Franziskaner - Frühling 2023

24 FRANZISKANER 1|2023 deren Familien, muss in der Breite noch einsickern. Bei den Fachkräften wird weiterhin oft vergessen, dass die Möglichkeit des Familienlebens ein relevanter Aspekt ist, will man Fachkräfte auf Dauer gewinnen. Auch bei Schutzsuchenden muss sich beim Familiennachzug noch einiges tun. Wir müssen in Deutschland realisieren, dass ein großer Teil der Geflüchteten auf Dauer hierbleiben wird. Das sehen wir bei Syrer:innen. Bei Menschen aus Ostafrika oder Afghanistan wird es nicht anders sein. Viele werden eingebürgert werden, Familien gründen, hier arbeiten, ihre Kinder werden zur Schule gehen. Sie brauchen hier eine Lebensperspektive. Dies liegt auch ganz eindeutig im Interesse der deutschen Aufnahmegesellschaft – und zwar nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen in einer überalterten Gesellschaft. Personen, die ihre Familien hier haben, sind häufig emotional wesentlich stabiler, können sich besser darauf einlassen, die deutsche Sprache zu lernen, und können einfacher Netzwerke an ihrem Lebensort aufbauen. Was erhoffen Sie sich von Kirchen und zivilgesellschaftlichen Organisationen und Verbänden? Die Wohlfahrtsverbände sind, so glaube ich, im Bereich Migration auch politisch gut aufgestellt und erreichen mit ihren Positionen, die aus der täglichen Arbeit mit Geflüchteten gespeist sind, auch die Politik. Von den Kirchen, speziell auch den Kirchengemeinden und den zivilgesellschaftlichen Gruppen im ganzen Land, wünsche ich mir, dass es uns gemeinsam gelingt, die Aufnahmebereitschaft in der Gesellschaft hoch zu halten, Geflüchtete und ihre Familien in den Kommunen willkommen zu heißen und bei der Integration in die Gesellschaft zu unterstützen. Wir müssen dieses Narrativ der Belastung durch die Aufnahme von Geflüchteten allgemein und beim Familiennachzug im Besonderen widerlegen, die Geschichte von der Willkommenskultur vorleben und in den Köpfen verankern. Unsere Gesellschaft gewinnt durch die Menschen, die zu uns kommen, wenn wir uns kümmern. Dies können auch Gruppen und Kirchengemeinden beispielsweise den lokalen Bundestagsabgeordneten vermitteln, indem sie ihnen schreiben oder sie bei Sprechstunden besuchen. Durch solche Initiativen kann man bei den Abgeordneten einiges in Bewegung bringen, damit diese erfahren, dass die Stammtischsprüche wie »Das Boot ist voll« keineswegs die Ansicht der Mehrheit in diesem Land widerspiegeln. Das liegt auch im Interesse der Aufnahmegesellschaft Interview und Bearbeitung: Thomas Meinhardt ihrer eigentlichen Aufgabe, die Menschen sozialpädagogisch zu begleiten. Hier wäre es sehr hilfreich, wenn die Behörden ihrer Beratungspflicht, die sie ja haben, wirklich gerecht werden, was das ganze Verfahren effizienter und angenehmer für alle machen würde. Ist die Voraussetzung für dies alles nicht eine Haltungsänderung? Eine Haltungsänderung, die bedeutet, wir heißen die Menschen willkommen und kümmern uns und haben nicht als Hauptmotiv, uns Geflüchtete möglichst vom Hals zu halten? Ja, sicher. Das Deutschland ein Einwanderungsland ist, damit mussten sich mittlerweile alle demokratischen Parteien anfreunden. Dass Einwanderungsland auch heißt, es kommt nicht nur eine einzelne Fachkraft, eine einzelne bedrohte Person, sondern es geht auch um Eine Geflüchete, die ein Plakat mit einem Bild ihrer Kinder trägt, fordert im Juli 2020 während einer Demonstration den Familiennachzug © BRITTA PEDERSEN – PICTURE-ALLIANCE.COM

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