Franziskaner - Frühling 2023

23 FRANZISKANER 1|2023 der vielleicht schon 500 weitere Akten auf seinem Schreibtisch liegen hat. Dann kann die Akte dort schon mal zwei oder drei Monate unbearbeitet liegen. Und wenn das ganze Verfahren dann noch bei Gericht landet … Es gibt halt auch in den Verwaltungen eine chronische Unterbesetzung, weil vielfach auch die Stellen wegen mangelnder Bewerber:innen nicht besetzt werden können. Von einem bewussten Verschleppen würde ich in der Regel nicht sprechen, es gibt aber natürlich auch schwarze Schafe, die Fälle liegen lassen oder negativ bescheiden. Doch in der Regel erlebe ich dies nicht, sondern das ganze langwierige Verfahren ist leider Ergebnis einer Systemlogik im ausländerrechtlichen Bereich, die sich schwer durchbrechen lässt. Was müsste wie und vom wem geschehen, damit eine humanitäre und rechtskonforme Praxis beim Familiennachzug von Geflüchteten wirklich Realität wird? Ich fange mal bei der gesetzlichen Ebene an: Aus Sicht des Caritasverbandes ist das Familienleben ein so hohes Gut, dass es für alle in Deutschland lebenden Personen den Anspruch geben sollte, ihre Familie nachziehen zu lassen. Das gilt unabhängig davon, ob jemand den Unterhalt aller Familienmitglieder sichern kann. Dies sollte nicht nur für Flüchtlinge gelten, sondern auch für Menschen, die aus anderen Gründen nach Deutschland gezogen sind. Dass Geschwister zur Familie gehören, ist dabei für uns selbstverständlich. Dass es zwischen Geschwistern nicht immer super läuft, wissen wir alle, sie sind für Minderjährige wesentliche Bezugspersonen und für eine gute Integration wichtig. Ganz abgesehen davon, dass Eltern sich sonst aufteilen müssten und die Familie nicht zusammenleben kann. Und natürlich muss das Verfahren deutlich beschleunigt werden. Die Einbindung internationaler Akteure wie des UNHCR und die Digitalisierung sind dafür gute Wege. Dass der deutsche Staat ein hohes Interesse hat, die Identität von Personen zu kennen, die einreisen, ist verständlich. Dazu braucht es die Abnahme biometrischer Daten, die Feststellung der Fingerabdrücke und Ähnliches. Aber alles, was noch drum herum an Dokumenten vorgelegt werden muss, könnte wie bei anderen EU-Ländern auch, deutlich reduziert und damit schneller gestaltet werden. Und es braucht im Hinblick auf die Dokumentenanforderungen auch einen realistischen Blick dafür, was von einer Person vor Ort überhaupt zu beschaffen ist und was sie durch den Versuch, bestimmte Dokumente zu beschaffen, in große Gefahr bringt. Für die Schutzsuchenden und ihre Familien ist die Kommunikation im ganzen Verfahren sehr wichtig. Diese läuft meist auf Deutsch, und zwar in einem formalen Beamtendeutsch. Das verstehen oft selbst die in Deutschland lebenden Familienangehörigen nicht wirklich, und unsere Beraterinnen und Berater müssen häufig jeden Schritt der Behörden und jedes Schreiben erklären, zusätzlich zu Es ginge schneller und besser Unbegleitete minderjährige Geflüchtete landen am 20. April 2020 in Hannover, nachdem sie aus überfüllten griechischen Lagern ausgeflogen wurden. Allein im ersten Halbjahr 2022 stellten 2.597 unbegleitete minderjährige Geflüchtete einen Asylantrag in Deutschland. Nun hoffen sie auf den baldigen Nachzug ihrer Familien. © HAUKE-CHRISTIAN DITTRICH – PICTURE-ALLIANCE.COM

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