Franziskaner - Frühling 2023

13 FRANZISKANER 1|2023 In Form leben Franziskus verbindet Freiheit mit Regeln »Bist du wieder in Form?« Die Frage richtet sich häufig an Menschen, die durch Krankheit, Burn-out oder Unfall eine Zeit lang ausgeschaltet waren. Hundertjährige und Extremsportlerinnen werden gefragt, was sie derart in Form bringt und in Form hält, dass sie Außergewöhnliches erreichen. Ihre Rezepte enthalten unterschiedliche Zutaten: eine ausgewogene Ernährung, Bewegung, genügend Schlaf, Disziplin, Training, Willensstärke. Extremsportler nennen auch Meditation und Auszeiten als Mittel, die eigenen Ressourcen zu erneuern. Was lässt mich »in Form sein« und bleiben? Kenne ich in meinem Leben Regeln, Rhythmen und Grundsätze, die mir dazu verhelfen? Benedikts Regel Dass Seele und Körper vielschichtig zusammenspielen, wussten auch die Wüstenväter und Wüstenmütter der frühen Kirche. Ihre Weisheitsworte enthalten Erfahrungswerte, die das Leben innerlich wie äußerlich gelingen lassen. Benedikt von Nursia sammelte solche und verband sie mit Erfahrungen religiöser Gemeinschaften, die sich durch achtsame Lebensgestaltung auszeichneten. Seine Klosterregel aus dem 6. Jahrhundert stellt eine derart gelungene Synthese dar, dass sie bis heute weltweit für ein spirituelles und gemeinschaftliches »Leben in Form« genutzt wird. Anselm Grün interpretiert Weisheiten aus der Benediktsregel auch für Manager, ihre persönliche Lebensgestaltung und ihren Einsatz für ein menschlich gutes Klima in Unternehmen. Absage an Regelwerke Als Franz mit seinen ersten Gefährten in Rom eintraf, um ihre neue Lebensform dem Papst darzulegen, suchte der zuständige Kardinal Johannes ihnen die Benediktsregel nahezulegen. Sie hatte in der lateinischen Kirche inzwischen zusammen mit der Augustinusregel, nach Niklaus Kuster OFMCap Auch für diese geistliche Not hat Franziskus ein Einsehen. Resümee: »Die Not hat kein Gebot«, heißt es in der Nicht-­ bullierten Regel (NbR 9,20). Dazu kommt: Die Gemeinschaft findet Stärkung darin, wenn die Brüder einander ihre Not offenbaren. Diese Rücksicht auf Notlagen ist für mich kein Plädoyer für Individualismus in seiner negativen Ausprägung, etwa in dem Sinn, die Plattform und die Vorteile der Gemeinschaft zu nutzen, aber ansonsten zu machen, was mir gefällt … Franz Richardt OFM, Ohrbeck der sich aktive Priester- und Hospitalgemeinschaften zu richten hatten, Monopolcharakter erlangt. Franz stellte sich jedoch quer und errang den Segen des Papstes für eine Lebensform, die einzig das Evangelium als Grundlage und Inspirationsquelle akzeptierte. Zwei Jahre später spiegelt die »Lebensform« für San Damiano dieselbe Freiheit mit Blick auf eine Schwesterngemeinschaft. Beziehungen statt Normen In der forma vivendi für Klara von Assisis Schwestern drückt Franz das Entscheidende in lauter Beziehungen aus. »Von Gottes Geistkraft inspiriert habt ihr euch zu Töchtern des himmlischen Vaters gemacht, dem ihr innig verbunden wie Maria dient«: Die erste Beziehung spricht von freien Töchtern eines Vaters, der alle Menschen geschwisterlich verbindet, und keine irdische Autorität darf diese Freiheit und Verbundenheit durchbrechen. »Ihr habt euch mit dem Heiligen Geist liebend verbunden und entschlossen, das Evangelium so beherzt wie die Apostel zu leben«, die Jesus folgten! »Deshalb versprechen wir Brüder euch Schwestern liebevoll verbunden zu sein und euch sorgsam zu unterstützen.« Franz nennt in 44 Wörtern – im Lateinischen ist es ein einziger Satz – die tragenden Beziehungen, göttliche wie menschliche, sowie die entscheidende Orientierung am Evangelium und an der Lebensweise Jesu. Schritte zur Brüderregel Sowohl Franz wie Klara machten in den folgenden Jahren die Erfahrung, dass eine wachsende Gemeinschaft konkretere Regeln benötigt. Beide weisen jedoch klassische Modelle wie die Benediktsregel

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