Franziskaner Mission 1 | 2022

In Bolivien gab es Anfang der 1970er Jahre eine Masernepidemie. Durch den Einsatz der Franziskanerinnen starb in Yaguarú und Ascensión de Guarayos kein einziges Kind. Im Dorf Urubichá jedoch starben 70 Kinder an Masern! »Jetzt leben sie!« Einsatz für Kinder in Bolivien TEXT: Pia Wohlgemuth und Verena Riepler htsf | FOTO: Dr. Ute Glock Als die Oberin Elisabeth Santer das sah, erteilte sie Ordensschwester Verena Riepler 1974 die Erlaubnis, in die Mission nach Bolivien zu gehen. Schwester Verenas Einsatz begann gleich darauf in Urubichá, wo sie als gelernte OP- Schwester die Kranken versorgte. Verena Riepler baute eine Ge- sundheitsstation auf. Sie schreckte auch vor Zahnbehandlungen und kleineren Operationen nicht zurück. Ihrem Enga- gement und Können ist es zu verdanken, dass die Kindersterblichkeit auf fast null sank und dass sich das Durchschnitts­ alter der Bevölkerung insgesamt erhöhte. Schwester Verena arbeitete drei Tage wöchentlich im Hospital von Ascensión und betreute an den anderen Tagen die Gesundheitsstation in Urubichá. Zu- sätzlich besuchte sie die kleine Siedlung Misión Monseñor Salvatierra der indige- nen Sirionós regelmäßig, um auch dort die Kranken zu betreuen. Das bedeutete: zweimal 20 Kilometer durch den Urwald auf einem Pferd oder in der Regenzeit auch oft zu Fuß. Als Schwester Verena in Urubichá begann, stieß sie zunächst auf Ableh- nung, denn die Menschen dort vertrau- ten dem Können ihrer einheimischen Heiler mehr als ihr. Erst als sie einem Jungen, der von einem »Zauberer« ver- geblich behandelt wurde, helfen konnte, war das Eis gebrochen und sie war als die medizinische Autorität anerkannt. Schwester Verena erinnert sich in einem Brief an uns folgendermaßen: Heute möchte ich Ihnen erzählen, wie es angefangen hat. Ja, am 10. Jänner 1974 kam ich in Bolivien an. Endlich! Es war ein wunderbares Gefühl. Mein Einsatzort war Urubichá im tropischen Tiefland. Ich war die erste Krankenschwester, die man jemals dort sah. Die Kranken brachten sie mir nicht, sie glaubten an ihre Zauberer. Diese Frau mit dem kleinen Kind hat mir sicher der liebe Gott geschickt. Sie kam und sagte, ihr Kind habe so Durchfall. Zuerst schaute ich in den Hals. Da sagte die Mutter: "Er hat doch Durchfall!" Mit dem Spatel drückte ich etwas die Zunge hinunter und ich sah, dass sich etwas bewegte. Noch einmal drückte ich auf die Zunge und das Kind spie einen langen Wurm aus. Der fiel zu Boden und bewegte sich dort. Ich gab der Mutter eine Medizin, die sie dem Kind gab, und später sagte sie mir, dass das Kind noch viele Parasiten mit dem Stuhl ausgeschieden hat. Das alles erzählte sie im Dorf und da kamen dann immer mehr Patienten zu mir. Gott sei Dank – und ich konnte ihnen helfen. Auch um die Neugeborenen machte ich mir Sorgen. Wenn ich fragte, wo es sei, kam oft die Antwort, dass es gestorben sei. Manchmal brachte man mir ein Neugeborenes und ich sah, wie es krampfte. Die Nabelschnur war schmutzig. "Wer hat die Nabelschnur abgetrennt?", fragte ich und die Frau antwortete: "Mein Mann mit dem Buschmesser." Scheren gab es keine. Das Kleine starb an Tetanus. Da fing ich an, die werdenden Mütter zu rufen und ihnen zu sagen, wenn sie nicht zu mir kommen können, sollen sie sich eine Schere ausleihen, sie in Alkohol legen und mit der dann die Nabelschnur abtrennen. Die Sterblichkeit ging dann zurück. Eine Mutter sagte mir einmal: "Bevor du kamst, sind alle meine Kinder gestorben – jetzt leben sie!" Die Autorin Pia Wohlgemuth ist Mitarbeiterin der Franziskaner Mission München. Verena Riepler (geb. 1942) ist Tertiarschwester des heiligen Franziskus und wirkt bis heute als Missionarin in Bolivien. 25

RkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=