert werden, dann herrscht Schweigen, um Frieden zu bewahren. Wenn Menschen entschlossen nach dem Willen des verantwortlichen Politikers handeln, selbst wenn dies ihrer eigenen Überzeugung oder ihrem Gewissen widerspricht, dann muss Frieden neu definiert werden. Zum Beispiel versuchte Präsident John P. J. Magufuli (2015–2021) die Menschen zu überzeu- gen, COVID-19 sei eine Krankheit wie jede andere. Er fand sofort Zustimmung von seiner Regierung, den Medien, der Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Nach seinem Tod († 17.3.2021) machte jedoch seine Nachfolgerin, Vizepräsidentin Samia Suluhu Hassan, eine Kehrtwende und überzeugte das Land vom Gegenteil. Sie erhielt ebenfalls Unterstützung wie ihr Vorgänger. Menschen in Tansania sind offenbar sehr flexibel: Sie zeichnen sich durch eine Kultur des Schweigens, ja eine Kunst des Schwei- gens aus. Hinsichtlich des verbreiteten Schweigens zu COVID-19 schrieb der Journalist Khalifa Said im letzten Jahr einen Artikel über die Bedeutungslo- sigkeit von Nichtregierungsorganisationen (NGO) im Land: »The Irrelevance of NGOs in Tansania«. Dieser Zeitungsbericht entspricht voll und ganz dem Buch von Issa Shivji von 2007: »Silences in NGO Discourse: The Role and Future of NGOs in Africa« (Schweigen der NGOs: Rolle und Zukunft von NGOs in Afrika). Schweigen und Gewaltlosigkeit Schweigen herrscht nicht nur im politischen Be- reich, sondern oft auch in zwischenmenschlichen Beziehungen und innerhalb der Familie: Schweigen über sexuelle Gewalt, über Tötungen unschuldiger Kinder, älterer Frauen, Menschen mit Albinismus oder durch Organraub. All das ist nicht zu akzep­ tieren. Als Gründe für Schweigen und Gewaltlosig- keit wird Autoritarismus genannt und der Glaube, dass Autoritätspersonen immer Recht haben. Auch weit verbreitete Armut ist ein Grund. Wenn zum Beispiel öffentliche Kritik dazu führt, seinen Job zu riskieren, entscheidet man sich besser, still zu leiden, da möglicherweise ein anderer Job aussichtslos ist. Normalerweise hat jeder in Tansania und Afrika zahlreiche Angehörige, die ebenfalls leiden müssten, wenn ein Verwandter seinen Arbeitsplatz verliert. Außerdem gibt es intellektuelle Unaufrichtigkeit, die Menschen dazu bringt, für das zu kämpfen, woran sie nicht glauben. Augenblicklich ist es Mode, alles Unangenehme dem Willen Gottes zuzuschreiben. Auch Egoismus und Glaube an Hexerei bedrohen den anhaltenden Frieden im Land. Friedensförderung und Gewaltfreiheit ist eine Kunst. Je früher wir diese Kunst lernen, desto besser. Wir können dies durch politische und all- gemeine Bildung erreichen, indem wir von Ikonen des Friedens wie Mahatma Gandhi aus Indien, Nelson Mandela aus Südafrika und Franziskus von Assisi aus Italien lernen. Der Autor Dr. George Mutalemwa ist Dozent an der St. Augustine-Universität in Mwanza, Tansania, und Koor- dinator des dortigen Projekts für Afrika-Friedensstudien. Übersetzung aus dem Englischen: Heinrich Gockel ofm Die Präsidentin von Tansania, Samia Suluhu Hassan (li.), wird im Regierungssitz gegen COVID-19 geimpft. Mit einem Impfstart im Regierungssitz in der Hauptstadt Daressalam hat Tansania als einer der letzten Staaten auf dem Kontinent eine landesweite Corona-Impfaktion durchgeführt. Sie besiegelt nach dem umstrittenen Krisenmanagement des gestorbenen Ex-Präsidenten John Magufuli eine durch seine Nachfolgerin Samia Suluhu Hassan angekündigte Kehrtwende in der Corona-Politik. 31

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