„Am Ende der Schulzeit stand die Frage an, was ich nach dem Abitur machen möchte. Ich wollte etwas Sinnvolles tun und mal was anderes sehen und erleben“, erzählt Marie, die derzeit in Visoko, einer Stadt in Bosnien und Herzegowina, einen Freiwilligendienst leistet. Es ist nicht untypisch, nach dem Schulabschluss einen Freiwilligendienst zu machen, denn es ist die Zeit, in der Weiterentwicklung, Orientierung und das Verlassen der eigenen Blase auf dem Programm vieler junger Menschen stehen. „Franziskanisch Europäische Erfahrung“ (FEE) bot Marie dazu die Chance.
Das Angebot der Franziskaner ist eines von vielen, denn etliche Organisationen vermitteln und begleiten Freiwilligendienste. Das Besondere an FEE ist, dass der Träger, das Franziskanische Bildungswerk, dieses Projekt in enger Kooperation mit der deutschen Franziskanerprovinz entwickelt hat und die Einsatzstellen alle in franziskanischen Projekten im europäischen Ausland angesiedelt sind.
FEE ist ein noch junger Anbieter. Der Startschuss fiel 2019, als die Brüder beim Provinzkapitel entschieden, einen europäischen Jugendfreiwilligendienst aufzubauen. Ziele des Freiwilligendienstes sollten die Unterstützung der persönlichen Entwicklung der Freiwilligen, die Förderung eines europäischen Gemeinschaftsgedankens und das Einbringen von franziskanischen Werten in die heutige Zeit sein. Unter dem Motto „Ein Jahr – Ein Land – Deine Herausforderung“ wurde im vergangenen Jahr erstmals zur Bewerbung auf einen der zur Verfügung stehenden Plätze eingeladen. Im August dieses Jahres konnten Marie und Mirjam nach Visoko in Bosnien und Herzegowina und Jakob und Malena nach Bilbao in Spanien als erste Freiwillige von FEE aufbrechen.
Bewirb dich jetzt noch bis zum 30. November 2023 für einen Freiwilligendienst von August 24 bis August 25 bei uns unter www.franziskanische-erfahrung.eu. Einsatzländer: Albanien, Bosnien/Herzegowina, Schweiz und Spanien
Europa leben
Der Gedanke, dass es angesichts von Kriegen und dem verstärkten Aufkommen von Rechtsextremismus eine Stärkung des europäischen Zusammenhalts geben muss, wird auch von der Projektreferentin der FEE, Sarah Knauer, hervorgehoben: „Ich glaube, es ist gerade gegenwärtig wichtig, an einem friedlichen europäischen Verständnis zu arbeiten.“
Eines der FEE-Projekte ist das Schulprojekt in Bosnien und Herzegowina, in dem Marie und Mirjam arbeiten. Es gehört zum Konzept des franziskanischen Dienstes, dass jeweils zwei Freiwillige gemeinsam vor Ort sind. Die beiden jungen Frauen leben in einem Internat, das zu einem franziskanischen Gymnasium mit Franziskanerkloster gehört. Die beiden sind noch immer begeistert davon, wie offen und herzlich sie empfangen wurden. Auch die Sprachbarriere sei kein besonders großes Problem. „Viele der Menschen, mit denen wir hier vor Ort zu tun haben, sprechen gut Deutsch oder Englisch. Und zur Not helfen auch Handzeichen …“, erzählt Mirjam.
Momentan gibt es vier Orte, an denen sich Freiwillige engagieren können. Die Einsatzstellen in Albanien, Bosnien und Herzegowina, der Schweiz und Spanien wurden von dem Beauftragten der Deutschen Franziskanerprovinz, Bruder René Walke, zuvor besucht, um sicherzustellen, dass die Zusammenarbeit gut gelingen wird. „Es ist wichtig, dass wir als Entsender einen engen Draht zum Projekt haben“, so Sarah Knauer.
Der europäische Austausch und die Auswahl der Einsatzorte waren der Grund, warum FEE nicht Teil des Freiwilligendienst von „Franziskaner Helfen“ in Bonn ist, der an das weltwärts-Programms angebunden ist. Dort können die Freiwilligen nur in Länder entsandt werden, die auf der DAC-Länderliste der Entwicklungsländer und -gebiete stehen. Das würde den Einsatz in Europa sehr einschränken, da nur 10 der 47 europäischen Staaten dazugehören. Stattdessen ist FEE anerkannter Träger im Internationalen Jugendfreiwilligendienst (IJFD), der durch das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert wird. Dadurch werden knapp ein Drittel der Kosten abgedeckt, der Rest wird aus Spenden und Eigenkapital des Franziskanischen Bildungswerks finanziert. „Wir wollen den Freiwilligendienst jedem ermöglichen. Diese Erfahrung darf nicht vom Geld der Eltern abhängen“, bekräftigt Sarah Knauer.
Sozial, friedenstiftend, interkulturell
Die drei Leitlinien der FEE lauten: „sozial, friedenstiftend, interkulturell“. Als Grundorientierung passt das besonders zu einem franziskanischen Angebot. Der soziale Aspekt der ehrenamtlichen Arbeit während des Freiwilligendienstes ist in allen Projekten offensichtlich. Im besonderen Maße tritt er im FEE-Projekt in Bilbao, Spanien, zutage. Jakob und Malena arbeiten dort hauptsächlich mit wohnungslosen Menschen zusammen, helfen bei der Alltagsbewältigung und ermöglichen Freizeitangebote. Eine gewisse Parallele zur Hinwendung des Franziskus‘ zu den Randständigen seiner Zeit, den Aussätzigen, drängt sich auf. Auch andere herausragende Aspekte der Biografie des Heiligen kommen beim Blick auf die Einsatzorte und die dort zu bewältigenden Aufgaben in den Sinn. So das Treffen zwischen Franziskus und dem Sultan El-Kamil, das den Dialog zwischen Kulturen an die Stelle des Konflikts rückt. Immer wieder wird deutlich, dass die FEE-Leitlinien nicht aus der Luft gegriffen, sondern tief im franziskanischen Erbe verwurzelt sind. Erinnert sei nur an die Geschichte von Franziskus, der den gefürchteten Wolf zu seinem Bruder macht und das Verhältnis zwischen dem Wolf und der Bevölkerung von Gubbio befriedet, indem den Bedürfnissen aller Rechnung tragende Bedingungen vereinbart werden. Freiwillige in die Welt zu entsenden und mit diesen Werten auszurüsten, drängt sich für einen franziskanischen Freiwilligendienst fast auf. Aber die Umsicht, mit der diese Werte an die Freiwilligen u. a. bei den Vorbereitungsseminaren vermittelt werden, ist etwas Besonderes.
Vorbereitung ist alles
Seitens des zuständigen Ministeriums ist vorgeschrieben, dass die Entsender Vorbereitungsseminare anbieten müssen. Doch wie diese gestaltet werden, bleibt den Trägern selbst überlassen. Marie, Mirjam, Jakob und Malena haben in der Zeit vor ihrer Entsendung an vier Vorbereitungsseminaren teilgenommen. „Ich wusste von vornherein, dass ich mich auf die Unterstützung und eine gute Vorbereitung durch das franziskanische Bildungswerk verlassen kann“, stellt Marie fest. „Sehr wichtig war mir, dass ich nicht planlos in das Jahr reingehe und während des Jahres Unterstützung bekomme, wenn ich die brauche“, erläutert sie weiter. Da sie das Franziskanergymnasium Kreuzburg in Großkrotzenburg besucht hatte, kannte sie bereits das ebenfalls dort ansässige Franziskanische Bildungswerk. Dass eine gute Vorbereitung immens wichtig ist, betont auch Sarah Knauer: „Wir können keine Freiwilligen nach Bosnien und Herzegowina schicken, ohne über die jugoslawischen Nachfolgekriege gesprochen zu haben. Die prägen eine ganze Generation noch heute. Und das ist nur ein Aspekt unter vielen.“ Neben praktischem und historischem Wissen ist ein Vortrag über das Verarbeiten von Erlebnissen – gehalten von einer psychologischen Referentin – Teil der Vorbereitung. Einheiten wie diese sollen helfen, die neuen Eindrücke richtig verarbeiten zu können. Bruder René war ebenfalls bei allen Seminaren dabei: „Wir senden nicht einfach als Entsendeorganisation Freiwillige in andere Länder. Wir bereiten sie vor, lernen uns kennen, wir werden eine gemeinsame Gruppe, und dementsprechend sind dann Menschen, die wir gut kennengelernt haben und mit denen wir eine Verbindung haben, an diesen Orten.“ Auch vor Ort gibt es Mentoren, die den Freiwilligen zur Seite gestellt werden. In der Zeit des Einsatzes gibt es ein weiteres Seminar und eines nach der Rückkehr. Die beiden Freiwilligen in Bosnien und Herzegowina beurteilen das Vorbereitungskonzept und die Unterstützung vor Ort nach den ersten Monaten äußerst positiv. Marie meint: „Wir haben einen sehr guten Kontakt mit unseren Mentorinnen und mit der relativ jungen Deutschlehrerin, mit der wir schon Pläne für die nächste Zeit hier gemacht haben.“ Und Sarah Knauer bestätigt: „Da FEE kein Träger mit einer großen Zahl Freiwilliger ist, kann die pädagogische Betreuung und Vorbereitung intensiver und vielleicht auch persönlicher sein.“
Der Anfang ist gemacht
Diese Nähe zu den Freiwilligen soll erhalten bleiben, auch wenn für die Zukunft geplant ist, dass es mehr Stellen und Einsatzorte geben wird. Beibehalten wollen die Projektreferentin und Bruder René auch die Art der Vorbereitung und die enge Orientierung an den Leitlinien. Derzeit gibt es Pläne, neue Kooperationen mit Einsatzstellen in Österreich und den Niederlanden zu starten. Außerdem wünscht sich Sarah Knauer, dass es in Zukunft noch mehr Projekte mit unterschiedlichen Schwerpunkten – zum Beispiel einem ökologischen – gibt.
Für Marie und Mirjam scheint sich der Wunsch, sich in einem neuen Kontext ausprobieren zu können, aber nicht vollkommen fremd oder orientierungslos zu sein, zu erfüllen. Die beiden jungen Frauen wollen ihr Gastland unabhängig von ihrer Arbeit noch weiter kennenlernen. Schon nach zwei Wochen hatten sie eine Liste mit möglichen Reisezielen. Mit der Schule, an der sie arbeiten, werden sie außerdem auf Klassenfahrt nach Griechenland fahren. Dafür bereiten sie gerade eine Präsentation mit den Schulkindern vor. Zudem helfen sie nachmittags den Schülerinnen und Schülern bei schulischen Aufgaben, gestalten Freizeitangebote und geben Workshops. Dabei können sie sich frei entscheiden, welche Aufgaben sie übernehmen wollen. Vormittags begleiten die beiden die Deutsch- und Englischlehrer und helfen bei der Unterrichtsgestaltung. Es ist für beide eine neue Erfahrung, nicht mehr Schülerin zu sein, sondern als Lehrkraft gesehen zu werden: „Das lässt uns ein bisschen mehr Verständnis dafür entwickeln, wie es Lehrkräften geht.“
Die bisher gemachten Erfahrungen zeigen, dass der franziskanische Freiwilligendienst nicht nur das Leben der Freiwilligen bereichert. Alle, die mit den Freiwilligen in Kontakt sind, lernen dazu. Mit der FEE ist ein Projekt entstanden, das franziskanische Werte teilt und vertieft sowie gleichzeitig die Idee eines gemeinsamen europäischen Hauses für die jungen Generationen erlebbar macht.
Weitere Informationen zu den Einsatzstellen
Um sich bei FEE bewerben zu können, benötigen die künftigen Freiwilligen einen Wohnsitz in Deutschland und müssen während des Freiwilligendienstes zwischen 18 und 27 Jahre alt sein. Eine Bewerbung für das Freiwilligenjahr 2024/2025 ist noch bis zum 30. November 2023 online möglich.
Auslandsstellen
- Vlora – Albanien:
6 Monate Kurzzeitfreiwilligendienst, Kinder und Jugendbetreuung - Bilbao – Spanien:
12 Monate, Arbeit mit der SozialhilfeeinrichtungBizitegi für wohnungslose Menschen und mit obdachlosen Migranten und Touristen - Genf – Schweiz:
12 Monate, Mitarbeit bei FranciscansInternational, der franziskanischen Stimme bei den Vereinten Nationen - Visoko – Bosnien und Herzegowina:
12 Monate, Mitarbeit in Internat und Gymnasium - Visoko – Bosnien und Herzegowina:
12 Monate, Arbeit in Kloster und Museum
Dieser Artikel stammt aus der Zeitschrift Franziskaner, Herbst 2023.