Franziskaner - Frühling 2023

26 FRANZISKANER 1|2023 Was bauen sie Dir Kirchen Synagogen Tempel und Moscheen da Du doch gehst und wehst wo Du willst Das ist als wolle man dem Wind ein Haus bauen und ihn darin wohnen heißen als wollte man das Meer umdämmen um es zu fassen als wollte man den Himmel überkuppeln um ihn zu halten Du bedarfst keiner Kirchen Du bist so frei so stark und so ewig wie irgendgott Aber Du brauchst uns brauchst mich mich mit meinem Leib meinem Fleisch meinem Blut Du musst Dich einverleiben einsinnen eindenken einwelten können Wie sonst solltest Du schöpfen und lieben im Hier wie sonst könntest Du Deine Arbeit tun Elsbeth Schneider Gott und Mensch Gebete sind Herzenssprache. Was mir auf dem Herzen oder auf der Zunge liegt – an Bitten, Fragen, Hoffnungen, Träumen, Wünschen, Nicht-Machbarem –, das versuche ich in Worte zu kleiden. Zu stammeln. Oft keine wohlformulierten Sätze, eher Wortfetzen. Diese einem Gegenüber hinzuhalten, von dem ich glaube, dass er um mich weiß, mich kennt und meinem Bitten Gehör schenkt. Elsbeth Schneider stellt in ihren Gebeten Fragen und lässt sich nicht davon abhalten, Antwortversuche gleich mitzuvermuten. Wie in einem Gespräch zwischen Freund:innen. Ihre Vermutung: Du brauchst mich: mit meinem Leib – mich als ganzen Menschen. Du, Gott, setzt auf mich, auf meine Identität. Hier spricht die emanzipierte Religiosität eines modernen Menschen, der schlicht und bescheiden, aber auch ganz leidenschaftlich Gebete aus Alltagserfahrungen heraus formuliert. Damit wird Elsbeth Schneider zu einer Realistin. Das erste Gespräch wirkt wie eine Betrachtung. Es sind Erfahrungen von Kirche und ihre Deutung für unsere Zeit. Dass Gott nicht in Gebäude zu sperren ist, ist eine Grundannahme in der jüdisch-christlichen Tradition. Das Gebet von Elsbeth Schneider klingt wie ein Ausruf der Empörung darüber wie Menschen sich vorstellen konnten, Gott in Mauern zu begrenzen. Und sie sucht im Dialog mit diesem Gott seine Bestätigung. Zum Nachdenken • Welches Gottesbild habe ich im Laufe meines Lebens kennengelernt? • Kann ich ihm, dem geheimnisvollen Gegenüber, meine Gedanken ungefiltert hinhalten? © FRANK GÄRTNER – STOCK.ADOBE.COM; VÖGEL © BIROL – STOCK.ADOBE.COM

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