Franziskaner Mission 3 | 2021

Der Autor Niklaus Kuster ist Mitglied der Schweizer Kapuziner­ provinz. Er lehrt Spiritualität an der Universität Freiburg (Schweiz), Kirchengeschichte am Religionspädagogischen Institut der Uni- versität Luzern sowie Spiritualitätsgeschichte und Franziskanische Theologie an den Ordensschulen in Münster und Madrid. Dieser Beitrag erschien zum ersten Mal im franziskanischen Magazin ITE 3|2014. Falls Sie das Magazin beziehen möchten, wenden Sie sich bitte an ite@kapuziner.org Erzählerin: »Franziskus ruft eines Tages bei der Portiuncula Bruder Leo.« Franz: »Leo, mein Bruder, kannst Du mir etwas aufschreiben?« Leo: (setzt sich und nimmt Pergament und Feder zur Hand) »Ich höre und bin bereit!« Franz: »Schreibe, worin die wahre Freude liegt.« (geht nachdenklich umher und diktiert langsam) »Es kommt ein Bote aus Frankreich und sagt, dass alle Universitätsgelehrten von Paris in unsere Gemeinschaft eingetreten sind. Schreibe: Darin liegt nicht die wahre Freude!« Leo: (schreibt getreulich mit) Franz: »Ebenso, dass alle Prälaten jenseits der Alpen, die Bischöfe und Erzbischöfe in Frankreich und Deutschland sich uns anschließen! Ebenso der König von Frankreich und der König von England.« Leo: (wiederholt die letzten Worte und kommentiert dazu) »Alles, was Rang und Namen hat in Staat und Kirche.« Franz: »Schreibe: Es wäre nicht die wahre Freude! Ebenso, dass unsere Brüder zu den Ungläubigen gegangen sind und sie alle für Christus gewonnen haben.« Leo: (kommentiert dazu hoffnungsvoll) »Es wäre das Ende aller Kreuzzüge und Religionskriege!« Franz: »Und dass Gott mich so sehr beschenkt, dass ich Kranke heile und Wunder wirke. Ich sage, dass in all dem nicht die wahre Freude ist!« Leo: (legt die Feder hin) »Sag doch, Franziskus, was denn die wahre Freude ist!« Franz: »Wir kehren zu Fuß von Perugia zurück und kommen in tiefer Nacht erschöpft hierher, zur Winterzeit, schmutzig, mit gefrorener Kutte und müssen in Schmutz, Kälte und Eis lange an der Pforte klopfen, bis ein Bruder kommt.« (Leo tritt zum Gefährten. Beide schlottern vor Kälte. Franziskus klopft mehrmals erfolglos an der Pforte. Leo klopft energischer.) Pförtner: (erscheint mürrisch) »Was wollt ihr so spät abends? Wer seid ihr?« Franz: »Unser Bruder Leo und ich, Bruder Franziskus.« Pförtner: »Na dann bleibt, wo ihr seid! Hau ab, Francesco, Simple und Ungebildete brauchen wir nicht! Wir sind so zahlreich und es geht nun ohne dich.« (Er schlägt die Türe zu. Die beiden Brüder schauen sich an und klopfen noch einmal. Der Pförtner noch unfreundlicher.) Pförtner: »Ein Dach findet ihr im Hospital der Kreuzträger!« (Er schlägt die Türe definitiv zu und wendet sich ab.) Franz: (legt Leo die Hand auf die Schulter) »Ich sage dir, wenn ich meine Geduld nicht verliere und nicht aggressiv werde, liegt darin wahre Freude. Die Kraft des Geistes und das Heil der Seele.« Erzählerin: »Franziskus wünscht sich nicht demütige Lämmer! Ebenso wenig tragen aggressiv gereizte Reaktionen zum Frieden bei: ›Ich sage dir, wenn ich meinen inneren Frieden nicht verliere, liegt darin wahre Freude!‹« Der größte Erfolg eines Menschen ist es, handlungs- fähig zu bleiben, aus innerstem Frieden. Sich nicht bestimmen lassen, nicht steuern und besiegen vom Verhalten anderer. Sich nicht hinreißen zu lassen zu unguten Reaktionen. Denn nur unerschütterlich im in- neren Frieden bleiben Menschen handlungsfähig. Nur so können sie frei, aufrecht und befreiend reagieren. So hat es Jesus getan, von der Krippe bis ans Kreuz.

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